Interview und Übersetzung von Katie Fenderl

Alla Poppersoni bildet, gemeinsam mit Alexander Sahm, das interdisziplinäre Kunstprojekt BBB_. Am Mittwoch, den 01.02.2017, veröffentlichten BBB_ ihre jüngsten Arbeiten. Einen klanglichen und visuellen Eindruck der futuristischen Sprache bietet der aktuelle Trackrelease „Y„. Poppersonis teils durch PC-Synthie verfremdete Stimme philosophiert auf dem zweiten Album von BBB_ über Emotionalität und Irrationalität in einer Welt globaler Kräfte, Zeiten von Big Data, Kybernetik zweiter (und dritter?) Ordnung und intelligenten Technologien. Im Wechselspiel von Utopie und Dystopie erkunden Poppersoni und Sahm durch experimentelle Klänge, elektronische Musik, Spoken Word und interaktive Visuals Zusammenhänge von humanen zu humanoiden bis inhumanen Lebensformen – mit einer Sci-Fi-angehauchten queerfeministischen Grundeinstellung.

BBB_ © Kallashnikof
BBB_ © Robert Schittko

Musikalisch beschreibt ihr euer Genre als „robo punk, melancholic dark wave, rubber techno, pessimistic trancecore, deep dream electronica, ambient drill, spiritual trashcore, electronic bitchpunk, digidance, melodramatic synthhop“. Angesiedelt zwischen Musik, Performance, Gesellschaftskritik und medialen Kunstformen hat dein Kunstansatz etwas Rhizomatisches. Die Arbeiten sind faszinierend, aber schwer zu definierenist dies Teil deiner Strategie, Teil deiner Message?
Alla Poppersoni: Ja, vielleicht ist es Teil einer Strategie. Wir versuchen, unsere Arbeiten ästhetisch attraktiv zu gestalten, einen Spielraum für gutes Design und auch für Mode zu schaffen. Der Mainstream hat große Wirkmacht, wenn es darum geht, Ideen innerhalb junger Generationen zu verbreiten. Natürlich hat dies auch eine Kehrseite: Er ist ein System, eine eigene Maschine, sodass man sehr gefestigt sein muss, um sich nicht darin zu verlieren. Andererseits steckt in diesem System ein großer philosophischer Ansatz und quasi „neues Denken“. Ich bin nicht daran interessiert, Dinge, die bereits existieren, zu kopieren; wir recyclen und verarbeiten sie gerne weiter, um auf dem bereits Existierenden aufzubauen – um im Denken über die Welt einen wesentlichen Schritt weiterzukommen.

Bezüglich der Musik ist das anders: Wir kreieren all diese Genres, weil es schwerfällt, sie mit dem zu verbinden, was schon existiert. Außerdem ist es eine Kritik an Kategorisierung per se, also anstatt zu versuchen, in eine bestimmte Kategorie hineinzupassen, lassen wir noch zehn weitere entstehen, um für mehr Verwirrung zu sorgen. Alex (Sahm, Anm. K. F.) ist sehr experimentierfreudig und alles, was wir tun, ist ein Experiment. Wir sind nie sicher, ob es so läuft, wie wir uns das vorstellen. Wir gehen einfach dem nach, was wir als inspirierend und witzig empfinden. Manchmal klappt’s, manchmal nicht.

Der Titel des Debütalbums von BBB_, „id rather be an  iphone“, ist ein Zitat von Helen Hester. Die theoretischlyrischen Tracks muten postdigital an und sind textlich teils an Braidottis „The Posthuman“ angelehnt, die über posthumanistische Formen von multiplen, flexiblen Identitätskonstruktionen reflektiert. Wie stehst du zu den neuen Medienauswüchsen wie zum Beispiel Augmented Realitysiehst du persönlich Potenzial für eine fruchtbare Kritikform, ähnlich eines cyberfeministischen bzw. cyberaktivistischen Ansatzes? Wie siehst du die Position Digital Natives in queeren Analyseansätzen angesiedelt?
Heutzutage sind alle ein wenig verwirrt. Diese Verwirrung, gerade vermehrt bei älteren Generationen zu beobachten, kann ich vollkommen nachvollziehen. Digital Natives sind etwas weniger verwirrt, weil sie weniger Referenzen zu einer Welt ohne Internet haben. Traurig ist, dass wir den Kampf ums Internet, wenn man ihn so bezeichnen kann, verloren haben. Das utopische Versprechen von Neutralität im Cyberspace wurde von der Wiederherstellung neoliberaler Strukturen im Web zerstört. Andererseits ist es noch immer der einzige Ort, an dem queere Kultur eigenmächtig in großem Ausmaß aufleben kann, anders als in der „Realität“. Das Internet hat Queerness die Chance gegeben, Pop zu sein, auf der anderen Seite hat die krasse (Online-)Kommerzialisierung queerer Kultur diese in dieselbe Kategorie gesteckt wie jeden anderen Trend, sodass ihr politisches Moment zugunsten von Lifestyle und Mode abnimmt.

Alla, welche Beziehungsgefüge ergeben sich durch sozial und emotional intelligente digitale Technologien?
Wenn das so leicht zu beantworten wäre… Unser Projekt soll eben genau dies untersuchen. Ich meine, wir alle wissen, dass digitale Technologien unser Leben grundlegend verändert haben. Und seit Beginn frage ich mich, warum sich manche Leute so sehr gegen Technologie stellen? „Digital detox“ („digitale Entgiftung“) beispielsweise empfinde ich als eine Position, die die Zukunft verneint. Technologie existiert und entwickelt sich, ob wir es wollen oder nicht – und dies ist keine schlechte Sache, sondern ein Weg zur Wissensmaximierung. Ich denke, dass digitale Technologien heutzutage noch immer auf einem sehr rudimentären Level funktionieren, aufgrund unseres Umgangs mit ihr.

Alla Poppersoni © Kallashnikof
Alla Poppersoni © Kallashnikof

Im allgemeinen Verständnis ist Technologie ein Funktionswerkzeug – ich aber denke, wir sind die Technologie. Ich glaube daran, dass wir eines Tages vielleicht den Punkt von Singularität erreichen können (und damit meine ich nicht technologische Singularität, bei der eine Vereinigung von Mensch und Maschine erfolgt, geschweige denn Pop-Science-Fiction-Storys über Cyborgs). Aus meiner Sicht ist alles eine Form von Technologie – Natur, Liebe, metaphysische Phänomene. Aber eben auf einem komplexen Niveau. Das dritte Clarkesche Gesetz besagt, dass jene ausreichend fortgeschrittene Technologie von Magie ununterscheidbar sei. Also sind wir eigentlich nicht so weit entfernt von Höhlenmenschen, die zugleich fasziniert und beängstigt von Feuer sind.

Ich hoffe sehr, dass sich dies eines Tages ändern wird, weil es der einzige Weg ist, die Konstrukte in der heutigen Welt zu überwinden: seien es Machtstrukturen, Hierarchien, Unterdrückungen, Umweltverschmutzung, (nationale oder geistige) Grenzen, soziales Geschlecht – nicht zuletzt Systeme wie die von Putin oder Trump. Es gibt akuten Wandlungsbedarf, aber dafür müssen Dinge auf mehreren Ebenen simultan passieren.

Die Albumrelease-Party des derzeitigen Musikprojekts von BBB_ (Alla Poppersoni gemeinsam mit Alexander Sahm) auf saasfee*rec findet am 02. Februar 2017 im AMP, Frankfurt statt. Eine weiteres Showing erfolgt am 17. Februar im Rahmen von „Transmediale Vorspiel 2017“ in der panke.gallery, hier wird zusätzlich die Performance „@Flee Immediately“ präsentiert.

Staatliche Repression hast du selbst erfahren müssen. Welchen Kunstbegriff hast du in Bezug zum politischen Wirken: Soll Kunst für sich alleine funktionieren können oder verbirgt sich da bei dir immer eine (politische) Messagebspw. im Kampf um LGBTQUI*Rechte?
Nach meinem Umzug nach Deutschland vor sechs Jahren habe ich meine Masterarbeit hier über manipulierte Demokratie in Putins System geschrieben, anhand einer Analyse des Gesetzes, das sich gegen „Homosexuellen-Propaganda“ gegenüber Minderheiten – angeblich zum Schutz deren gesunder Entwicklung – richtet. Das Komische und Traurige an dieser Beobachtung ist, dass es in den 1990ern keine wirkliche Repression oder Verbote gegenüber jeglichen Formen von Homosexualität gab; es gab bedeutende Popstars, die offen homosexuell lebten, und niemand bewertete dies als positiv oder negativ. Als Putin dann an die Macht kam, haben sie homosexuelle Menschen als einfaches Ziel für eine breit gefächerte nationale Einheitsbewegung gewählt, indem sie einen Nationalfeind kreierten. Anti-gay war gleichbedeutend mit antiwestlich. Es war lediglich Propaganda: Putin nutzte jedes Mittel, um ein Imperium zu errichten.

Während ich noch in Russland lebte, war es schwierig für mich, die Dinge so zu betrachten. Ich war sehr verwirrt und empfand mein Sein als „falsch“. Einmal habe ich mit ein paar Freund*innen ein Projekt zu Pussy Riot gemacht, aber, davon abgesehen, behaupte ich nicht, dass meine Arbeiten eine direkte Message haben. In den letzten Jahren habe ich festgestellt, dass die Repression Teil eines Problems ist, und was wir brauchen, ist ein struktureller Umbruch; wir müssen das Patriarchat abschaffen und jegliche Form von Vormacht, außerdem die menschliche Natur ändern – woran ich in diesem Moment arbeite, indem ich ein Projekt zur Zukunft der Menschheit und zum Posthumanismus erarbeite.

Wie imaginierst du die perfekte posthumane Zukunft?
In dieser Frage sind drei Worte enthalten, die vor Beantwortung definiert werden müssen: Was ist Perfektion? Was posthuman? Und was ist die Zukunft?

Alla Peppersoni © Kallashnikof
Alla Peppersoni © Kallashnikof

In einer postdigitalen, technikaffinen Umgebung, in der Gendergrenzen oft verwischt werden (sollen): Wie empfindest du deine Rolle als queere Frau?
Ich habe mich immer anders gefühlt, auch, weil ich körperlich so groß bin (in einer Umgebung, in der der Durchschnitt bei 1,60 Meter Körperhöhe liegt) – ich habe versucht, in diese Kreise von Menschen reinzupassen, die mich in der Schule, Uni, im Basketballteam umgaben: reiche, fancy Kids im „Starker Junge/schönes Mädchen“-Denkmuster, das war also ein großer Hustle. Nach Deutschland zu kommen, hat sicherlich neue Horizonte eröffnet. Ich würde nicht sagen, dass es hier perfekt ist: Ich wurde neulich in Frankfurt belästigt, weil sie dachten, ich sei transgender. Bei meinem China-Aufenthalt im vergangenen Jahr waren Frauen immer geschockt, als ich die Damentoiletten oder Umzugskabinen für Frauen betrat. Aber das stört mich nicht übermäßig, denn: We are still „all too human“ [Referenz zu Rosi Braidotti 2006, Anm. K. F.]. Ich möchte alle dazu ermutigen, so zu leben, wie sie sind, und nicht zu versuchen, sich in irgendeine Kategorie einzuordnen – denn dies ist die einzig gesunde Lebensweise.

Welche Apps dürfen auf deinem Smartphone nicht fehlen?
Wir nutzen häufig eine Augmented-Reality-App im Rahmen unserer Albumveröffentlichung. Dem Album sind ein Downloadcode und ein Augmented-Reality-Booklet beigefügt, welche zu Bonustracks und -videos führen, und ohne diese App wäre das nicht möglich.

Aber ganz ehrlich, meine Lieblingsapp überhaupt heißt Happy Buddha: In dieser App ist das Einzige, was du machen kannst, über den Bauch eines Happy Buddha zu streichen. Das soll Glück bringen und sonst passiert da nichts – nur Bauchstreicheln und random Werbeanzeigen.