Von Leyla Yenirce

In meiner Kindheit hatte ich zwei Lieblingsschimpfwörter: „Fetter Hurensohn“ und „hässliche Fotze“. Wenn es richtig böse wurde, habe ich „Pennwix“ gesagt, eine Kombination aus Penner und Wichser, die ich mir selber ausgedacht hatte, um doppelt so hart zu beleidigen. Ich bin schon immer gerne spielerisch mit Sprache umgegangen. Von vielen Wörtern habe ich mich im Laufe meines Lebens verabschiedet; -ismen wurden gegen Beleidigungen wie „hässliche Fotze“ getauscht.

Zugegeben: Ein Hundesohn, also ein Welpe, ist eigentlich ziemlich süß. Knallt als Beleidigung trotzdem. © Tine Fetz

Letzterer misogyner und lookistischer Ausdruck findet nur noch im Gespräch unter Freund*innen Verwendung, wenn es darum geht, Menschen zu bezeichnen, die in ihrem Handeln die Existenz anderer Menschen bedrohen. Auch den Gebrauch von „fetter Hurensohn“ habe ich weitestgehend eingestellt. Über die Dickenfeindlichkeit des Ausdruckes war ich mir früher nicht wirklich bewusst, deswegen hab ich irgendwann dreckiger Hurensohn gesagt. Klingt auch fies, ist dafür aber symbolischer, da sich dreckig nicht per se auf Dreck im Sinne von Schmutz bezieht, sondern auch einfach nur Scheiße meinen kann.

Vor Kurzem führte ich ein Gespräch mit einer befreundeten Person über die Verwendung des Begriffs Hurensohn. Wir benutzen beide gerne das Wort, nicht nur um uns über andere Menschen zu ärgern, sondern auch, weil ein wenig Herkunftsnostalgie aus unserer Sozialbaukindheit mitschwimmt, obwohl wir mittlerweile vollständig akademisiert und wohlstandisiert sind. Im Zuge dessen konnten wir unseren harschen Ausdruck auch nicht einfach im Raum stehen lassen. Schließlich benutzen wir ja auch bewusst den Ausdruck Sexarbeiter*innen und nicht Hure, Schlampe oder Nutte. Warum sagen wir dann aber Hurensohn, als sei es das Schlimmste der Welt, der Sohn einer Frau, die mit Sex ihr Geld verdient, zu sein? Wir kamen zu dem Entschluss, dass Schimpfwörter sehr erleichternd sein können, aber nicht auf Kosten von Sexarbeiter*innen und Müttern gehen sollten, wenn wir es doch anders wissen. Wir entschieden uns stattdessen für den Begriff Hund/Hundesohn (Sorry, Tierschützer*innen!), der im Straßenjargon bereits integraler Bestandteil ist und keine Sexarbeiter*innen für den Zweck einer Beleidigung missbraucht.

Warum erzähl ich das?

Ich habe neulich einen wissenschaftlichen Text für eine Person korrigiert. In einer Fußnote wurde darauf hingewiesen, dass in dem Text aus Platzgründen keine genderneutrale Schreibweise verwendet wird. Das markierte ich sofort rot, da ich es nicht für sinnvoll fand, dass Frauen und Menschen mit nicht binärer Identität, die in unserer Gesellschaft ohnehin wenig Platz einnehmen, bei 20 Seiten Text noch mal 200 Zeichen weniger Platz einnehmen sollen. Überholte Argumente, wie dass es zu kompliziert oder sperrig sei, höre ich oft. Dass Menschen in einer Sprache ausgeschlossen werden, ist für mich zwar sperriger als ein Sternchen, aber das generische Maskulinum scheint in der deutschen Sprache so fest verankert zu sein wie Journalist*innen in türkischen Gefängnissen.

Als ich begann, genderneutral zu schreiben, probierte ich verschiedene Schreibweisen aus. Anfänglich noch bescheiden mit dem Binnen-I merkte ich dann irgendwann, dass ich es zu kurzsichtig fand, ausschließend zwischen zwei Geschlechtern zu unterscheiden, das heißt binär zu gendern, wodurch ich dann anfing, das Gap zu nutzen. Auch das gefiel mir irgendwann nicht mehr, weil ich das Gefühl hatte, dass es optisch so tief sitzt und konkret-poetisch eine Hierarchie aufmacht, in der alles, was nicht zu männlich oder weiblich passt, wie in einem Abfalleimer in die Lücke da unten reingeschoben wird. Also ging ich zum Sternchen über. Es ist erhaben, sieht schön aus und lässt Platz für viele Identitäten, ohne sie in die Tonne zu kloppen.

Es hat also ein wenig Praxis gebraucht, bis ich mich mit genderneutraler Schreibweise so weit auseinandergesetzt hatte, dass ich einen Weg für mich gefunden habe, der immer noch nicht beendet ist. Sprache ist wandelbar und wird täglich neu geformt. Nur gehen viele in diesem Spiel als Verlierende hervor, z.B. durch eines der etabliertesten Schimpfwörter im deutschsprachigen Raum, das Sexarbeiter*innen degradiert.

Mittlerweile wirkt es oft befremdlich für mich, wenn ich einen Text lese, der nicht genderneutral geschrieben wurde, so wie die Fußnote in der wissenschaftlichen Arbeit oder 90 Prozent der Texte, die in der Allgemeinheit kursieren. Diese Wahrnehmung basiert aber weniger auf meinen Wunsch, Moralpolizei spielen zu wollen, als der Tatsache, dass ich einen Teil von inklusive Sprache so weit verinnerlicht habe, dass ich anfange, in diesen Strukturen zu denken und wahrzunehmen.

Wenn ich eine genderneutrale Schreibweise benutze, dann auch nicht, weil ich alles richtig machen will. Wer kann das schon. Es wäre auch eine zu große Erwartung, dessen Anforderung allein schon abschreckt. Vielmehr möchte ich, dass sich meine Gedanken auch in meiner Sprache manifestieren. Dort möchte ich auch niemanden diskriminieren oder es zu mindestens versuchen und es genauso in meiner Sprache ausdrücken. Im besten Falle entsteht dieser Gedanke kollektiv wie im Falle des Gesprächs mit einer befreundeten Person, in der wir feststellten, dass uns etwas an unserem sprachlichen Gebrauch stört, und wir uns deshalb etwas Neues ausdenken, so wie andere auf das * gekommen sind.

Ein dem Umfeld oder einer Situation angepasster ungenierter Ausdruck passt in manchen sozialen Räumen rein und in anderen nicht. Das hat damit zu tun, dass Sprache durchsiebt ist von sozialen Codes, die von unterschiedlichen Milieus unserer Gesellschaft verschieden bewusst und unbewusst angewendet werden. Mit meiner Cousine spreche ich anders als mit meiner Nachbarin als mit meiner besten Freundin als mit dem Bäcker von unten. Ein vielfältiger Sprachgebrauch eines Menschen spiegelt nicht zuletzt eine komplexe Persönlichkeit wider, in der mittels Sprache verschiedene Identitäten performt werden. Wenn ich harsche Beleidigung benutze, dann wahrscheinlich weniger unter dem Teil meiner Person, die sich als Akademikerin oder Journalistin identifiziert, sondern eher unter dem Teil meiner Person, die auch eine Bad Bitch sein kann, wenn sie das möchte oder muss. Vielleicht werde ich das Wort Hundesohn irgendwann aus meinem Wortschatz streichen, weil es auf Kosten von Tieren geht und ziemlich banal klingt, vielleicht streichen wir auch irgendwann andere Wörter wie Mann und Frau aus unserer Sprache, weil sich die Zweigeschlechtlichkeit dann endlich aufgelöst hat.