Von Benita Bailey

Am Samstagabend, dem 4. März, wurde die Goldene Kamera zum 52. Mal verliehen. Eine Woche später warten viele Menschen, u.a. Künstler*innen und PoC, auf eine Entschuldigung oder zumindest auf eine Stellungnahme zu einem Vorfall, der bei der renommierten Preisverleihung vorgefallen ist.

So ikonisch wie das berüchtigte Oscar-Selfie wird dieses Bild bei der diesjährigen Verleihung der Goldenen Kamera nicht werden. © Eventpress / GOLDENE KAMERA

Die Rede ist von folgender Situation: Bei der Kategorie „Beste Schauspielerin und bester Schauspieler National“ sind Annette Frier und Matthias Matschke die Laudator*innen. Für die Ehrung hatten sie sich ein ganz besonderes „Geschenk“ überlegt:

„Heute Abend ist es hier sehr festlich und bunt und musikalisch“, eröffnete Matschke. „Der eigentliche Sinn einer Laudatio, der versteckt sich ja oft hinter großen Gesten und Worten und deswegen möchten Matthias und ich einen, ja, Raum der Wahrhaftigkeit eröffnen, einen ehrlichen, umarmenden Moment für die Schauspielkunst. Wir wollen euch, liebe Nominierte beschenken“, so Frier weiter. Jede Preisverleihung, so nannten beide ihre gemeinsame Vision, sei ein Ritus und eine Geburt. Es folgen ein Zitat von Hannelore Elsner und mit den Worten „Was ist, wenn so ein Ritual misslingt?“ verwiesen sie auf die Oscar-Panne der Vorwoche, bei der dieses Jahr versehentlich der Preis für den besten Film erst an „La La Land“ und dann korrekterweise an „Moonlight“ verliehen wurde. Während Matschke verschwindet, um als verkleideter, goldener Briefumschlag zurückzukehren, leitet Frier das „Ritual“ mit ausbreitenden Armen und den Worten ein: „Schauspiel muss heilen. Unser Ritual für euch. Denn was können wir mehr tun, als einfach nur zu geben.“

Was nun folgt, fällt schwer zu beschreiben: Zu den Klängen von Endrudarks „Island of Shadows“ (elektronische Musik mit Perkussion und Trommelbegleitung) beginnt Frier zu tanzen und merkwürdige Laute wie „utsulalala“ von sich zu geben, während Matschke, immer noch im goldenen Briefumschlag steckend, versucht miteinzustimmen. Es gibt keine Choreografie, es wird nur irgendwie „rumgehopst“ und die nominierten Schauspielerinnen werden mit einem Kunstsprachendialekt ausgerufen, dabei fasst sich Frier ab und an an die Brüste, oder tut so, als ob sie im Boden buddelt, und macht irgendwelche Zeichen in die Luft. Nachdem die Einspieler der Nominierten liefen, geht diese Tanzdarstellung weiter, diesmal mit affenähnlichen Tierlauten. Dieses Tanzintermezzo bizarrster Art wiederholt sich noch einmal, nachdem sich die Gewinnerin der Kategorie „Beste Schauspielerin“ Lisa Wagner ihren Preis abgeholt und ihre Dankesrede gehalten hat, sowie nach dem Nominierungsclip der Herren. Insgesamt vier Mal wird also an dem Abend dieser merkwürdige Ritualstanz auf die Bühne gebracht.

Ich musste es mir in der Tat immer und immer wieder ansehen, weil ich wirklich verstehen wollte, was da auf der Bühne, aber vor allem in den Köpfen der Laudator*innen vor sich ging. Vergeblich suchte ich im Anschluss an die Veranstaltung und in den darauffolgenden Tagen nach einer Erklärung der Laudator*innen. Nicht nur die Gesichter der Gäste des Abends zeigten deutlich die Verwirrung und Ratlosigkeit darüber, was die Performance zu bedeuten hätte, die Reaktionen im Internet waren nicht weniger unklar. So schreibt Schauspielerin Thelma Buabeng auf ihrer Facebook-Seite zur Frier-Matschke-Darbietung: „SHAME!!!! Message NOT received!!! Könnt ihr so ne scheiße einfach mal lassen???“ und Schauspielerin Dennenenesch Zoudé auf ihrer offiziellen Seite „Geehrte Macher der Goldenen Kamera, ich äußere mich, weil ich mich – als ein Mitglied unserer Film- und Fernsehbranche – gestern bei der Goldenen Kamera wirklich geärgert habe! Es betrübt mich sehr, dass dieser wunderbare Preis der besten Schauspielerin und des besten Schauspielers mit einer Persiflage des afrikanischen Tanzes und afrikanischen Lauten (Gesang kann ich das nicht nennen) untermalt wurde. Ich verstehe es nicht. (…)“

Selbst auf den offiziellen Facebook-Seiten von Frier und Matschke drücken ihre Anhänger*innen ihr Unverständnis aus und fragen nach einer Erklärung des Auftritts. Der Gesamttonus ist: „Wir halten ja viel von dir, aber das war daneben.“

Das einzige offizielle Statement von Annette Frier war in der „Bild“ zu finden: „Der Tanz war ein Geschenk, das wir den Nominierten gemacht haben. Es war ein Weltritual, das wir mit sehr bescheidenen ZDF-Mitteln versucht haben darzustellen“, und „Wir sind dafür immerhin vier Monate um die Welt gereist und auf Recherche gegangen!“

Dem Anschein nach scheint Annette Frier keinerlei Bedenken zu haben, dass ihr Auftritt eventuell nach hinten losgegangen sei. Auch Matthias Matschke scheint in seinem Verhalten letzten Samstag keinen Fehler zu erkennen, denn von ihm hat man rein gar nichts mehr zum Vorfall gehört. Vielleicht sollten wir dann einfach, auch, wenn gefühlt nicht zum ersten Mal, noch einmal erklären, warum dieser Auftritt nicht allein peinlich war. Online hatten sehr viele Zuschauer*innen ihr Entsetzen geäußert, meistens las man die Worte „peinlich“, „fremdschämen“ und „peinlich vor den amerikanischen Gästen“.

© GOLDENE KAMERA / Steffen Jänicke

Die Frage ist doch, was genau ist peinlich? Und warum benennt es keiner oder kaum einer konkreter? Das genauere Hinsehen beinhaltet, dass man nicht umhinkommt, es zu benennen.

In dieser von Frier und Matschke dargebotenen Darstellung ist Ritual und Ritus etwas, das ausschließlich von „indigenen Völkern“ ausgeübt wird, und damit ist ihre Darbietung rassistisch. Die Intentionen spielen hierbei keine Rolle, auch wird hier nicht von Rassismus geredet, sondern von der Einlage, die Frier und Matschke geboten haben. Das Praktizieren dieses „Rituals“ wird eindeutig als primitiv dargestellt und als Witz verkauft, weil die Laudator*innen einen solchen Tanz albern und banal performen. Selbst wenn sie sich Mühe gegeben hätten, einen solchen Tanz ernsthaft zu erlernen, wäre es immer noch hochgradig rassistisch. Da es nun mal so ist, dass wir sowohl in der Vergangenheit als auch heute in einer Welt leben, in der indigene Bevölkerungen überall auf der Welt von vornehmlich weißen Gesellschaften unterdrückt und vertrieben werden. Im besagten Moment wird mit kolonial geprägten, abwertenden Klischees rücksichtslos um sich geworfen.

Ich versuche es noch einmal mit dem Nachvollziehen: Selbst wenn sie das Ritualhafte der Oskars auf die Schippe hätten nehmen wollen, dass etwas „schief“gelaufen ist, aufgreifen und Veränderung vorantreiben wollten, hätten sie lieber eine andere Art der Darbietung wählen sollen, die solche kolonialen Bilder nicht hervorruft. In der Bezugnahme auf die Oscars gibt es gleich zwei Verlinkungen, die den ganzen Auftritt noch kritischer erscheinen lassen. Auf der einen Seite liegt hier eine unheimliche Hybris vor, das ein deutscher Filmpreis wie die Goldene Kamera sich, vertreten durch Matschke und Frier, anmaßt, den Academy Awards diese Panne zu verzeihen und noch dazu gleichzeitig einen Auftritt hinlegt, der die Oscar-Panne bei Weitem übersteigt. Auf der anderen Seite ist es sehr kritisch, einen klischeehaften Tanz aufzuführen, der koloniale Bilder hervorruft, die man dem afrikanischen Kontinent zuordnen würde, und es bei der Verwechslung bei den Oscars um einen historischen Moment ging, in dem zum ersten Mal in der Geschichte der Oscars ein Film gewann, der einen komplett Schwarzen Cast hatte.

Nun möchte ich nicht unterstellen, dass diese Verlinkungen beabsichtigt waren, jedoch hat jeder Laudator und jede Laudatorin eine Verantwortung und die oben genannten Beispiele sind Konsequenzen aus im besten Falle unbedachtem Handeln. Sich bei den Worten „beste Schauspielerin“ an die Brüste zu fassen, muss wohl nötig gewesen sein, um mitzuteilen, dass es sich um eine Frau handelt, denn das tut „die indigene Bevölkerung“ so – oder wie soll das verstanden werden? Ist es in Zeiten wie diesen, in denen Millionen von Frauen täglich an Unterdrückung leiden, notwendig, solche abwertenden Bilder zu benutzen?

Die nächste bizarre Situation entsteht, als Lisa Wagner ihre Dankesrede mit den Worten schließt, dass sie den Preis auch den Hinterbliebenen der Opfer der NSU-Morde würdigt, und es im Anschluss mit dieser kolonialen Reproduktion weitergeht. Nicht nur wird ihr dieser aufrichtige und wichtige Moment, für mich einer der Höhepunkte des Abends, genommen, sondern er wird auch gleichzeitig ins Gegenteil umgewandelt, nämlich in Hohn.

Wotan Wilke Möhring, der auch eine koloniale Einleitung bekommt, hält seine Dankesrede und am Ende fällt der Begriff „Indianer“. Vielleicht ein Ausrutscher, aber darüber wurde nichts berichtet. Wieso ist es in Deutschland möglich, solche Worte unkommentiert fallen zu lassen? Im Anschluss wird gar geklatscht, wo in anderen Ländern lediglich ein Raunen durch die Menge gehen würde. Und wieder erkläre ich, weil ich glauben möchte, dass man es nicht besser weiß. Während die beschriebenen Ritentänze von Frier und Matschke eine koloniale Projektion sind, handelt sich es bei „Indianer“ um eine kolonial-rassistische Fantasie. Kurz: Erst wird etwas zerstört, dann nutzt man es und idealisiert es und dann ist auch alles wieder gut. Man ignoriert den Aspekt, dass in diesem Bereich zerstört wurde und auch heute noch zerstört wird. Am Ende kommt es gar zu einer kolonialen Nostalgie: „Wir feiern, dass es mal Menschen gab, die im Einklang mit der Natur und im Kontakt mit Tieren nachhaltig gelebt haben.“ Man feiert es, weil man es umgebracht hat. Es kann einem ja nicht mehr gefährlich werden.

Nach all dem Gesagten fällt einfach auf, dass in einem mehrheitlich weißen Raum koloniale Zitate einfach hingenommen werden. Ethnozentrische Interpretationen von historischen Praktiken von indigenen Völkern dienen der Mehrheitsgesellschaft zur Unterhaltung. Nun ist das leider keine neue Situation. Klischeehafte Darstellungen im Showgeschäft und auf Bühnen, vor allem von indigenen Bevölkerungen oder PoC, sind leider Teil der deutschen Geschichte.

Man könnte mich als afrodeutsche Schauspielerin fragen, warum es mir wichtig ist, all diese Sachen aufzuzählen, zu erklären, und warum es mir nicht einfach egal ist, was Annette Frier und Matthias Matschke da tun. Es gibt einen einfachen Grund, es geht hier nicht um irgendeinen rassistischen Vorfall, der in einer Provinzstadt passiert ist. Der würde mich im Übrigen auch betroffen machen, allerdings würde ich mich damit nicht so intensiv auseinandersetzen. Hier geht es um eine Veranstaltung meiner Zunft, dem Schauspielhandwerk, hier wurde ein ehrwürdiger Preis an großartige Schauspieler*innen verliehen und ich finde, dass Laudator*innen auf einer solchen Bühne und vor einem Drei-Millionen-Publikum eine Verantwortung tragen, denn besagte Bilder, die reproduziert wurden, sind die gleichen Bilder, die wir, Menschen mit diversen Hintergründen, versuchen, aus den Schulbüchern und damit aus den Köpfen der nächsten Generation zu bekommen. Es sind Bilder, die manche Menschen an Afrika erinnern und für manche Menschen einfach infantil erscheinen. Und genau das gilt es zu vermeiden, Afrika beispielsweise mit Infantilität gleichzusetzen. Dies kann uns allen aber nur gelingen, wenn Auftritte dieser Art nicht mehr vorkommen werden. Es ist ein Missbrauch der Laudator*innenposition, auf so herabsetzende Art und Weise eine Ehrung vorzunehmen und bis heute weder eine Erklärung noch ein ernst zu nehmendes Statement abzugeben. Ich schreibe diese Zeilen auch mit dem Ziel, dass eine wichtige Verleihung wie die der Goldenen Kamera und ähnliche Veranstaltungen in der Zukunft weitaus mehr über progressive Werte reflektieren. Ein weiterer Schritt wäre, mehr PoC einzuladen: als Gäste, Mitglieder der Jury und auch auf der Bühne. Darbietungen à la Frier oder Matschke würde es dann auf deutschen Bühnen sicher nicht mehr geben.

Gemeinsam mit weiteren Vertreter*innen des Netzwerks Schwarze Filmschaffende werde ich einen offenen Brief verfassen, der besagt, dass eine solche Darbietung in so einem Rahmen und im öffentlichen Raum nicht geduldet werden darf. In den letzten Tagen haben wir auch Zuspruch bekommen. Sowohl Mitglieder vom BAFNET (Berlin Asian Film Network) als auch vom Politischen Film Forum werden sich unserem Schreiben anschließen. Es wird die Option geben, dass uns jede*r Gleichdenkende per Unterschrift unterstützen kann.