Kontrolle statt Schutz: Das geplante Prostituiertenschutzgesetz wird seinem Namen nicht gerecht
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Von Sonja Dolinsek
Das neue Gesetz soll Prostituierte besser vor Ausbeutung „schützen“. Für Sexarbeiter*innen ist die Einrichtung einer Sonderdatenbank mit Anmeldepflicht und Zwangsberatung geplant. Für sogenannte „Prostitutionsstätten“ – Orte, an denen Sexarbeit ausgeübt wird – sollen strenge Auflagen gelten. Beides ist gut gemeint, wird aber die Situation von Sexarbeiter*innen verschlechtern. Viele neue Pflichten werden eingeführt, aber kaum neue Rechte geschaffen – Sexarbeiter*innen stehen in der Pflicht, sich anzumelden, haben aber keinen nennenswerten Vorteil davon.
Außerdem soll das Gesetz die Branche regulieren und den angeblich explodierenden Menschenhandel eindämmen – so die Rhetorik. „Angeblich“, weil die Statistiken des Bundeskriminalamtes einen leichten Rückgang von Menschenhandel seit 2006 bestätigen und weil es keine umfassende Studie zum Thema Ausbeutung und Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit gibt. Letztere ist politisch nicht gewollt. So wundert es nicht, dass die vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen für Prostituierte neue Formen der Erpressung und Ausbeutung schaffen und Sexarbeiter*innen nur als passive Kontrollobjekte auffassen. Die Selbstbestimmung von Sexarbeiter*innen wird mit dem Gesetz nicht verbessert.
Sowieso ist das Gesetz als eine direkte Folge der Kampagne von Alice Schwarzer und der EMMA für eine Ächtung von Sexarbeit zu verstehen. Durch repressive Regulierungen und Strafen sollen zukünftige Sexarbeiter*innen von der Sexarbeit abgeschreckt werden. Durch strenge Regulierung von Bordellen soll ihre Zahl drastisch reduziert werden und Sexarbeit insgesamt in Deutschland eingeschränkt werden. Idealerweise soll jede Stadt genau abgezählte Sexarbeiter*innen haben – keine zu viel, keine zu wenig. Ob das gut gehen kann?
Geht es nach dem Willen der Regierung, müssen sich Sexarbeiter*innen in Zukunft bei einer speziell geschaffenen Behörde als „Prostituierte“ anmelden. Die Hoffnung: Endlich kann man sie zählen. Anders als oft suggeriert, ist das nicht die Anmeldung beim Bürgeramt oder beim Finanzamt – das ist jetzt schon Pflicht. Für Sexarbeiter*innen wird es eine Sonderdatenbank geben. Direkt dazu erhalten sie einen „Prostituiertenausweis“, der bestätigt, dass sie die staatliche Erlaubnis haben, sexuell zu arbeiten. Bestätigt wird auch, dass sie das freiwillig tun – die „Freiwilligkeit“ soll die Behörde beim Anmeldungsgespräch in einem symbolischen Kurzgespräch zweifelsfrei feststellen.
Die Leser*innen werden den leichten Sarkasmus in meinen Worten gespürt haben. Die Forschung über Menschenhandel und erzwungener Prostitution zeigt immer wieder, dass Zwang nicht in kurzer Zeit – in 15, 30 oder 45 Minuten – und in einer de facto Zwangssituation zweifelsfrei festgestellt werden kann. Die Gefahr, dass bei der Anmeldung Betroffene von Zwang mit dem staatlichen Stempel der „Freiwilligkeit“ versehen werden, ist real. Diese Personen werden es ungemein schwerer haben, Ausbeutungsverhältnisse bei der Polizei und vor Gericht geltend zu machen. Doch das will die Große Koalition nicht hören, obwohl Sozialarbeiter*innen, Beratungsstellen und Organisationen, wie der Deutsche Juristinnenbund, darauf hinweisen.
Doch das größte Problem stellt der Prostituiertenausweis an sich dar. Er liefert Sexarbeiter*innen der lebenslangen Gefahr einer Erpressung aus: Wer ein Foto davon macht, kann mit einem Outing bei Familie, aktuellen oder zukünftigen Arbeitgeber*innen und der allgemeinen Öffentlichkeit drohen. Weil Sexarbeit immer noch so stigmatisiert ist, können Sexarbeiter*innen damit de facto am Berufswechsel gehindert werden, zur Sexarbeit gezwungen werden und sich ausbeuterischen Arbeitsbedingungen zu fügen.
Mit der Verbreitung von Gesichtserkennungssoftware kann so ein Bild ein ganzes Leben zerstören – und zwar auch erst in zehn, zwanzig Jahren. Wer heute als Student*in mit Sexarbeit das Studium oder als alleinerziehende Mutter das Überleben der eigenen Kinder finanziert, könnte später, in einem anderen Berufsleben, damit erpresst werden. Gerade für Migrant*innen ist das eine Gefahr, denn in ihren Herkunftsländern ist Sexarbeit meist noch verpönter als in Deutschland. Sexarbeiter*innen riskieren den Verstoß aus der Familie und damit die soziale Isolation. Selbst die Kinder der Prostituierten könnten darunter leiden.
Datenschutzgesetze mögen in Deutschland die Veröffentlichung im Internet eines Hurenausweises kriminalisieren und damit vielleicht auch verhindern. Aber das Internet ist global und ein geleakter Hurenausweis ist ein geleakter Hurenausweis ist ein geleakter Hurenausweis.
Der Ausweis steht auch symbolisch für den Willen des Staates, Menschen (und vor allem Frauen) offiziell zu Prostituierten zu machen – angeblich mit dem Ziel ihren Ausstieg (durch Abmeldung) zu erleichtern. Vor allem die CDU scheut nicht davor, diese nutzlose Anmeldung zu erzwingen. Die CDU-Abgeordnete Erika Steinbach kündigte in einer Pressemitteilung Strafen von bis zu 1000 Euro an – für Sexarbeiter*innen, die ohne staatliche Billigung und Zwangsaufsicht arbeiten wollen.
Während jetzt ein*e Sexarbeiter*in einfach arbeiten kann, weil es legal ist, müssen Sexarbeiter*innen in Zukunft Beratungs- und Anmeldegespräch und die Ausstellung des Hurenausweis abwarten. Wer glaubt, damit die „Armutsprostitution“ zu verhindert, ist naiv. Denn wer aus Armut sexuell arbeitet, kann sich diese Wartezeit erst gar nicht leisten, riskiert aber eine Strafe, die Armut verschlimmert. Wie viel Sexarbeit ist nötig, um 1000 Euro Strafe zu bezahlen? Und warum sollten wird das nicht auch Zwangsprostitution nennen?
Blickt man in die Geschichte, gibt es zahlreiche Beispiele von Anmeldepflicht für Prostituierte – auch in Deutschland. In diesen Regimen der „Reglementierung“ war immer klar, dass sich die meisten Prostituierten aus guten Gründen der Meldepflicht entzogen. Weil diese Pflicht weder Geschlechtskrankheiten noch Ausbeutung verhinderte und (ausschließlich) Frauen als Prostituierte abstempelte, hat man sie abgeschafft.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts forderten die Abolitionist*innen der ersten Stunde die Abschaffung von Sonderregulierungen der Prostitution sowie die Entkriminalisierung von Prostituierten. Frauen wie die Britin Josephine Butler waren sich darüber bewusst, dass Sondergesetze keine Lösung, sondern Teil des Problems bei der Ausbeutung von Prostituierten sind. Heute haben die deutschen Abolitionist*innen diesen wichtigen Kritikpunkt vergessen und fordern das, was Josephine Butler eigentlich abschaffen wollte: eine strenge Reglementierung der Prostitution. In so manchen Beiträgen der EMMA werden sogar Zwangsuntersuchungen gefordert. Josephine Butler lehnte diese als „instrumentelle Vergewaltigung“ ab.
„Entkriminalisierung“ – das ist auch die Forderung der globalen Sexworker-Bewegung. In Deutschland stößt die Forderung auf Gleichgültigkeit. Das liegt daran, dass der Anti-Prostitutionaktivismus es geschafft hat, uns alle glauben zu lassen, dass Sexarbeit hier eben grenzenlos und ohne Einschränkung legal sei. Die Forderung nach Entkriminalisierung fällt ins Leere, wenn alle glauben, dieser Punkt sei doch schon längst erreicht. Doch das stimmt nicht.
Im Strafgesetzbuch ist weiterhin ein § „Verbotene Prostitution“ enthalten, der ein beschränktes räumliches Verbot von Sexarbeit in Ortschaften und Städten über 30.000 Einwohner schafft. In Ortschaften unter 30.000 Einwohner*innen – also in ziemlich vielen Orten – ist Sexarbeit verboten. Dieses leider viel zu unbekannte Gesetz ist der Ursprung der sogenannten „Sperrgebiete“ – das Bahnhofsviertel in Frankfurt, die Herbertstrasse in Hamburg zum Beispiel. Sexarbeit wird segregiert, Sexarbeiter*innen sollen sauber von der restlichen Bevölkerung getrennt werden und die Kontrolle für die Polizei soll vereinfacht werden. Wer woanders arbeiten will, wird bestraft.
Laut Polizeilicher Kriminalstatistik werden jährlich über 1500 Sexarbeiter*innen mit Geld- und Haftstrafen bestraft, weil sie am falschen Ort der Prostitution nachgegangen sind. Besonders hart schlagen Dortmund, Stuttgart, und Hamburg zu und tun so, als würde man mit einer Haftstrafe den Prostituierten helfen. Erst kürzlich wurde nach einer ungarischen Sexarbeiterin gefahndet, damit sie entweder zwei Wochen im Gefängnis absitzt oder 400€ Strafe zahlt. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch Zeit- und Geldverschwendung.
Sonja Dolinsek promoviert an der Universität Erfurt zur Geschichte von Prostitutionspolitiken im internationalen Kontext. Sie betreibt die Seite menschenhandelheute.net. Ihre Erkenntis: Nicht überall, wo „Schutz“ drauf steht, ist Schutz und Selbstbestimmung gewollt.
Spätestens jetzt wird klar, dass das Prostituiertenschutzgesetz Sexarbeit zusätzlich kriminalisiert. Sexarbeiter*innen dürfen immer weniger falsch machen, ohne eine Strafe zu riskieren. Umerziehung durch Strafe – alleine beim Gedanken graust es mir.