Von Stefanie Lohaus

Wenn ich mit den Großmüttern meines Kindes über ihre Schwangerschaften spreche, dann fällt mir immer wieder auf, wie elementar anders es vor 40 Jahren war, schwanger zu sein. Sie mussten sich nicht monatlich wiegen lassen. Sie aßen was sie wollten. Sie tranken auch mal ein Gläschen Wein und rannten nicht bei jeder Zigarette, die neben ihnen angezündet wurde, panisch aus dem Gebäude. Sie waren entspannt, genossen die Zeit. Nur die Geburt war dann sehr medizinisch und wenig selbstbestimmt und Rooming-In gab es auch noch nicht. Darauf bin ich nicht neidisch, auf den Rest schon. Denn heute ist das alles anders.

© Rebecca Rütten
Fast so heilig wie Schwangere: Fast Food. © Rebecca Rütten

Heute ist Schwangerschaft eine Art Krankheit, ein Risiko, selbst wenn es sich nicht um eine Risikoschwangerschaft handelt. Der schwangere Körper wird regelmäßig vermessen und gewogen. Die obligatorische Blutabnahme mit den vielen Checks am Anfang der Schwangerschaft, der Verzicht nicht mehr nur auf Alkohol und Kippen, sondern auch noch auf Rohmilchkäse und Lachsbrötchen, maximal eine Tasse Kaffee am Tag. Zu viel essen soll man nicht – nur ein Brötchen mehr am Tag. Die Nährstoffe sollst du verdoppeln, nicht die Nahrungsmenge, sagen Schwangerschaftsratgeber. Das heißt, keine Süßigkeiten oder Pommes dafür, bei Lust auf was Süßes mal eine getrocknete Aprikose. Langweilig. Zu wenig essen ist natürlich auch nicht gut. Also bitte doch zunehmen, aber nicht zu viel.

Ja, natürlich halte ich mich an diese Regeln. Es geht schließlich bei den meisten darum Risiken auszuschließen. Risiken, für das Ungeborene, mögliche Frühgeburten, bleibende Schäden oder Behinderungen. Risiken, die teilweise im Promille-Bereich liegen. Aber ich will mir nicht von meinem Kind später mal vorhalten lassen, ich hätte irgendwas falsch gemacht, ne?

Neulich habe ich eine Schwangere getroffen, die mir erzählte, dass ihr alkoholfreies Radler im Biergarten vertauscht wurde und sie eins mit Alkohol bekam. Bevor sie es bemerkte, hatte sie also 0,25 Liter Bier getrunken, wurde panisch und ist in die Notaufnahme gefahren, aus Angst, dass ihr Ungeborenes nun ernste Schäden davongetragen habe. Der Arzt, so erzählte sie, hätte sie ausgelacht.

Ich finde das gar nicht lustig. Das meine Bekannte Panik bekommen hat, ist nicht ihre Schuld, sondern das Resultat der ständigen Bevormundung, der wir Schwangeren ausgesetzt werden. Bei unseren Arztbesuchen werden wir vermessen, aber nicht vernünftig aufgeklärt. Statt uns zu erklären, wie hoch welche Risiken bei welchem Konsum sind, kriegen wir Komplettverbote auferlegt, die uns jegliche Entscheidungsfreiheit berauben und uns das Gefühl vermitteln, der Fötus in unserem Bauch sei in permanenter Lebensgefahr.

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Manche haben Föten im Bauch, andere Pizza, einige beides. © Rebecca Rütten

Und nicht nur die Ärzteschaft, auch unsere Umwelt passt auf uns auf: Als ich bei meiner letzten Schwangerschaft im 9. Monat auf einer Hochzeit eingeladen war und am selben Tag Geburtstag hatte, gönnte ich mir ein Glas Sekt, um mit der Braut anzustoßen. Noch in der Bewegung sprang eine wohlmeinende Frau aus der hinteren Ecke des Raumes auf und wollte mich davon abhalten. Ob ich denn wüsste, was ich meinem Kind gerade antue … Really? Vor wenigen Jahren noch galt das Glas Sekt im letzten Schwangerschaftsmonat als wehenfördernd. Geht es hier wirklich um die Gesundheit eines Kindes oder um etwas anderes, ein Körperregime, ein Gesundheitsregime, einen gesunden Volkskörper, um Kontrolle über die Frauenkörper? Ich war zumindest stinkewütend und habe das Glas demonstrativ geext. Mein Kind ist jetzt dreieinhalb und entwickelt sich sehr normal. Bätsch.

Ich glaube, dass die überwältigende Mehrheit der Schwangeren sehr verantwortungsvoll mit sich und ihrem Körper umgeht und im Gegenteil eher zu vorsichtig ist als zu wenig. Die zahlreichen Studien, die Risiken für Schwangere und Föten belegen, etwa zu Alkohol oder Koffein, sind oft nicht genau. Also sie sagen in etwa so etwas wie „Ja, hat Einfluss“ (Koffein) oder „Ja, ist schädlich“ (Alkohol, Nikton), aber selten genau ab wann und bei welcher Menge der Konsum wie schädlich ist. Die Gefahr einer Toxoplasmose-Infektion, die man sich durch Rohmilchkäse oder Katzenklo säubern einfängt, liegt etwa bei 0,3 Prozent und nur bei 4-10 Prozent steckt sich der Fötus auch an. Dafür sollte ich meine Katze ins Tierheim geben, riet mir die letzte Frauenärztin. Pfft. Ich habe die Frauenärztin gewechselt.

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Kein Kaffee, kein Alkohol, kein Rohmilchkäse – da bleiben fast nur Marshmallows. übrig. © Rebecca Rütten

Fakt ist: Wir können nicht alle Risiken ausschließen. Ich wohne in einer Großstadt und atme tagtäglich Abgase ein. Werden wir demnächst für die neun Monate Schwangerschaft aufs Land verschickt? Ich wünsche mir, das Schwangere endlich ernst genommen werden. Dass wir nicht länger als prinzipiell bedrohliches und unverantwortliches Gefäß für einen zukünftigen Menschen wahrgenommen werden, sondern als Menschen, die selbst in der Lage sind Risiken einzuschätzen und zu entscheiden, die sowieso das Beste für ihre zukünftigen Kinder wollen. Momentan habe ich eher die Befürchtung, dass das Gegenteil passiert.