Von Nadine Schildhauer

„Wir waren so ein bisschen Fans voneinander“, erzählen die Gründungsmitglieder Theresa Stroetges (Golden Diskó Ship) und Jana Sotzko (Dropout Patrol) der Band Soft Grid über die ersten Begegnungen auf ihren Konzerten. Beide Sängerinnen und Multiinstrumentalistinnen sind eine gefühlte Ewigkeit in der Berliner Musikszene unterwegs. „Es sind keine Neuigkeiten, dass da fast keine Frauen am Start sind“, erzählt Stroetges abgeklärt. Jana setzt nach: „Mit Anfang 20 kannte ich noch mehr Frauen, die auch Musik gemacht haben, aber es sind immer mehr Frauen rausgedroppt. Ich kenne nicht so viele in ihren Mittdreißigern. Ich habe den Eindruck, dass ab spätestens 30 hobbymäßiges Musikmachen kein Entwurf mehr sein kann.“

© Sara Perovic
© Sara Perovic

Als explizite Frauenmusik kann Soft Grid dennoch nicht verstanden werden, das merkt man spätestens bei den Popbezügen. Die Debut-LP „Corolla“ spielt auf den Kanye-West-Song „Hold Your Liquor“ von dessen Album „Jesus“ an: „Wir fanden das Album musikalisch den Hammer, aber natürlich habe ich mich beim Hören der Texte gefragt, darf ich das eigentlich gut finden? Die Lyrics sind zum Teil ultrasexistisch“, wendet Sotzko ein, während Stroetges ergänzt: „‚Yeezus‘ ist eben fast schon experimentelle Musik mit unerwarteten Breaks, Schreielementen und dann plötzlich Bon Iver, der irgendwas ganz Schönes singt, und dann ballert’s wieder. Ich finde es immer noch richtig fett.“

Die Bedeutung von „Corolla“ fächert sich aber auf noch sehr viel mehr Ebenen auf: „Man kann auf die Ästhetik der Auto-Kunst-Welt anspielen, die zum Cover passt. Zudem ist es ein griffiges Wort, das auf die Anatomie einer Blume anspielt, nämlich auf den recht fragilen Blütenbestandteil: Corolla“, so Sotzko.

Trotz der Referenz zu einem massiven Pophit handelt es sich hier um keine poppig arrangierten Songs. Strophe und Refrain sucht man auf „Corolla“ vergeblich. Die ersten Aufnahmen zur EP sind spontan entstanden, ohne größere Vision. Für beide Musikerinnen stand nur fest, dass sie keine Songs im klassischen Sinne schreiben würden: „Wir reden permanent über Musik und spielen uns Sachen vor. Zu überlegen, wie ist dieser oder jener Mount-Kimbie-Song aufgebaut, wie ist das strukturiert oder wie wird hier mit Zeit umgegangen, das hat viel mehr den Prozess des Musikmachens befördert als irgendeine übergeordnete Vision“, so Sotzko.

© Sara Perovic
© Sara Perovic

Die ersten Aufnahmen fanden im Rahmen der EP „Stingrays“ in einem Potsdamer Studio statt, das in einer verlassenen Lungenheilanstalt für Kinder gelegen ist. Der Song „Hospital Floor“ spielt mit diesen Rahmenbedingungen: „Two days locked in the psychic ward / Two hundred kids put their fingerprints all over the place.“ Während sich der Song immer mehr steigert, zerstückelt wird und Störgeräusche eingespielt werden, frisst sich der creepy Text ins Bewusstsein. Sotzko erklärt: „Kurz bevor wir da waren, wurde ein Horrorfilm gedreht, und an den Wänden waren überall Kinderhandabdrücke. Fast schon ‚Blair Witch Project‘-mäßig. Es war Winter. Wir haben uns selbst auf der Etage eingeschlossen, die wir nur für uns hatten. Man konnte sich total vorstellen, wie lungenkranke Kinder durch die Gänge geistern. Das war ein bisschen unheimlich.“

„Corolla“ schöpft aus den vorhandenen Songs der EP „Stingrays“, so kann sie als Vorläuferin zur LP verstanden werden. Aufgrund der instrumentellen Fülle ihrer Musik supportete der Schlagzeuger und Produzent Sam Slater die Band live und ist mittlerweile fester Bestandteil der Band. „‚Hospital Floor‘ und ‚Minus Planet‘ waren bereits in der Duoversion auf der Kassette zu finden. Als Sam dazukam, haben wir die Songs komplett durch den Fleischwolf gedreht. Sam feuerte Samples ab und hat bereits Vorhandenes durch den Computer gezogen und brachte so mehr elektronische Elemente auf die Platte. Wir haben die Songs komplett dekonstruiert und neu aufgebaut.“ Da die beiden Stücke wie eine experimentelle Sinfonie miteinander verschmelzen, stellt es eine echte Herausforderung dar, die durchkomponierten Songs live wiederzugeben: „Obwohl die Leute immer denken, dass wir improvisieren, ist es null improvisiert. Wenn ein Bandmitglied irgendetwas verpeilt, dann ist das problematisch für das Gesamtgefüge“, erzählt Sotzko.

Auch neuere Songs, wie „Herzog On A Bus“, die sich nicht mehr auf die EP beziehen, gesellen sich hinzu. Der Song leitet in die düster-sphärische Platte ein und bezieht sich auf die Doko „Into the Abyss“ von Werner Herzog: „Das hat dann zu dieser Stimmung gepasst, die religiös aufgeladen und abgründig ist – fast schon hymnenartig. Das dort aufkommende Bild des ‚Baby-Sons‘ steht für eine Extremsituation und ist offen genug für eigene Interpretationen gehalten“, so Sotzko.

© Sara Perovic

„Corolla“
Soft Grid
Antime

Tour:
14. Oktober, Leipzig, Handstand & Moral
15. Oktober, Karlsruhe, P8
16. Oktober, Marburg, Trauma im G-Werk
17. Oktober, Hamburg, Astra Stube
18. Oktober, Offenbach, HfG Kapelle
19. Oktober, Würzburg, Cairo
20. Oktober, Eisenberg
21. Oktober, Chemnitz, Zukunft
22. Oktober, Nürnberg, Musikverein im K4
23. Oktober, Passau, Freiraum
26. November, Berlin, Kantine am Berghain

So werden auf dem Album Popreferenzen immer nur angedeutet, dienen als Inspirationsquelle, werden aber letztlich fast bis zur Unkenntlichkeit auseinandergerissen, ergänzt und zu neuen Stücken verarbeitet. „So soll es doch im Pop sein“, sagt Stroetges.

Herausgekommen ist eine wenig gefällige, aber umso fantastischere Platte, die auch die Ästhetik eines kanonischen Chorgesangs lässig aussehen lässt.