Von Nike Hohenstein

In der Elternzeitschrift „Nido“ behauptete ein Autor, es sei förderlich für die Bindung zu seinem Kind, gemeinsam über Dicke zu lästern. Als das diskriminierende Verhalten in den sozialen Medien skandalisiert wurde, gab es eine schwammige Stellungnahme von der „Nido“-Redaktion: Man sei ja nicht für Bodyshaming zu haben. Na ja. Oder doch.

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Mich erinnerte das Verhalten des Autors an meine eigenen Eltern. Leider.

In meiner Familie war – und ist – Dicksein ein No-go. Mein Vater war als Jugendlicher und junger Erwachsener Leichtathlet und sein ganzes Leben durchtrainiert. Weil er wahnsinnig gern und viel Schokolade aß, wurde am Wochenende exzessiv trainiert. Meine Mutter ist eine Jo-Jo-Diätkandidatin, die ihr ganzes Leben zwischen Konfektionsgröße 34 und 40 pendelt, dabei 40 für übergewichtig hält und sichtlich stolz ist, wenn ihr die kleinste Größe von der Hüfte rutscht.

Lästern über Dicke gehörte bei uns zum Alltag. Wir kommentierten untereinander die Figur anderer Menschen. Dann haben wir gemeinsam „Iiieh“ gerufen und gelacht.

Die Bindung zwischen mir und meinen Eltern festigte das gemeinsame Lästern nicht, das Gegenteil war der Fall. Ehrlich gesagt nervte mich schon damals – da war ich vielleicht 10 oder 11 Jahre alt –, wie fies meine Eltern über Menschen sprachen, die sie überhaupt nicht kannten. Ich war zu diesem Zeitpunkt nämlich selbst von Mobbing in der Schule betroffen: Eine Gruppe Mädchen hatte mich als dumm und hässlich auserkoren und grenzte mich aus, auch mit fiesen Sprüchen über mein Aussehen. Ich war furchtbar unglücklich in dieser Zeit. Ich hatte den Eindruck, dass ich meinen Eltern nicht vertrauen konnte, dass auch sie zu denjenigen gehörten, die sich willkürlich aufgrund von Äußerlichkeiten über andere erheben. Heute würde ich sagen: dass sie Täter*innen sind. So kam es, dass ich ihnen die Lästereien der anderen über mich gar nicht erst anvertraute, alles aushielt. Glücklicherweise endete das Mobbing irgendwann, als die Haupttäterin von der Schule abging – zwei Jahre später.

Außerdem war das Lästern über dicke Menschen Teil der – wie ich heute weiß – gestörten Körperwahrnehmung meiner Eltern, die sich auf mich übertrug. Dank Therapie weiß ich, dass es angesichts des Umgangs mit Essen und Gewicht in meiner Familie wenig verwunderlich ist, dass auch ich zum Ende der Pubertät hin diverse Essstörungen entwickelte, mal 48 und mal 80 Kilo wog. War ich dünn, wurde ich gelobt, war ich ein bisschen dicker, schämte man sich für mich.

Es hat viele Jahre gedauert, bis ich mich von all dem befreit habe.

Also, liebe Eltern, wenn ihr denkt, es sei cool, mit euren Kindern über dicke Menschen zu lästern, dann fasst euch lieber an die eigene Nase. Kinder wollen ihren Eltern gefallen und machen das, was diese von ihnen erwarten. Auch über etwas lachen, was sie sonst vielleicht gar nicht als problematisch oder witzig wahrnehmen würden. Vielleicht fördert das die Nähe zwischen euch. Noch wahrscheinlicher ist aber, dass es euch voneinander entfernt.