Von Olja Alvir

Neulich geriet ich an der Uni in eine sehr unangenehme Situation, die mich dazu brachte, viel darüber nachzudenken, wann eins als politischer Mensch und insbesondere als Feminist*in sich zu Wort melden sollte – und wann es vielleicht klüger und gesünder ist, sich die Energie aufzuheben.

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Manchmal wird ein Uniseminar zum verminten Gelände. © Tine Fetz

Die Szene: Es ist die vorletzte Einheit eines Unikurses zum Thema Migration in der zeitgenössischen Literatur – halt so typisch mein Ding. Nach einem Semester Lektüre sollten wir in Gruppen nach selbst gewählten Kriterien eine „Top-3-Liste“ der besprochenen Autor*innen erstellen. Aus den gesammelten persönlichen Highlights sollten wir uns dann am Ende irgendwie auf einen „ersten Platz“ einigen.

Jetzt mal abgesehen davon, dass Kunst um die Wette zu machen oder als kompetitiv zu verstehen ein haareraufender Unsinn ist, dass derartige Bewertung von Autor*innen nicht der Sinn des Kurses ist und dass mitnichten mit irgendwelchen mir nachvollziehbaren Kriterien gearbeitet wurde – ganz abgesehen also von all diesen rein inhaltlichen und wissenschaftlichen Einwänden, die es gegen so ein „Ranking“ in meinem Literaturkurs gab, war da noch ein Problem: Als Nummer eins stellte sich nach fragwürdigen Punktevergaben, Überraschung Überraschung, ein alter Mann heraus; ein traditionsreicher Autor der österreichischen Zeitgeschichte mit monarchischem Anstrich.

Naturgemäß meldete ich mich: In einem Kurs, wo viel über Transkulturalität, Essenzialismus, postkoloniale Studien und dergleichen gesprochen wurde – also in einem durchaus informierten, sensibilisierten und auch akademischen Umfeld – könne die Ironie nicht entgehen, dass vor den vielen, vielen Frauen, die wir gelesen hatten, ausgerechnet der Mann „den Sieg“ davontrage? Sicherlich könnten wir uns in diesem Fall darauf einigen, zu einem gerechteren Ergebnis zu kommen?

Auf einen Schlag verwandelte sich der gesamte Raum – dreißig, vielleicht vierzig Leute – in alle feministischen Diskussionen und gesellschaftlichen Diskurse gleichzeitig. Da wurden Begriffe, Konzepte, Meinungen, aber auch Vorurteile und Anmaßungen durch die Luft geworfen, dass es nur so stürmte. Dies wäre alles nicht prinzipiell schlecht gewesen, wenn die Wortmeldungen nicht ausschließlich an mich – die feministische Spaßverderberin – gegangen wären. Plötzlich ergriffen auch die wenigen Männer im Raum, die sonst immer still gewesen waren, lautstark das Wort. Einer drohte, wegen meinen „diskriminierenden“ Kommentaren den Raum zu verlassen. Persönliche Angriffe gegen mich folgten; ich selbst schaffte es daraufhin nicht mehr, so sachlich, ruhig und verständnisvoll beziehungsweise verständlich zu argumentieren, wie ich es von mir erwartete.

Ich versuchte mehrmals, mich aus dem immer gehässiger werdenden Tumult zurückzuziehen. Auch verspürte ich den fast unüberwindbaren Drang, den Raum einfach zu verlassen. Ich nahm mir während diesem analogen Shitstorm fäusteballend vor, erst zu Hause in Tränen auszubrechen.

Es ist ein Phänomen, das mir oft begegnet: Melde ich mich in Diskussionen mit einem feministischen Standpunkt, komme ich manchmal nicht oder nur schwer mit dem Backlash zurecht, der darauf folgt. Das ist kein Zufall: Im Patriarchat ist solch (Gruppen-)Redeverhalten ein Tool, Dissident*innen zum Schweigen zu bringen. (Damit im Kopf ist es natürlich noch schwieriger zu entscheiden, ob eins die unangenehme Situation verlässt oder nicht.)

Ich bin durchaus der Meinung, dass Ungerechtigkeiten in jedem Fall, egal wie schwer oder leicht, angesprochen werden müssen und dass Dialog wichtig ist für feministische Bildung und Kampf. Doch dieser Fall von neulich hat mir vor Augen geführt, dass es manchmal einfach nicht „safe“ ist, sich zu äußern, und dass es manchmal dazu führt, dass die eigenen Nerven überstrapaziert und Energiereserven geleert werden.

Ich werde mir nun jedenfalls Sätze und Strategien dafür zurechtlegen, wenn ich überfordert bin. Ich werde mich stärker nach Allies umsehen. Ich werde manchmal nichtssagend die Augen verdrehen, um dann in anderen Momenten die Kraft zu haben, umso demonstrativer zu slayen.

Es gilt neben der Hingabe für die politischen Ziele schließlich auch, auf sich selbst aufzupassen. Vielleicht ist doch nicht jeder Twitter-Fight und jeder Familienstreit ein sinnvoller Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt? Ein sehr kluger Genosse sagte einmal zu mir: „Nobody should die in just any random struggle. The point of life is that you pick the struggle the best you can.“