Ich komme, um zu helfen
Von
Von Elonë Kastrati
Vor genau einem Jahr bin ich nach Kosova gezogen, um einen Freiwilligendienst zu absolvieren. In diesem Jahr hatte ich die Möglichkeit, die Kultur so zu erleben, wie es mir in Deutschland nie möglich gewesen ist. Die Überbleibsel dessen, was meine Eltern aus ihrem Herkunftsland mitgenommen hatten, mussten wir auf das Minimale reduzieren, um uns anzupassen, nicht aufzufallen – Integration eben. Was dazu führte, dass ich ziemlich naive, westliche Ansichen auf viele Dinge hatte, die außerhalb der EU stattfinden. Ich fühle mich, als sei ich aus einem Winterschlaf erwacht.
Mein Erwachen sorgt für viele unangenehme Erinnerungen. Als wir das erste Mal nach dem Völkermord an muslimischen Albaner*innen zurück nach Kosova konnten, haben wir unser damaliges Haus zerbombt aufgefunden. Ich kann mich aber auch daran erinnern, wie froh meine verbliebenen Verwandten waren, uns wiederzusehen. Seitdem waren wir jeden Sommer dort und manchmal auch im Winter, über die Feriensaison eben. Anfangs wollten wir immer zurück und jedes Jahr waren wir kurz davor, abgeschoben zu werden, bis wir irgendwann einen unbefristeten Aufenthaltstitel bekommen haben. Ich habe mir immer gewünscht, in Kosova zu leben, während meine Verwandten immer sagten: „Ja, du musst ja schließlich nicht das ganze Jahr hier sein.“ Ich konnte das nicht verstehen, ich fand es super! Alle schienen immer so froh – und unbeschwert, trotz der schweren Bedingungen. Ich war also, auch als Kind zweier Geflohener, von Vorurteilen und gefährlichen Romantisierungen von Krieg und Armut verblendet. Das sind Dinge, die ich nach diesem Jahr anders sehe. Jedoch nicht etwa, weil ich jetzt weiß, wie es ist, denn das werde ich nie, solange ich deutsche Papiere habe. Mit deutschen Papieren kann ich hin, wo ich will, und der Staat schützt mich, falls es eine Krise geben sollte – und das ist der Unterschied zu meinen Verwandten. Ich kann jederzeit weg.
„Aus dem Kosovo also, da ist doch Krieg, ne? Wir müssen denen doch helfen!“ – Hilfe, dieses Wort ist eines derer, die für mich in diesem Jahr am wichtigsten geworden sind. Ein Wort, das ich in der Zeit meines politischen Winterschlafes noch lange genutzt habe. „Ich mag für ein Jahr ins Ausland, um zu helfen.“ LOL. Klar, ich kann Bilder mit Kindern malen oder Sommer-Camps mit Jugendlichen organisieren – Dinge, die jede andere Person aus Kosova auch machen könnte. Was eigentlich nur bedeutet, dass ich komme, wie viele andere deutschen Jugendlichen auch, um mir Jobs abzugreifen, die lokale Personen genauso gut bewältigen können, oder um zu helfen.
Natürlich habe ich in Deutschland ein anderes Bildungssystem genossen – aber dieses habe ich eben auch nur genießen dürfen. Es macht mich nicht genetisch intelligenter, in Deutschland aufgwachsen zu sein, und genau das ist die Nachricht, die wir westlich sozialisierten FSJler*innen überbringen; so lange, bis sie sogar die Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern glauben und wir ihnen somit die Hoffnung rauben, überhaupt etwas verändern zu können.
„Ja, dann sollen die halt ausreisen.“ Seit 1999 ist Kosova ein isoliertes Land, selbst nach der scheinheiligen Unabhängigkeit. Wer nicht über eine zweite Staatsangehörigkeit verfügt, ist in den nationalen Grenzen des Staates Kosova gefangen. Menschen, die Geld haben oder arbeiten, können es vielleicht schaffen, ein Visum zu beantragen. Bei einer Arbeitslosigkeitsrate von 70 Prozent bei Jugendlichen und bei 45 Prozent, die in absoluter Armut leben (weniger als 1,43 Euro pro Tag), ist es also ziemlich unrealistisch auszureisen.
Kosova wurde 2015 als sicheres Herkunftsland eingestuft, weil hier ja schließlich keine Bomben mehr fliegen. Weil es hier aber so sicher ist, haben wir natürlich immer noch den KFOR zum vermeintlichen Schutz da. Da stellt sich natürlich die Frage, wovor. Die Funktion des KFOR ist inzwischen nicht mehr so klar. Aktiv habe ich US-amerikanische KFOR-Soldaten letztes Wochenende in einer Tanzbar gesehen, abends, in Uniform. Von Tisch zu Tisch versuchten sie ihr Glück. Als sie einmaschiert sind, dachte ich zuerst, es wäre etwas passiert, wegen der Uniform. War aber wohl einfach ihr #OOTD (Outfit Of The Day).
Das wäre nicht das erste Mal, dass ich von selbsternannten Helfern enttäuscht wurde. Es gibt immer noch diese weißen alten deutschen Männer oder die „Helfer“ von 2000–2001, die zwei Säcke Klamotten in den Balkan gebracht haben und zurückgekommen sind mit Listen, wie viele „exotische“ einheimische Frauen sie angeblich entjungfert haben, die sie dann stolz in ihren deutschen Dörfern rumgezeigt haben.
Zum „Glück“ haben wir den US-amerikanischen Bootschafter Greg Delawie hier, dessen Aufgabe eigentlich wäre, die Korruption in Kosova zu bekämpfen. Niemand ist sich jedoch sicher, wie das funktionieren soll, wenn er ein Teil davon ist. Durch Rückendeckung der kriminellen Regierung in Kosova und das Wissen, seine Privilegien als weißer Cismann aus den USA ausnutzen zu können, um mögliche Stimmen, die etwas vor Ort verändern könnten, als unzurechnungsfähig und primitiv darzustellen, setzt er alles daran, eine selbstständige Entwicklung im „Entwicklungsland“ Kosova aufzuhalten.
Nach all der Hilfe wird mir ganz warm ums Herz, heiß, mein Blut kocht. Wenn du also darüber nachdenkst, ein FSJ im Ausland zu machen, könntest du dir zu Herzen nehmen, dass du das lediglich für dich selbst machst, um vielleicht einen Einblick in eine Kultur zu bekommen. Du solltest dankbar sein, angenommen zu werden von den Menschen vor Ort. Nicht etwa, weil du denkst, einem Land aus der Krise helfen zu können – vor allem, wenn dein eigenes Herkunftsland durch Machtverhältnisse, beispielsweise in Form von ökonomischer Ausbeutung oder Kolonialgeschichte, eines der Hauptverantwortlichen dafür ist, dass diese Länder sich nicht weiterentwickeln können. Es sollte für dich klar sein, dass der Sinn davon nicht ist, im teuersten Restaurant der Hauptstadt mit anderen Internationals zu chillen, um dort Kaffee zu trinken, den sich die meisten Menschen vor Ort nicht leisten können.