Von Zofia nierodzinska

Am letzten Montag haben in Polen zahlreiche Frauen gestreikt. Dieser Tag ist als „Schwarzer Montag“ bekannt geworden, und mit den Hashtags #CzarnyProtest („Schwarzer Protest“) und #BlackMonday protestierten Tausende gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes. Einen Tag lang gingen Frauen in Polen nicht zur Arbeit, zur Universität oder in die Schule und fuhren nur Auto, um zum Ort der Demonstration zu gelanden.

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© Zofia nierodzinska

Initiiert wurde der Streik von der polnischen Schauspielerin Krystyna Janda. Auf ihrer Facebook-Fanpage rief sie zu einem bundesweiten Protest aller Frauen auf und bezog sich damit auf einen isländischen Streik von 1975. Damals demonstrierten fast alle isländischen Frauen für Gleichberechtigung.

Der Streik in Polen richtet sich gegen das Ergebnis einer Abstimmung über zwei Petition zur Veränderung des Abtreibungsgesetzes, die am 23. September im Parlament stattgefundenen hat. Bei den zwei Gesetzesvorschlägen, die der Regierung vorgelegt wurden, handelt es sich einerseits um einen Vorschlag zur Liberalisierung des aktuellen restriktiven Gesetzes von der Bürgerinitiative „Ratujmy Kobiety“ („Rettet die Frauen“) und andererseits um einen Entwurf der Bürgerinitiative „Stop aborcji“ („Stopp Abtreibung“), der ein absolutes Abtreibungsverbot, das heißt auch im Fall einer Vergewaltigung, vorsieht. Trotz der 150.000 gesammelten Unterschriften wurde ersterer sofort abgelehnt, der zweite hingegen nach der ersten Lesung zu einer weiteren parlamentarischen Debatte zugelassen.

Diese politische Rückentwicklung und Ungerechtigkeit empört Frauen in ganz Polen, mehr noch als der fragwürdige Brief, der im April diesen Jahres von polnischen Priestern während der Sonntagsmesse in vielen Kirchen verlesen wurde. Schon im April haben Frauen ihre Empörung in Form von Protesten und organisiertem Widerstand zum Ausdruck gebracht. Als Reaktion auf den Frauen und Abtreibungsbefürworter*innen diskreditierenden Brief verließen viele Frauen demonstrativ die Messe.

Mit schwarzen Outfits zeigten am Montag die Protestierenden ihre Trauer über die seit 23 Jahren anhaltende Aberkennung der Rechte von Frauen. Die Farbe Schwarz wird hier zum Symbol des Widerstandes – in einem Moment, in dem das Recht, als Frau entscheiden zu dürfen, noch weiter beschränkt zu werden droht. Der Gesetzesvorschlag von „Stop aborcji“ sieht vor, dass Frauen im Falle einer Abtreibung zu einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt werden können. Des Weiteren sollen Staat und Gemeinde dazu verpflichtet werden, Mütter von behinderten Kindern finanziell zu unterstützen, und Minderjährige, auch im Fall einer Vergewaltigung oder eines Inzests, verpflichtet werden ein Kind zu gebären. Diese Verschärfung des Gesetzes, das zu einem der restriktivsten in Europa zählt – nur in Irland, Vatikan, Monaco, Malta und Liechtenstein gilt ein schärferes Abtreibungsgesetz – läuft darauf hinaus, dass Frauen und Mädchen so gut wie keine selbstbestimmte Wahl mehr im Falle einer ungewollten Schwangerschaft haben werden.

Als Repräsentantin und Pro-Choice-Aktivistin der nicht-kommerziellen Gruppe „Ciocia Basia“ (Tante Barbara), die Schwangerschaftsabbrüche für Frauen aus Polen oder aus anderen Ländern, in denen Abtreibung illegal ist, in Berlin ermöglicht, wurde ich zum Protest am 3. Oktober nach Poznan eingeladen. Die Demonstration auf dem Adam-Mickiewicz-Platz wurde von lokalen Aktivist*innen und mehreren Organisationen, wie etwa Ratujmy Kobiety, Dziewuchy Dziewuchom (Mädels für Mädels), W naszej sprawie und Konsola, organisiert.

Um 14 Uhr soll es losgehen, es regnet in Strömen. Auf der Straße sehe ich viele schwarz gekleidete Frauen, auch hier in dem Laden, in dem ich einen schwarzen Kaffee bestelle. Die Frau hinter der Theke bereitet gerade etwas zum Essen vor, ihr männlicher Kollege erklärt mir, dass sie eigentlich nicht arbeitet und nur für sich selbst ein Brot für den Protest macht. Beide tragen Schwarz. Alles hat heute eine politische Bedeutung. Entweder arbeitet man und trägt helle Klamotten, oder man verweigert die Arbeit und zieht dunkle Kleidung an. Man ist entweder für oder gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes.  Grautöne sieht man heute kaum.

In Poznan, einer der liberalsten Städte in Polen, bleiben heute viele Institutionen und Läden geschlossen, einige stellen sogar ihre Räume den Demonstrant*innen zur Verfügung, etwa das Centrum Kultury Zamek, und auch der Bürgermeister der Stadt ist beim Protest zu sehen.

Kurz vor 14 Uhr versammeln sich Menschen mit schwarzen Regenschirmen auf dem Adam-Mickiewicz-Platz, eine halbe Stunde später sind schon zwischen sieben- und zehntausend Protestierende vor Ort, überwiegend Frauen. Der Platz ist ein wichtiges Symbol für die Stadt, hier haben die Proteste gegen das kommunistische Regime 1956 stattgefunden, daran lässt ein Denkmal in Form von zwei großen Betonkreuzen erinnern. Jetzt sind diese Kreuze eher ein Symbol des Opportunismus, sie repräsentieren den Regierungskurs und die katholische Kirche, die sich für eine Beschränkung der Frauenrechte einsetzen. Heute sind überall Transparente und Plakate zu sehen, auf denen eine Gebärmutter abgebildet ist, aus der ein Kreuz herausragt, das sich in einen Mittelfinger verwandelt.

Auf der Bühne sprechen Repräsentantinnen der Frauenorganisationen, Mütter von Kindern mit Behinderung, die ihre Erfahrungen nicht von der Kirche instrumentalisieren lassen wollen, oder einfach Frauen, die enttäuscht und wütend sind. Zwischen den Redebeiträgen gibt es Performances und einen Manifest-Song, es ist laut und trotz des Regens warm, die Stimmung dank Hexenchor und Samba-Band gut. Die Frauen skandieren: „Moje ciało, mój wybór“ (Mein Körper, meine Wahl), „olidarność naszą bronia“ (Solidarität ist unsere Waffe) oder „To jest Strajk ostrzegawczy“ (Das ist ein Warnstreik). Nach der offiziellen Demonstration verlässt ein Teil der Protestierenden den Platz und bewegt sich in Richtung des Sitzes der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Die Situation ist dort sehr angespannt, jemand zündet eine Rakete, die Polizei nimmt drei Menschen fest. Der Protest endet vor der Polizeistation.

Bereits 1993, vier Jahre nach dem Mauerfall, wurden in Polen die Rechte von Frauen im Hinblick auf den Schwangerschaftsabbruch beschnitten. Das bis dahin geltende Gesetz, das Abtreibungen aus sozial-ökonomischen Gründen als legal anerkannte, wurde abgeschafft und durch einen von Solidarność-Aktivisten (spätere Politiker) mit den katholischen Oberhäuptern des Landes vereinbarten „Kompromiss“ ersetzt.

Dieser sogenannte Kompromiss brachte ein Abtreibungsgesetz in Polen hervor, das Schwangerschaftsabbrüche nur in drei Fälle erlaubt: wenn die Frau vergewaltigt wurde, wenn Gefahr für Leib und Leben der Frau besteht und wenn beim Fötus eine Behinderung oder schwere Krankheit diagnostiziert wurde. Dieses Gesetz wurde und wird jedoch von vielen Ärzt*innen auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert und bleibt daher letztlich bis zu einem gewissen Grad Auslegungssache. Der neue, radikalisierte Gesetzesvorschlag macht jedoch eine objektive Debatte über Abtreibungen, welche einen routinemäßigen medizinischen Eingriff darstellen, im Grunde unmöglich. Schon jetzt schweigen Frauen und Ärzt*innen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt haben, aus Angst vor möglichen rechtlichen oder sozialen Konsequenzen.

Laut dem Nationalen Gesundheitsfonds wurden in Polen im letzten Jahr 1812 legale Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Zum Vergleich: In Deutschland wurden 2014 rund 99.700 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Der Unterschied zwischen den zwei benachbarten Ländern könnte entweder darauf hinweisen, dass polnische Frauen sehr selten ungewollt schwanger werden und dass sie, wenn sie es werden, trotzdem die Kinder gebären – dies scheint jedoch mit einem Blick auf die Geburtenrate relativ unwahrscheinlich zu sein –, oder – und diese Betrachtung scheint naheliegender – polnische Frauen führen Schwangerschaftsabbrüche im Ausland oder illegal im Untergrund durch.

Als Mitglied der „Ciocia Basis“ kann ich eher die zweite Annahme bestätigen. Täglich kontaktieren uns Frauen, die Hilfe oder einen Rat brauchen; jede Woche entscheiden sich zwei bis drei von ihnen nach Berlin zu kommen, um hier ihre Schwangerschaft abzubrechen. Als „Ciocia Basia“ helfen wir diesen Frauen mit Übersetzungen, begleiten sie in die Klinik, organisieren kostenlose Übernachtungen und unterstützen sie, wenn nötig, finanziell bei der Bezahlung des medizinischen Verfahrens. Wir ziehen aus unserer Arbeit keinen finanziellen Gewinn, unsere Tätigkeit wird von den Spenden ermöglicht, die wir bei Soli-Veranstaltungen sammeln.

Am Tag nach der Demonstration sehe ich Fotos, die Bekannte in Warschau, Wroclaw, Krakow, Berlin, New York, Dublin und London gemacht haben, aus Kenia kommt ein Solidaritätsvideo. All das dokumentiert: Am Montag sind Tausende Frauen auf die Straßen gegangen, um ihre Solidarität und ihre Wut auf die Arroganz der polnischen Regierung zu bekunden. Die Lage ist ernst, der Streik ein Warnsignal für die Regierenden: Es wäre für sie besser, wenn sie diesmal zuhören würden.

Zofia nierodzinska ist visuelle Künstlerin, Theoretikerin und Aktivistin. Sie hat an der Universität der Künste in Berlin  „Art in Context“ und an der Kunstakademie in Poznan, Polen, studiert, wo sie aktuell an ihrer Dissertation arbeitet. Seit 2011 lebt sie in Berlin.

Am Mittwoch Abend wies schließlich das polnische Parlament den Abtreibungsgesetz-Vorschlag der Bürgerinitiative „Stop aborcji“ zurück. Das polnische Abtreibungsgesetz zählt nach wie vor zu den restriktivsten in Europa. Die Frauen in Polen werden ihre Regenschirme nicht niederlegen.

– Die Autorin dankt Lisa Schwalb und Thomas Lindenberg für die Unterstützung –