Von Anna Mayrhauser

Susanne Scheerer, vor zwei Jahren haben Ihr Mann und Sie sich für eine Samenspende für ein befreundetes lesbisches Paar entschieden und darüber auch im Missy Magazine geschrieben. Woher kam der Impuls, diese Geschichte auch in einem Kinderbuch zu verarbeiten?
Für mich war schnell klar, dass diese Entscheidung eine politische Entscheidung ist. Sehr zum Leidwesen der Menschen um mich herum ist mein Grundimpuls immer, das Private öffentlich zu machen und es zu politisieren. (lacht) Es ist nicht immer ganz einfach, diesen Weg zu gehen. Aber ich wusste, wenn wir uns alle gemeinsam – mein Mann, die beiden Frauen, die nun Mütter geworden sind, und ich – dafür entscheiden, dann sollten wir uns auch um Sichtbarkeit bemühen. Es sollte keine individuelle Geschichte darüber bleiben, wie man sein Glück findet, sondern auch gesellschaftlichen Einfluss haben. Erst habe ich also fürs Missy Magazine über unsere Geschichte geschrieben. Dass ich ein Kinderbuch darüber machen möchte, war da noch nicht geplant.

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„Es ist immer noch sehr kompliziert und teuer für zwei Frauen, einen Weg zu finden, schwanger zu werden.“ © Susanne Scheerer

 Aber?
Wir wollten mit der Situation transparent umgehen, vor allem für meine kleine Tochter, die jetzt vier Jahre alt ist. Wir wollen vermeiden, eines Tages ein Gespräch zu führen wie: „Du bist jetzt 18 und übrigens, da ist etwas, das du nicht weißt.“ Wir wollten sie kindgerecht mitnehmen, aber über unsere Konstellation gibt es quasi nichts auf dem Kinderbuchmarkt. Die Situationen ohne passende Literatur einem kleinen Kind zu erklären ist aber wahnsinnig kompliziert, weil alles so abstrakt ist. Wir vermeiden bewusst Worte wie biologischer Vater oder Halbgeschwisterchen, weil wir unsere Situation nicht so sehen – aber das macht es nicht weniger abstrakt.

Ihr Buch hat also Ihrer Tochter geholfen, die Situation zu verstehen?
Durch das Buch ist es für meine Tochter dreidimensional geworden. Sie kann es jetzt auch in ihren eigenen Worten erklären. Sie spricht offen darüber und erzählt auch, dass ihr Papa seinen Samen verschenkt hat. Meine Tochter hat im Kinderladen mal kurzerhand beschlossen, dass sie später gerne ihre beste Freundin heiraten möchte. Ich habe ihr dann erklärt, dass sie ihre Freundin erst mal fragen müsste. Das hat sie getan und die antwortete, ja, das wäre schon schön, aber dann könnten sie ja keine Kinder bekommen, weil sie ja zwei Mädchen wären. Und meine Tochter meinte, nein, wir müssen nur einen Menschen finden, der uns seinen Samen schenkt! Ich habe das Gefühl, so passiert Veränderung. Kinder nehmen es als selbstverständlich an, dass es viele verschiedene Familien und Lebensentwürfe gibt. Und Kinder lernen so früh: Das ist auch für mich alles möglich.

Ist „Das Sehnsuchtskind“ ein queeres Aufklärungsbuch?
Das wurde es dann. Der ursprüngliche Impuls war aber, dass ich selber das Produkt gebraucht hätte und es das nicht gab. Dann bemerkt man natürlich, dass es eine riesige Leerstelle auf dem Kinderbuchmarkt gibt. Für Kinder, die mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen, gibt es überhaupt keine Identifikationsfiguren in der Kinderliteratur. Sie sind da aber leider nicht die Einzigen. Wo sind die Children of Color in Kinderbüchern? Oder transidente Kinder?

Wie sehr entfernt sich das Buch von Ihrer eigenen Geschichte?
Es ist unsere Geschichte, aber es ist ein Kinderbuch und arbeitet mit fantasievollen Bildern. Wir haben uns etwa dagegen entschieden, die Figuren mit unseren richtigen Namen auftreten zu lassen. Das Buch hat ein Eigenleben entwickelt – und das ist gut so. Aber um ein Beispiel zu bringen: Am Anfang sieht man die beiden Mütter, wie sie auf viele verschiedene Arten versuchen, ein Kind zu bekommen. Sie versuchen den Bauch auszubrüten und sich mit Pusteblumen zu bestäuben. Das ist natürlich fiktiv. Aber die darunterliegende Geschichte ist, dass sie verschiedene Möglichkeiten, verschiedene Wege, verschiedene Konstellationen in Betracht gezogen haben. Es ist immer noch sehr kompliziert und teuer für zwei Frauen, einen Weg zu finden, schwanger zu werden. Einfach is nich. Wenn der Spender schnell und anonym gefunden wurde, gibt es nachher sehr wahrscheinlich Probleme mit der Adoption. Wenn der Spender bereit ist, in den Dokumenten aufzutauchen, gibt es keine Gesetze zum Schutz aller Parteien. Auf jedem möglichen Weg, den sie gehen können, gibt es Lücken. Lücken, die verunsichern, Geld kosten, Stress erzeugen.

Wie sehr waren die beiden Mütter in den Entstehungsprozess des Buches eingebunden?
Ich bin mit den beiden im Dauerkontakt. Diese Geschichte zu erzählen, ist ein weitreichender, manchmal auch anstrengender Prozess für alle Beteiligten. Wir müssen einander sehr nahe sein, viel kommunizieren, im Konsens entscheiden. Es ist sehr wichtig, dass die beiden nicht das Gefühl haben, ich bemächtige mich ihrer Geschichte. Es ist natürlich eine heikle Sache – die Frau, die als heterosexuelle Cisfrau gelesen wird, erzählt jetzt die Geschichte. Die, die noch nicht mal selber den Samen gespendet hat. Doch ich glaube, wir haben es alle gemeinsam ganz gut hinbekommen. Es ist wichtig, Grenzen zu respektieren. Aber, wenn ich es nicht gemacht hätte, dann hätte es von uns vieren keiner gemacht. Das Feedback der Menschen, die das Buch unterstützen, zeigt mir, es wird gebraucht.

Welche Entscheidungen haben Sie getroffen?
Die beiden halten sich etwa bewusst aus der Pressearbeit heraus, sie geben keine Interviews, und wollen nicht, dass private Details veröffentlicht werden, um sich selbst und ihr Kind zu schützen. Für meine Familie ist es viel einfacher. Wir leben ein scheinbar heteronormatives Familienleben und sind nicht mit dem Alltag einer Regenbogenfamilie konfrontiert. Mein Kind fällt in der Schule nicht auf, es kann sich entscheiden, davon zu erzählen oder nicht. Ihr Kind lebt täglich in dieser Situation. Für mich war die Entstehung dieses Buches ein wichtiger Lernprozess, mein Privileg zu erkennen und diese Geschichte respektvoll und auf Augenhöhe zu erzählen.

Susanne Scheerer arbeitet als Bühnen- und Kostümbildnerin an unterschiedlichen Theatern und hat an der Universität der Künste in Berlin studiert. „Das Sehnsuchtskind“ ist ihr erstes Kinderbuch und noch nicht erschienen. Die Kickstarter-Kampagne zur Finanzierung des Projekts läuft noch bis zum 20. Juli.

Sie haben sich entschieden, das Buch über eine Kickstarter-Kampagne zu finanzieren – und das Ziel in sehr kurzer Zeit erreicht, gratuliere! Wie geht es jetzt weiter?
Die ursprüngliche Idee war, dass man auf Kickstarter ein Projekt sehr autonom in die Wege leiten kann und ich alles genauso machen kann, wie ich es möchte. Außerdem ist es ein guter Weg, um zu zeigen, dass es ein Publikum gibt und dann ist es vielleicht auch einfacher, einen Verlag zu finden. Ich habe durch die Kampagne alleine schon gemerkt, dass es einen unfassbaren Bedarf an anderen, diverseren Kinderbüchern gibt. Sobald man anfängt, über diese Themen zu sprechen, kommen viele Menschen auf einen zu, und erzählen ihre eigene Geschichte. Und das ist einfach wunderbar. Jetzt ist das erste Ziel von 5.300 Euro schon erreicht. Das heißt, das Buch wird es auf jeden Fall geben. Das ist sehr schön. Gleichzeitig hoffe ich sehr, dass wir die 9.000-Euro-Grenze knacken. Ab dieser Summe ist nämlich erst ein Hardcover-Buch möglich. Und aus dem Ganzen jetzt auch ein wirklich hochwertiges Produkt zu machen, ist natürlich mein geheimer Traum.