Die Hexen des HipHops
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Von Hengameh Yaghoobifarah
Der September ist ein fetter Monat für HipHop-Fans: Gleich drei coole Femmes veröffentlichten neues Material. Die Messlatte hat M.I.A. gleich zu Beginn des Monats sehr hoch gesetzt, mit dem Release ihres fünften Albums „AIM“. Die Singles „Borders“ und „Go Off“ deuteten schon an, dass diese Bombenbraut für ihr vorerst letztes Studioalbum richtig reingehauen hat. Ein Feature mit dem ehemaligen One-Direction-Star Zayn Malik sowie die Zusammenarbeit mit Blaqstarr, The Partysquad oder auch Skrillex stellen schon mal ein vielversprechendes Line-up zusammen.
Um die tamilisch-britische Multimediakünstlerin kreisten bereits Monate vor dem Albumrelease einige Debatten, u. a. über Anti-Schwarzen Rassismus, Flucht und einen Mittelfinger im Live-Fernsehen zur Primetime. Immer wieder wurde auch der Vorwurf des Radical Chic laut, der jedoch häufig so verkürzt ist, dass M.I.A.s eigene Biografie und Fluchterfahrung aus dem Fokus der Kritiker*innen gerät. Sie legte sich mit der NFL, Beyoncé und der #BlackLivesMatter-Bewegung an, war dabei sehr unapologetisch und kassierte dafür – teils berechtigte – Schellen. Nichtsdestotrotz erweckt es den Anschein, dass die Öffentlichkeit sie besonders harsch unter die Lupe nimmt und eine Kritik nach der anderen auf sie abfeuert. Ist M.I.A. paranoid oder sind wirklich alle hinter ihr her, fragte sich auch „The Guardian“-Journalist Tom Lamont.
https://www.youtube.com/watch?v=oIAUOtm0YTc
Auf „AIM“ führt M.I.A. ihren hybriden Sound – ein Mix aus Global, HipHop und Elektro, gepaart mit digitalen Geräuschen wie dem Piepen des OS-Programms Photo Booth – und ihre starke Attitüde konsequent fort, auch wenn das Album im Gegensatz zum Vorgänger „Matangi“ in sich weniger rund erscheint. Doch das stört kaum, denn M.I.A. steht auch für Kanten und Widersprüche. So trifft in „Freedun“ der nahezu kitschig-poppige Refrain, gesungen von Zayn Malik, auf den zynischen Text über Aktivismus und den optimistischen Klang, direkt aus der „People’s Republic of Swagistan“.
„AIM“
M.I.A.
Interscope Records
Raus aus Swagistan, ab nach New York City geht es mit Princess Nokia. Die 24-jährige Afro-Latina baute sich mit ihren Singles und Videos „Young Girls“ und „Tomboy“, die nebst ihrem „Smart Girl Club Radio“ sowie sympathischen Interviewauftritten von jungen Frauen als sehr ermächtigend empfunden werden, bereits eine große Fanbase auf. Am 6. September ist ihre lang ersehnte EP „1992“ auf SoundCloud erschienen.
https://soundcloud.com/destiny-frasqueri/sets/1992a
Ihre Beats sind soft-verträumt und hart zugleich, ihre Texte ehrlich, ihre Sprache unverblümt und ihre Performance mächtig. Das genretypische Egospiel des eigenen Abfeierns beherrscht sie perfekt. Dass viele der Eigenschaften, die Princess Nokia selbst zelebriert, sie mehr oder weniger zum Weirdo machen – die Selbstbezeichnung als Bruja (Hexe) oder Semidrohungen wie „Don’t you fuck with my energies“ etwa –, erhebt sie auf das Podest der coolsten Uncoolen.
Der Gesamtheit der guten Songs auf ihrer EP begleitet jedoch ein bitterer Beigeschmack: Gleich im ersten Track „Bart Simpson“ rappt sie einen antisemitischen Vers . Auf die Kritik, was sie denn damit meine, dass sie ihr Geld von „the Jews“ hätte, antwortete sie mit dem Hinweis, dass sie früher von reichen jüdischen Tanten und Onkel finanziell unterstützt worden wäre. So richtig überzeugend ist es nicht, für die Kategorie „Problematic Fav“ reicht es allemal.
„1992“
Princess Nokia
ohne Label
Dass sie und Mykki Blanco sich auf ihren neuen Projekten gegenseitig nicht gefeatured haben, ist angesichts ihres fulminanten gemeinsamen Tracks „Wish You Would“ extrem schade. So oder so sind ihre Veröffentlichungen super.
Nach vier Mixtapes und einer Compilation bringt die in New York lebende Rapperin und Kunstfigur Mykki Blaco nun ihr Debütalbum auf dem eigenen Label Dogfood Music heraus. Unter dem simplen Titel „MYKKI“ umfasst die Platte 13 Nummern. Klangtechnisch bewegt sich das Album in düsteren, etwas trappigen Sphären, die bei Mykki Blanco bekannten Punkelemente werden wieder aufgegrifffen, die Genrevariationen geben Raum für ihre vielen Facetten.
Eine von ihnen ist Kimmy Blanco, eine Referenz auf Rapperin Lil‘ Kim. Inspiriert von ihr sowie vom Spirit der Riot Grrrls spielt Feminismus bei Mykki Blanco eine große Rolle. Abseits von essenzialisierender Identitätspolitik bringt sie gesellschaftskritische Themen aus Schwarzer und queerer Perspektive in ihrer Musik ein. So interpretiert sie etwa in ihrem Video zu ihrer Single „High School Never Ends“ Shakespeares „Romeo und Julia“ unter Einbeziehung rassistischer und genderdiverser Realitäten neu. Dabei war die Highschool-Zeit für sie gar nicht so schlecht, wie sie mir in einem Interview in Berlin erzählt. Umgeben von der finsteren, verhexten Atmosphäre des ehemaligen Krematoriums in Berlin-Wedding, in dem parallel eine afro-futuristische Ausstellung über Suprareales und Hexerei läuft, sitzt ein erkälteter Michael David Quattlebaum Jr. samt Managerin an einem heißen Julitag vor mir und spricht über seine Arbeit und die von ihm geschaffene Kunstfigur.
Ob ich es gerade mit Michael oder Mykki zu tun habe, wechselt stark, mal spricht die Person aus der ersten Person von sich, mal aus der dritten. Bei unserem letzten Interview vor etwa einem Jahr positionierte sich Michael als genderqueer, mittlerweile spricht er von sich als einem schwulen Mann, der auch Mykki Blanco ist – aber eben auf der Bühne. Dem war nicht immer so, lange hat Mykki auch den Alltag dominiert. Wenn eine bekannte Person wie sie darüber spricht, wie Genderidentitäten auch fluktuieren können und eine*r sich nicht auf etwas festlegen muss, gibt es mir die Hoffnung, dass das Verständnis von fluidem Geschlecht vielleicht irgendwann auch in der Mehrheitsgesellschaft ankommt.
Die Flucht vor bindenden Labels ist letztlich auch nachvollziehbar, da sie Künstler*innen häufig auf ihre gesellschaftlichen Positionen reduzieren und ihre Arbeit nicht genug Beachtung findet. Mykki Blanco zum Beispiel wird oft im selben Atemzug wie die beiden Rapper Zebra Katz und Le1f genannt, quasi in der Kategorie „Queer Rap“. Nicht alle von ihnen ordnen ihre Arbeit unter diesem Genre ein, aber da sie alle drei rappen und Schwarz und queer sind, scheint es für einige als Zusammenfassung auszureichen. Niemand würde 50 Cent und Kendrick Lamar in die gleiche Schublade stecken. Das Queersein funktioniert für das Othering und das Pauschalisieren offenbar gut.
„MYKKI“
Mykki Blanco
!K7/Dogfood Music Group
„MYKKI“ startet mit dem wunderbar einleitenden Track „I’m In A Mood“, der Mykki Blancos Femme-inität gut einrahmt. Sie präsentiert sich schlagfertig, einschüchternd, klug und hart. Das hindert sie trotzdem nicht daran, über Einsamkeit, Sehnsucht, Liebe und Außenseiterinnentum zu rappen. Das Albumcover fängt Mykki Blanco in einer melancholisch-verträumten Atmosphäre auf dem Land ein. Sie trägt mehrere Lagen übereinander, ihr Oberkörper ist frei, sodass ihre Tattoos sichtbar werden. Zwei Davidsterne für ihren jüdischen Vater, Snoopy, ein Peace-Zeichen und „Pony Boy“ in geschwungener Schrift stechen unter den vielen hervor. Ihre Arme sind ineinander verhakt, ihr Blick gesenkt.
M.I.A., Princess Nokia, Mykki Blanco – sie bewegen sich in sehr unterschiedliche Richtungen des HipHops. Während letztere beide in ihrer Kollaboration bewiesen, dass sie sehr gut zusammenpassen, ordnet M.I.A. sich nicht einmal vollständig dem Genre zu, schließlich ist ihre Musik eine Collage mit vielen Einflüssen. Alle drei zeigen sie jedoch ihre politischen Haltungen sehr offensiv und gelten selbst innerhalb ihrer Fanbases für umstritten – das mag daran liegen, dass viele ihrer Zuhörer*innen aktivistisch und in ihrem Popkonsum besonders kritisch sind. Diese Künstlerinnen sind furchtlos, provokativ und führen die Szenen mit ihren einzigartigen Visionen an. Ihre Verschiedenheiten übermalen ihre Gemeinsamkeiten mit Sicherheit, Potenzial für Allianzen zwischen ihnen gibt es jedoch allemal.