Starke Frauen unerwünscht?
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Von Laura Herrmann
Elektrobeats. Und plötzlich bin ich wach und fokussiert. Teil einer gespannten Atmosphäre. Auf der Bühne geht das Showlicht an, die Athletinnen der Physique-Klasse treten vor die Juroren. „Quarter-turn to the right“, donnert die Stimme des Showmasters von der Bühne in die gefüllten Publikumsreihen. Auf sein Kommando drehen sich fünf Frauen von der Vorder- in die Seitenansicht. Dabei lassen sie ihre Hüften leicht kreisen, ihre Arme schwingen galant mit, ehe sie ihren Bauch nach innen ziehen, die Arme leicht gebeugt vom Körper weg strecken und jede einzelne Muskelfaser ihres Körpers anspannen. Showbikinis funkeln im Scheinwerferlicht. Selbstbräuner definiert gestählte Körper. Anders als in den Bikini- und Figur-Wettbewerbsklassen ist bei diesen Frauen eine ausgeprägte Muskulatur ausdrücklich erwünscht.
(Bildbeschreibung: Protagonistin Carolin posiert im blauen Glitzerbikini auf einem Bodybuilding-Wettbewerb und spannt ihre Muskeln an.)
Ich bin beim Loaded Cup in Bochum, einem Show-Wettbewerb von Bodybuilder*innen, der erstmals in Deutschland stattfindet. Rund 200 Athlet*innen treten hier gegeneinander an. Heute gehen die Athletinnen an den Start. Eine von ihnen ist Caroline, 31 Jahre alt, promovierte Juristin und Bodybuilderin. Ich treffe sie vor ihrem Auftritt im Warm-up-Bereich. „Viele Leute denken immer, Bodybuilder wären hohle Brötchen. Die meisten wären überrascht, wie viele Akademiker sich hier tummeln, vor allen Dingen Juristen“, sagt sie und lächelt verschmitzt. Ich fühle mich ertappt. Das Bild, das ich bisher von Bodybuildern hatte, ist das der Disco-Pumper, der nach fünf Hantel-Lifts an den Spiegel tritt, um zu sehen, ob der Muskel schon gewachsen ist.
Zugegebenermaßen hatte ich mir über Bodybuilderinnen noch kein Klischee geformt. So wie Caroline in ihrem Trainingsanzug vor mir steht, wirkt sie nicht so massiv, wie ich es erwartet hätte. Sie ist 1,63 m groß und wirkt eher schmal, um nicht zu sagen schmächtig. Doch unter den weiten Sportsachen verbirgt sich ein starker Körper: Muskelstränge, definiert bis auf die einzelnen Fasern. Ein Sixpack. Kein Gramm Fett. Und ein glitzernder Showbikini. Für eine gesund glänzende Haut beim Auftritt reibt ihr Trainer, selbst erfolgreicher Bodybuilder, Caroline mit Babyöl ein – und kneift sie nebenbei noch einmal in den Oberschenkel, um zu testen, wie fest ihr Gewebe ist. Das wirkt befremdlich auf mich. „Ich bekomme oft gesagt, ‚das ist eklig‘, oder ’so will ich nicht aussehen‘. Ich antworte dann gerne: ‚Das kannst du auch nicht'“, sagt Caroline.
Bodybuilding, das ist Kraftsport mit dem Ziel der Körpermodifikation, einen muskulösen Körper symmetrisch zu formen und proportional zu gestalten. Oder, wie Caroline sagt: „Für mich ist Bodybuilding gelebter Ehrgeiz. Eine Disziplin, die sich am Körper zeigt.“ An ihrem Körper arbeitet Caroline schon ihr Leben lang. Bereits im Alter von acht Jahren nahm sie regelmäßig an Marathonläufen teil, sogar an Ultraläufen – an einem Wochenende von Olpe nach Paris. Im Studium meldete sie sich dann im Fitnessstudio an. Statt aufs Laufband ging sie an die Geräte.
Kraft- und Fitnesstraining entdecken derzeit viele Frauen für sich. Bodybuilding entwickelt sich zum Lifestyle, dessen Trend sich in den sozialen Medien gut beobachten lässt: Influencer, wie Bodybuilderin Sophia Thiel, promoten einen sportlich-starken Lebensstil, der scheinbar leicht selbst zu verwirklichen ist. Unter dem Hashtag #thickfit ermutigt Exbodybuilderin Lita Lewis Frauen, die „beste Version ihrer Selbst“ herauszuarbeiten. Im Oktober 2015 zierte mit Martial-Arts-Kämpferin Ronda Rousy erstmals eine Frau das Titelbild der australischen „Man’s Fitness“. 2015 stieg die Zahl der Mitglieder in Fitnessstudios in Deutschland von 8,6 auf 9 Millionen, 56 Prozent davon sind weiblich. Die Ersten feiern schon. „Durchtrainiert statt Size Zero“, schrieb Anne Waak in „Die Welt“: „die neue Frau zeigt Stärke.“ Wirklich? Was verändert sich denn hier? Der Markt, die Rollenbilder?
Für Caroline ist Bodybuilding kein trendiger Lifestyle, sondern beherrschende Lebenseinstellung. Täglich trainiert sie eine Stunde, manchmal bis an die Erschöpfungsgrenze. „Es gibt Tage, da will ich nach dem Beintraining lieber weinend auf der Treppe sitzen, als hoch in die Umkleidekabine zu gehen, um meine Sachen zu holen“, sagt sie. Instagram tauglich sind solche Momente nicht. Genauso wenig wie Carolines Diätplan. 3.000 kcal täglich schreibt der ihr vor. Der durchschnittliche Grundumsatz einer Frau liegt laut Ernährungsindustrie bei etwa der Hälfte. Für Caroline sind das sechs Mahlzeiten am Tag, alle enthalten Fleisch, auch das Frühstück. So kommt sie auf rund zwei Kilogramm Fleisch pro Tag. Auf Zucker, Kohlehydrate und Fett verzichtet sie. Ich frage, ob sie vielleicht nicht doch mal Bock auf einen Schokoriegel hat?
„Das versteh ich nicht. Wenn ich richtig wild werde, dann ess ich mehr Fleisch. Was isst man denn, wenn sich gehen lassen will? ‚N Joghurt?“ Abweichungen nicht vorgesehen. Caroline und ihr Coach erzählen, dass sie gerne backen, gerne auch richtig aufwendige Torten mit Sahne, und dann anderen dabei zusehen, wie sie die Torten essen. Ich bin beeindruckt von so viel Disziplin und mentaler Stärke. Und frage mich gleichzeitig, ob diese ständige Selbstgeißelung, die als solche gar nicht wahrgenommen wird, nicht auch eine Form der Sucht ist?
„Ich weiß, dass mein Schönheitsideal nicht dem der breiten Masse entspricht. Ich mag feste Körper, feste Frauenkörper. Ich mag das auch bei Männern, aber ich denke, dass das bei Frauen immer noch etwas Besonderes ist, weil die meisten es da eher normal mögen“, sagt Caroline. Und ist das nicht die Krux? Was heißt denn „normal“? Bei allen Fitnesstrends und Körperbewegungen sind diese Fragen doch gleich geblieben: Welchen Körper dürfen Frauen haben? In welchem Köper dürfen sie zufrieden mit sich sein? Und mit welchem Körper werden Frauen akzeptiert?
Als Caroline die Bühne betritt, um ihren gestählten Körper zu präsentieren, wird mir klar: Starke Frauen, sie sind erwünscht, wenn sie einen goldenen Filter der Verklärung über ihre Instagram-Bilder legen. Aber über die Bühnen dieser Wettbewerbe hinaus sind (zu) starke Frauen nicht erwünscht. Dabei geht Caroline mit ihrem Körperkult wenigstens ehrlich und ungeschönt um – und erklärt ihn für andere nicht zum neuen trending Dogma.