Von Azadê Peşmen

„Here’s your daily WTF moment“ – Clickbaiting hin oder her, die Überschrift ist mehr als gelungen, denn darunter hat der Sender AJ+ ein Video von Kanye West gepostet, in dem er auf der Bühne erklärt, er hätte für Trump gestimmt und überhaupt sollen sich Schwarze Menschen nicht so sehr auf Rassismus konzentrieren. Davon abgesehen, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass Menschen, die Rassismus erleben, höchstwahrscheinlich nichts lieber täten, als sich nicht damit beschäftigen zu müssen (wenn es halt nur nicht diese Gewalt und stabilisierende Machtstrukturen gebe), ist er nicht der Einzige, der nicht weiß ist, aber zu Trump hält und ganz merkwürdige Ansichten vertritt. Ansichten, die man sonst eher aus rassistischen Ecken hört.

Jedes Unterdrückungssystem, so auch Donald Trump, braucht seine Tokens. © Tine Fetz
Jedes Unterdrückungssystem, so auch Donald Trump, braucht seine Tokens. © Tine Fetz

Die Rapperin Azealia Banks kann sich dort auch einreihen. Beide wurden früher für ihre politisch progressiven Kommentare gefeiert. Eines der berühmtesten Zitate von Kanye ist „George Bush doesn’t care about Black people“ (George Bush sind Schwarze Menschen egal), womit er im US-amerikanischen Fernsehen seine Begründung lieferte, weshalb den Opfern des Hurricane Katrina nicht geholfen wurde. Nicht selten wird der Gesundheitszustand von Azealia und Kanye als Begründung geliefert, um den politischen Wandel zu erklären. Das kann sein, kann aber auch nicht sein, die Antwort darauf kennen die Künstler*innen vermutlich am besten.

Was mich ernsthaft verwundert, ist die Überraschung, die viele darüber ausdrücken, dass es Schwarze und/oder Latinx Trump-Wähler*innen gibt. Mal ganz abgesehen von Kanye und Azealia: Zu jedem Machtverhältnis gehören auch Marginalisierte, die es auf ihren Schultern stützen. Ein deutschsprachiges Äquivalent dafür gibt es nicht (außer vielleicht „Hofkanake“), auf Englisch ist „token“ ziemlich gängig: Das sind dann diejenigen, die den Mainstreamdiskurs wiederkäuen, auch wenn der nicht unbedingt in ihrem Interesse ist. Langfristig bekommen dadurch Marginalisierte auch gerne mal den Raum, den sie sonst nicht hätten: auf Podien, in Talkshows oder in den Sozialen Netzwerken. Wenn Marginalisierte aber sprechen dürfen, dann meistens so, dass es der Mehrheit in den Kram passt, also die Rhetorik derjenigen übernehmend, die Diskriminierung gesetzlich vorantreiben (wollen). Das ist quasi PR für lau, weil in jeder Diskussion Menschen in Machtpositionen mit Verweis auf ein Token sagen können: Ja, aber xyz ist auch [Position außerhalb von weiß-männlich-heterosexuell] und die findet das voll ok.

Das Ganze ist auch praktischer, denn seitens derjenigen, die von Natur aus in Machtpositionen sitzen, ist das eine bequeme Möglichkeit, minimal Privilegien zu verteilen, ohne selbst welche abgeben zu müssen. Und wenn es für Marginalisierte auch nur das Privileg ist, mal kurz sprechen zu dürfen und gehört zu werden. Das klappt aber nur so lange, wie sie ihren Spielplatz nicht verlassen, plötzlich zum Individuum mit Interessen außerhalb ihrer marginalisierten Identität werden, womöglich sogar ihre Meinung(en) ändern und irgendeine andere Rolle einnehmen (Wo kommen wir denn hin!). Kritik an Strukturen? Infragestellen von Machtverhältnissen? Sendepause!