Von Cathrin Stadler

Damaskus 2011. Hammoudi, der in Kürze seine erste Stelle als plastischer Chirurg in Paris antreten soll, sitzt fest – sein Pass wird nicht verlängert. Bereits in den ersten Tagen des vermeintlichen Kurzaufenthalts fällt ihm die veränderte Stimmung auf, „als würde irgendetwas passieren. Die Menschen verstecken sich nicht mehr“.

Olga Grjasnowa © Aufbau Verlag/René Fietzek

Eine von ihnen ist Amal, eine junge Schauspielstudentin. Der Arabische Frühling greift auf Syrien über, in den Straßen formiert sich Widerstand gegen Assads Regime. Während Amal in der Hauptstadt, vom Geheimdienst auf die Fahndungslisten gesetzt, verhaftet und misshandelt wird, erlebt Hammoudi in einem Krankenhaus in Deir az-Zour in Ostsyrien den Ausbruch des Bürgerkriegs und die Belagerung der Stadt durch Regierungstruppen und Terrormilizen.

„Gott ist nicht schüchtern“ ist der Titel von Olga Grjasnowas neuestem Werk. Nüchtern und präzise erstellt sie darin eine Chronologie der Ereignisse, die Amal und Hammoudi vier Jahre später dazu zwingen, an der türkischen Küste dünne Schlauchboote zu besteigen. Eine kühle, immer auf Distanz bedachte Sprache spürt dem Unaussprechbaren unerbittlich nach und fasst es auch da, wo es eigentlich schon zurückgelassen scheint: „Im Hafen von Mytilini warten sie unter der gleißenden Sonne auf eine Fähre nach Athen. Die Touristen starren sie unverhohlen an. Hammoudi fragt sich, wann er das letzte Mal so viele unversehrte Körper gesehen hat.“

Olga Grjasnowa „Gott ist nicht schüchtern“
Aufbau Verlag, 309 S., 22 Euro

Am Ende ihrer Flucht steht für beide Deutschland: „Die Welt hat eine neue Rasse erfunden, die der Flüchtlinge, Refugees, Muslime oder Newcomer. Die Herablassung ist in jedem Atemzug spürbar.“ Ein dringliches, wichtiges Buch.