Von Peggy Piesche

Dieser Text erschien zuerst in Missy 01/17.

Im Ringen um Verständnis, im Versuch, dem allen einen Sinn zu geben, kann es keinen Zweifel geben: Weißsein windet sich im Erklärungszwang. Es ist gerade mal zwei Monate her, dass mit der Wahl von Donald Trump zum nächsten Präsidenten der USA eine gefühlte Tsunamiwelle der Erschütterung und Bestürzung, des Schmerzes und Schocks einmal mehr die vermeintlich linke mediale Welt vereinte. Wer kein*e offen pöbelnde*r, frauenverachtende*r Rassist*in war, wachte nach der US-Wahlnacht am 8. November diesseits und jenseits des Atlantiks entsetzt, ja verzweifelt, auf. Plötzlich schien es, als ob Bündnisse in einem gemeinsamen Bestreben, Trump und das, wofür er steht, zu verhindern, wiederbelebt werden könnten.

Solidarität und Handlungsstrategien von Personen of Color, Schwarzen Personen, Queers und Frauen sind derzeit so überlebenswichtig wie lange nicht. © Esra Rotthoff
Solidarität und Handlungsstrategien von Personen of Color, Schwarzen Personen, Queers und Frauen sind derzeit so überlebenswichtig wie lange nicht. © Esra Rotthoff

Doch allzu schnell wich diese kollektive Empörung und Wut angesichts der Wahlstatistik ersten Erklärungsversuchen und vermeintlich kritischen Analysen aus dem weißen liberalen und linksdemokratischen Spektrum. Spätestens da wurde uns quälend bewusst, dass hier kein Bündnis-Wir gemeinsam reflektiert: Während kollektive Schwarze und People-of-Color-Akteur*innen ihren Schock und Schmerz aus dieser Wahl gezielt und zügig in neue und bewährte Widerstandsstrategien überführten, die sich aus unserer historischen Erfahrung des Überlebens von rassistischem Alltagsterror ableitet, überwiegt in den weißen demokratischen, intellektuellen und linken Medien vor allem eines: Mythenbildung und Normalisierung. Während sich in den Community Centers in San Diego, Chicago oder Cleveland Schwarze und PoC-Communitys organisieren und konkrete Ratschläge und Strategien für die kommenden Jahre entwickeln, gehen weiße liberale und linke Medien zum Alltagsgeschäft ihrer Metakritik über.

Wie lässt sich das Scheitern von Hillary Clinton angesichts eines vermeintlich breiten Bündnisses gegen Sexismus, Rassismus und Hass erklären? Die häufigste Begründung lautete: Es handle sich um die „Rache des weißen Mannes“. Trumps Sieg als eine Rache an emanzipatorischen Bewegungen der letzten Jahrzehnte darzustellen und damit einen direkten kausalen Zusammenhang zu postulieren zwischen dem Erstarken neofaschistischer Diskurse und den kollektiven Widerstandskämpfen gegen strukturellen Rassismus, neoliberalen Kolonialismus und Ausbeutung durch weiße Globalmachtansprüche, bedient damit den Drang, eigene liberale weiße Positionen moralisch zu legitimieren und sich von anderen zu distanzieren – und zwar in zwei Richtungen. Zum einen von denjenigen, die auf eine solche Rache aus sind: Als „deplorable“, die „Erbärmlichen“, werden die Trump-Wähler*innen, die anderen Weißen, dargestellt, die so gar nicht in einer postindustriellen, postrassischen Welt angekommen zu sein scheinen. Dafür haben sie sich ihre eigene postfaktische Welt geschaffen und nun bekommen wir alle die Quittung.

Der gesellschaftliche Amoklauf dieser – anderen – weißen Männer scheint so gar nichts mit ihnen, den progressiven Weißen, zu tun zu haben. Mit dieser Argumentation können sich progressive Stimmen – allen voran weiße Frauen respektive der weiße Feminismus – aus dieser vermeintlichen Rache selbst entlassen und sich damit der (selbst-)kritischen Ursachenforschung und Bestandsaufnahme vollständig entziehen. Die Medien gefallen sich wieder allzu schnell als Analyse- und Metainstanz und müssen sich nicht mehr mit der eigenen Verwicklung am Erstarken neofaschistischer Diskurse auseinandersetzen.

Auf der anderen Seite nutzt die Rede von der „Rache des weißen Mannes“ auch der Distanzierung von sogenannten radikalen Bewegungen bzw. radikalen Forderungen. In der Theorie des „PC Backlash“ ist der Rückschlag gegen Political-Correctness-Bewegungen von diesen selbst provoziert. Es seien Widerstandsbewegungen gegen strukturellen Rassismus, die diesen bestärken. Auch hier sind wieder die Anderen schuld und die Argumentation ist allzu bekannt: „Schwarze und PoC-Kollektive sollten nie – zu schnell – zu viel wollen, nicht mit übertriebener Herrschaftskritik vorpreschen, kritisches Weißsein nicht als Analysekategorie anwenden und damit die weißen Menschen verschrecken, denn es kann ihnen nicht zu viel zugemutet werden.“

Die Rede von der „Rache des weißen Mannes“ wird damit noch makabrer, denn sie normalisiert und legitimiert weiße männliche Machtansprüche. Vor allem aber weist sie Schwarze und PoC-Kollektive zurück auf ihren vermeintlichen Platz, denn Rache setzt einen Akt der Provokation voraus. Etwas, das es zu bezwingen notwendig macht. So verweist das „Oxford Dictionary“ darauf, dass Rache eine Reaktion auf eine Wunde oder eine Ungerechtigkeit darstellt. Zugleich wohnt der Rache auch immer etwas Verruchtes, Emotionales inne und kann schnell als etwas individuell Motiviertes abgetan werden. Beides rückt ein verletztes, gedemütigtes Weißsein ins Zentrum und suggeriert, dass ihm geschadet wurde. Die Rede von der „Rache des weißen Mannes“ bringt uns also zügig nach dieser Wahl wieder zurück zu weißen Wunden und Tränen.

Der Begriff der Rache verschleiert aber vor allem auch die tatsächliche Verstrickung von Weißsein in diesem schonungslosen Zutagetreten eines Faschismus 2.0. Als die Wahlstatistiken den Mythos der weißen abgehängten Unterschicht entlarvten und deutlich machten, dass es keineswegs eben nur die „widerlichen anderen weißen Männer“ waren, die Trump ins machtvollste Amt der Welt gehoben hatten, wurde schnell deutlich, dass sich Weißsein in einem viel tieferen Erklärungszwang befindet.

Wenn 53 Prozent aller weißen Frauen und 63 Prozent weißer Männer Trump wählen, wird deutlich, worum es hier wirklich geht. Angesichts seines offenen Rassismus und Sexismus, der Vergewaltigungsvorwürfe und der eindeutigen, selbst gelieferten Belege für Trumps tief verwurzelte Frauenverachtung glaubten wir, dass sich weiße Frauen ihrer Intersektionalität bewusst sind und ihm – in Solidarität mit Schwarzen Frauen und Frauen of Color – die Stirn bieten würden. Stattdessen haben diese sich mehrheitlich für die Teilhabe am weißen Dominanzanspruch und für ihre eigene soziale Macht entschieden. Die systemische Internalisierung eines weißen Patriarchats ist wirkmächtiger als der Kampf gegen Sexismus. Mit anderen Worten: Da wo weiße Frauen bereit sind, selbst Vergewaltigung und Frauenverachtung hinzunehmen, wird Rassismus verhandelbar und dafür eingesetzt, den uneingeschränkten Zugang zu weißen Privilegien zu erhalten.

Das Ende des weißen Feminismus kündigt sich schon seit geraumer Zeit an, denn er hat sich von Beginn an an weißen Männern orientiert und sich vor allem als eine bürgerliche Bewegung verstanden.Das Bürgerliche, mit seiner Betonung auf ökonomischer und sozialer Partizipation, ist der schlechteste Garant für grundlegende Veränderung. Die Rassismuskritik Schwarzer und PoC-Kollektive ist dagegen intersektional angelegt und verbindet die Kämpfe gegen Armut, Sexualisierung, Gewalt und Gefängnisse mit denen für Krankenversorgung, bessere Arbeitsbedingungen und das Recht auf Wasser. Weißer Feminismus hat daher keine Antwort auf die globalen Ungleichheitsverhältnisse. Weißen Frauen ging es immer mehr um Weißsein als darum, sich mit Schwarzen Frauen und Frauen of Color zu verbinden.

Nicht nur den 94 Prozent der Schwarzen Frauen und 68 Prozent der Latina-Frauen, die Hillary Clinton wählten, wurde dies nun schmerzlich bewusst. Sexualisierte Gewalt und Rassismus waren schon immer miteinander verwoben und beflügelten sich wechselseitig. Weiße Frauen haben eine lange Tradition nicht nur darin, bei ihren männlichen Angehörigen nicht genügend interveniert zu haben, sondern auch mit dazu beizutragen, deren Gewalt und Verbrechen zu legitimieren und damit zu normalisieren.

Eine solche Normalisierung ist auch jetzt bereits in vollem Gange. Sie zeigt uns einmal mehr, was bereits unter der Oberfläche unserer demokratischen Gesellschaften existierte. Die massenhafte Partizipation von weißen Frauen an der Massenkriminalisierung Schwarzer und brauner Subjekte, etwa durch das US-amerikanische Gefängnissystem, durch die polizeiliche und behördliche Praxis des Racial Profiling oder durch die Kriminalisierung von Flucht und Migration hat diese Wahl lediglich an die raue Oberfläche geholt. Was wir allzu schnell und gerne als Populismus verharmlosen, speist sich aus tief verwurzelten Diskursen und hat nichts Trendhaftes. Vielmehr müssen wir dieses Phänomen als einen gesellschaftlichen Konsens verstehen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Faschismus sich selten an die Macht geputscht hat, sondern da, wo er am nachhaltigsten und verheerendsten wirken konnte, zunächst demokratisch gewählt wurde. Die Hoffnung auf Teilhabe am weißen männlichen Machtanspruch trieb bereits das rechts-bürgerliche Lager im Bündnis mit einem niedergehenden Adel in der Weimarer Republik dazu, sich als Steigbügelhalter für den Nationalsozialismus herzugeben. Dieselben taktischen Bemühungen sehen wir heute auch in Deutschland, wo aus Furcht vor dem Verlust von Regierungsmacht und -beteiligung alle einschlägigen demokratischen Parteien ihr jeweils eigenes Bündnissüppchen mit den Trieben eines Faschismus 2.0 kochen.

Normalisierung beginnt bereits dann, wenn sprachliche Beruhigungen wie „Wutbürger“ bzw. „besorgte Bürger“ das Anbiedern an Rassismus verschleiern sollen, wenn die „Rache des weißen Mannes“ herbeifantasiert wird, anstatt ein kollektives Recht der Existenz zu verteidigen. In einem Faschismus 2.0 beginnen weiße progressive Stimmen, allen voran weiße Frauen, sich wieder einzurichten. Dagegen generieren unsere aktivistischen Schwarzen und PoC-Kollektive auch weiterhin immer wieder Widerständigkeit. Denn unsere kollektive Erfahrung kennt das Leben in dystopischen Verhältnissen schon seit Langem und konnte und wird zu jeder Zeit Zukünfte für uns imaginieren und leben.