Von Nadine Schildhauer

Noch Wochen nach dem Konzert in der Kantine am Berghain blieb mir der Song „Fruit“ vom Album „Roses“ in Erinnerung, fast schon trance-artig flüsterte ich die Songzeilen vor dem Schlafen, in der Bahn und auf der Arbeit vor mich hin:
Are you really gonna stand there staring all the way from across the room
Don’t listen to a word they say
I am in your head like every day
You deny yourself and then you scream my name all night
I can’t take it.

© Tyler Mitchell
© Tyler Mitchell

In meine Tagträume brannte sich die ABRA-Ästhetik ein: rosa Kaugumminebel, dämmriges Licht und Kuscheltiere. Ästhetisch wie auch musikalisch gehört ABRA neben der kanadischen Rapperin Tommy Genesis – beide sind Teil des Awful Records Label-Kollektivs – mit ihren Crop Tops, Mom-Jeans, ihren ungleichmäßig blondgefärbten Haaren und ihrer Grunge-Attitüde zu meinen wichtigsten Style- und Musik-Crushes aus dem letzten Jahr.

Die beiden Awful-Girls featuren sich auf ihren Platten immer wieder gegenseitig und sind auch privat gut befreundet. Awful sind besonders bekannt durch ihren sexualisierten left-field Hip-Hop, mit dem sie sich in der Atlanta-Trap-Szene als Außenseiterinnen positionieren und das wie sympathische High-School-Kids zelebrieren – nur eben als Erwachsene. Für das aktuelle Release steuerte Tommy Genesis einen düsteren Freestyle-Lolita-Rap für den Song „Big Boi“ bei: „I can be a lot of things, but I ain’t your girl / You’re big boi, but you’re not gonna be my men“, während ABRAs Beats und melodisches Summen nur im Hintergrund zu hören sind. Neben diesem Feature handelt es sich bei der EP um eine reine Solo-EP.

Für ihre dritte Veröffentlichung, die EP „Princess“, arbeitete ABRA erstmals mit dem Major Label True Panther (ein Sublabel von Matador) zusammen, das besonders durch Acts wie King Krule und Glasser bekannt ist. Als „Princess“ im Juli herauskam, glich das einer emotionalen Achterbahnfahrt. Nach dem ersten Hören war ich betrübt: Die EP lieferte keine Hits und keine eingängigen Refrains wie im Song „Roses“: „I am young and I waste you away-ay-ay / I am young and I waste you away-ay-ay“. Nach dem dritten Song „Crybaby“ habe ich die EP ausgeschaltet und eine Zeitlang ignoriert.

ABRA-Princess-2016Princess
Abra
True Panther
bereits erschienen
Am 2. September tritt ABRA im Rahmen des Pop-Kultur Festivals in Berlin auf.

Vor zwei Wochen habe ich mich „Princess“ wieder angenähert und schätze sie jeden Tag ein wenig mehr: Der nur einminütige Song „Come 4 Me“ leitet die EP mit der Ansage ein, keinen Erwartungen gerecht werden zu wollen:
I’m ’bout to dive in my honey / Then flip that band and make more money / Go tell them girls you can’t come for me / Go tell the world that they can’t come for me.

Er gibt die Stimmung für alle folgenden Tracks vor. So ist der Sound der EP durchgehend von der klackernden Drum Machine 808 gekennzeichnet, den melancholischen Moll-Tonlagen und ABRAs Markenzeichen: mehrfach überlagertem Gesang, der oft in einer Art Chorus mündet.

Die Songs „Vegas“ und „Crybaby“ testen die Effektpalette der 808 aus, der Fokus liegt aber auf ABRAs Stimme, besonders durch die Verwendung von sparsam eingesetzten Beats. Dazu springt sie, wie in „Crybaby“, zwischen einer hochgepeitschten Soulstimme, Flüstern und niedrigeren wie auch höheren Tonlagen hin und her. Die Betonung liegt meist auf den Endsilben der Verse, die ABRA in die Länge zieht, wiederholt und damit spielt, bis der Song vollständig durch die Überlagerung von Summen und Gesang ausgefüllt und vergessen ist, dass die Drum Machine und warmen Synthis kurz ausgesetzt haben, um diese dann wieder reinzuholen und die Songs vom melancholischen Schwelgen in einen Pop-Drive zurückzuführen. ABRA verhandelt in ihren Songs verletzende Beziehungsdynamiken, verwandelt ihre vermeintlichen Schwächen in Stärken und singt wortgewandt-lässig: You always call me a crybaby/ Well let me teach you how to cry, baby.

ABRA ist kein Anti-Popstar. Ihre Wirkkraft liegt nicht in der großen Inszenierung einer Kunstfigur, sondern textlich in der Zelebration ihres Selbstbewusstseins. Sie wirkt wahnsinnig authentisch, aber mit „Princess“ wagt es ABRA auf dem Cover erstmals, eine künstlichere Figur anzunehmen: Oberkörperfrei, mit weißen Stricken, kurzen High-Waist-Jeans steht sie vor einem weißen Schimmel und schaut mit einem undefinierbaren Blick in die Kamera. Das ist wahnsinnig cool und scheißt auch erstmals ein wenig auf Authentizität.