Von Leyla Yenirce

Die indisch-US-amerikanische Tochter eines Sufi-Meisters wächst in Paris auf, komponiert Musik, entdeckt die Literatur, muss im Zweiten Weltkrieg aus Frankreich fliehen, kämpft als britische Geheimagentin gegen Nazi-Deutschland, wird verraten und am Ende in einem Konzentrationslager ermordet.

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© Natsuyo Koizumi

(Bildbeschreibung: Illustration aus der deutschen Übersetzung von Noor Inayat Khans Kindergeschichten. Die Illustration ist in kühlen blauen und grünen Tönen gehalten. Eine Figur steht mit dem Rücken zur betrachtenden Person auf Treppen und schaut in einen Raum.)

Es gibt so viele von ihnen, diese Biografien von Frauen of Color, die einem immer wieder den Atem rauben, weil sie wie ausgedacht klingen. Tatsächlich beschreibt sie die dreißig Jahre Leben der Kinderbuchautorin und Widerstandskämpferin Noor Inayat Khan. Ihre Erzählungen erscheinen nun in „König Akbar und seine Tochter. Geschichten aus einer Welt“ zum ersten Mal gesammelt in deutscher Sprache.

Die musikliebende und talentierte Autorin Noor Inayat Khan wächst in Paris auf, lernt Klavier und Harfe spielen und beginnt, ihre ersten Geschichten und Märchen zu veröffentlichen. Mit ihren unter anderem von mesopotamischer Mystik inspirierten Erzählungen und spielerischer Sprache macht sie sich einen Namen als französische Kinderbuchautorin. Sie selbst nennt ihre Werke „Geschichten und Gedichte für Kinder und Kindgebliebene“. „Ist das aber lustig, in der Nacht sind die Sterne auf die Erde geplumpst! Morgen muss ich früh aufstehen und sie aufheben, bevor der Straßenkehrer kommt“, schreibt Khan in „Der kleine Schutzengel“, eine Geschichte aus dem Band, dessen Inhalt im Vorwort als „Heldenreise der Seele“ bezeichnet wird. Moral und Freiheit spielen für Khan eine genau so wichtige Rolle wie Spiritualität. Sie schätzte die pazifistischen Sufi-Lehren ihres Vaters Hazrat Inayat Khan, die in ihren künstlerischen Arbeiten zum Ausdruck kommen.

Die Figuren in dem Märchenbuch Khans weisen viele Ähnlichkeiten zu ihrer eigenen Person auf. Sie sind ebenso mutig, gewissenhaft und stark wie ihre Verfasserin. In der Titelgeschichte „König Akbar und seine Tochter“ versucht die Hauptfigur Noor, die von ihrem Vater verbannt wurde, aus der Herrschaft eines fremden Königs zu entkommen. Dies schafft sie vor allem mit Kopf und Willenskraft und der Macht ihrer Poesie. Dass sie nebenbei noch das Leben Hunderter anderer Frauen befreit, passt zu der Person, die im echten Leben gegen Nazi-Deutschland gekämpft hat.

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König Akbar und seine Tochter. Geschichten aus einer Welt
von Noor Inayat Khan
Verlag Heilbronn

Nach der deutschen Besatzung Frankreichs musste Khan Paris verlassen. Sie bestand auf ihrem Pazifismus und beschloss trotzdem, aktiv zu werden und sich als Geheimagentin der britischen Special Operations Executive (SOE) anzuschließen. Die Journalistin und Verfasserin ihrer literarischen Biografie Shrabani Basu hat sie deswegen auch cool „Sky Princess“ genannt. Leider hat ihr Mut ihr das Leben gekostet. Kurz vor ihrer Rückkehr nach England wurde Khan verraten, in das Konzentrationslager Dachau deportiert und im September 1944 schließlich umgebracht.

Es klingt tragisch und tröstend zugleich, dass ihr Geist in diesen fabelhaften Kindergeschichten und Märchen weiterlebt. Bevor sie von den Nazis ermordet wurde, heißt es, sei Noor Inayat Khans letztes Wort „Liberté“ gewesen.