Ehrenlos
Von
Von Azadê Peşmen
Mit der Ehre ist das so eine Sache. Die meisten Menschen, vor allem die, die als Männer durch die Welt gehen, halten sie für so schützenswert wie ein UNESCO-Weltkulturerbe. Damit meine ich nicht, zu rennen/Fußball zu spielen [you name it] „wie ein Mädchen“, sondern einen verletzten Stolz mit sich herumzutragen, weil Mann sich zu ernst nimmt. Zurückweisung, enttäuschte Liebe: Das sind die häufigsten Motive für Stalking. Die meisten stellen ihren Opfern (davon sind 80 Prozent Frauen – nicht-binäre Personen und nicht eingetragene Transpersonen wurden als solche nicht aufgelistet und die exakte Statistik wurde somit nicht erfasst, sie sind sicherlich jedoch auch von Stalking stärker betroffen als Cismänner) nach, verfolgen sie auf der Straße, rufen ständig im Büro und zu Hause an, kurzum: machen einer das Leben zur Hölle.
So war das auch bei einer Münchner Architektin, die sechs Jahre lang Tagebuch darüber geführt hat, wann ihr ihr Exfreund wo aufgelauert hat – und das, obwohl sie gerichtlich ein Kontaktverbot erwirkt hat. Vor einer Woche wurde sie vor ihrer Wohnung erstochen, ob ihr Exfreund der Täter ist, ist noch nicht klar, verdächtig ist er allemal. Fakt ist auch, dass dieser Fall zeigt, dass die bisher geltenden Gesetze nicht wirken. Die 45-Jährige hat alles getan, was die Paragrafen in ihrem Fall fordern: Umzüge (vier in den letzten sechs Jahren), Wechsel des Arbeitsplatzes und die minutiöse Dokumentation des ihr widerfahrenen Stalkings.
Justizminister Heiko Maas möchte das Gesetz ändern, demnach soll es ausreichen, „dass die Handlung des Täters objektiv dazu geeignet ist, beim Betroffenen eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung herbeizuführen“. So heißt es im Gesetzesentwurf, den das Kabinett entschieden hat. Das mag auf den ersten Blick wie ein Fortschritt klingen, immerhin muss das Opfer nicht mehr den Wohnort und den Arbeitsplatz wechseln (was sich ohnehin nur Bessergestellte leisten können), um den*die Stalker*in wegen Nachstellung anzuzeigen, aber dennoch: Die Beweislast liegt beim Opfer, das strafrechtlich relevante Informationen sammeln und dokumentieren muss.
Warum reicht es nicht aus, die eigene Bedrohungslage auszusprechen und zu erwirken, dass die Grenzen eines Menschens respektiert und geachtet werden? Was macht es mit einem Menschen, rund um die Uhr zu beobachten, wie sich ein*e ehemalige*r Partner*in in das Privatleben einschleicht? Es bleibt nicht nur beim Auflauern im öffentlichen Raum, vor der eigenen Haustür und beim Arbeitsplatz (schlimm genug), Sozialen Netzwerken sei Dank können Frauen und nicht-binäre Personen auch dort belästigt werden. Ja, man kann auf Facebook und Twitter einzelne Nutzer*innen sperren, sodass sie einen nicht mehr kontaktieren können, aber es ist kein großer Aufwand, sich ein neues Konto zu erstellen und die Person weiter zu terrorisieren, als gäbe es kein Morgen.
Angenommen all das ist nachweisbar: Was macht es mit einem Stalking-Opfer, den*die Täter*in vor Gericht konfrontieren zu müssen? Das passiert nämlich bei einer Anklage und trägt sicherlich nicht zur psychischen Gesundheit bei. Vor allem dann, wenn die Erfolgsaussichten gering sind: 2013 wurden bei 19.700 erfassten Fällen nur 236 verurteilt. Nicht gerade abschreckend für potenzielle Stalker*innen, das höchste Strafmaß liegt bei zehn Jahren. Der Schaden, der dem Opfer zugefügt wurde, hält ein Leben lang.