Von Olja Alvir

Es fängt damit an, dass ich gerade schreiben wollte „angesichts des aktuellen Rechtsrucks in ganz Europa“. Aber eigentlich ist das, was wir gerade erleben, ja kein Rechtsruck. Es ist keine plötzliche Verschiebung oder überraschende Wende. Es ist eine Offenbarung, Enttarnung und Stärkung von Ideologien – rechter, rechtsextremer und autoritärer – die immer schon da waren. Und zwar nicht ruckartig, sondern stetig.

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Genug engagiert für dieses Quartal? © Tine Fetz

Aber das passiert oft, das mit der sprachlichen Ungenauigkeit. Auch mir, wie man sieht. Und es grenzt an Pedanterie, die Begriffe auseinanderzunehmen und einander – vor allem während Ängste geäußert werden – auszubessern. Dennoch denke ich, dass es sich lohnt, sich genau anzusehen, was hinter der Sprache, mit der wir gesellschaftliche Probleme verhandeln, steckt. Und zwar ganz besonders, wenn es sich um eine Gesamt-Rhetorik, ein Narrativ handelt, wenn es System hat.

„Wachsam sein“, „genau hinsehen“ und „klare Zeichen setzen“: Dazu wird bei vielen Veranstaltungen, die sich an liberales und/oder linkes Publikum richten, momentan aufgerufen. Man solle sich den Rechten schon in irgendeiner Form entgegenstellen, aber das soll vor allem mit Beobachtung, Symbolpolitik und durch das Wählen der entsprechenden Parteien oder Politiker geschehen. Manchmal soll man nicht mal „genau hinsehen“, sondern lediglich „nicht wegsehen“, wenn Hassverbrechen und Wiederbetätigung passieren.

Was genau bringt es den Bewohner*innen eines brennenden Geflüchtetenheimes, wenn ich „aufmerksam“ bin und „nicht wegsehe“? Wie hilft es der in der Öffentlichkeit belästigten Frau mit Kopftuch, wenn ich „hellhörig“ bleibe, was die ihr entgegen geschleuderten Rassismen angeht? Inwiefern werden Transpersonen weniger diskriminiert, wenn ich still und ruhig „auf der Hut bleibe“, was Misgendering und Harassment angeht?

Diese (bürgerliche) Rhetorik des Schauens zeugt von Unbetroffenheit, fauler Untätigkeit und einer Gesellschaft, die sich in einer absurden Gewaltdebatte verfangen hat. Zu einem offenen, aktiven und handlungsorientierten Kampf gegen Rechts aufzurufen wird heute nicht einmal mehr gewagt. Ein solcher Aufruf wird als Tabubruch gesehen, während die Gewalt, die von Rechten ausgeht, zunehmend demokratisch, medial und gesellschaftlich legitimiert wird.

Die Position der wachsamen politischen Beobachter*innen hingegen ist bequem: Schön, ich hab da jetzt kritisch und andächtig zugeschaut, das war dann auch mal genug Engagement für dieses Quartal. Als damals in Deutschland Pogrome tobten, wurde übrigens auch aufmerksam zugesehen. Oft tatenlos, oder sogar zustimmend. Wir fragen uns heute entsetzt: Wie konnte es so weit kommen? Jetzt drohen wir, wie sie zu werden.

Versteht mich nicht falsch: Fahnen schwenken, Parolen grölen, Sticker und Schilder anbringen und andere harmlose Aktionsformen sind gut und wichtig. Aber wenn sich die politische Arbeit darin erschöpft, dann wird es brenzlig. Daher: Ich will kein Zeichen gegen oder für irgendwas setzen. Ich will auch nicht zusehen, wie Frauen unterdrückt, queere Personen diskriminiert, Geflüchtete und People of Color gefährdet werden. Ich will – gemeinsam – gegen diese Rechte und diese Form der Gesellschaft vorgehen.

Es ist unangenehm und manchmal auch beängstigend, sich einzugestehen, dass beobachten und dokumentieren nicht mehr reicht – verständlich. Doch der Wandel sitzt nicht im Auge, sondern in der Faust.