Von Armaghan Naghipour

Die juristische Ausbildung hat ein Sexismusproblem. Das fiel mir früh in meinem Studium der Rechtswissenschaften auf. Angesprochen habe ich es erst spät. Mit meiner Migrationsgeschichte fühlte ich mich an meinem Erststudienort Heidelberg in einem Fach wie Jura ohnehin schon als bunter Vogel. Meinen Namen konnte/wollte niemand richtig aussprechen. Und dann: Duktus, Habitus, Witze, Fallübungen, alles überwiegend männliche Narrative. Ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die glaubten, das Studium des Rechts diene der Durchsetzung von Gerechtigkeit für alle.

Die Juristenausbildung (sic!) ist sehr androzentristisch. © Shutterstock/vchal

Anfang diesen Jahres dann plötzlich ein auf Krawall gebürsteter, verdammt scharfsinniger Aufsatz dreier Juristinnen, die das Thema Sexismus in der Jurist*innenausbildung aufgreifen und obendrauf noch einen passenden Blog dazu ins Leben rufen.

Zum Relaunch ihres Blogs wurde es allerhöchste Eisenbahn, Lucy Chebout, Selma Gather und Dana-Sophia Valentiner persönlich kennenzulernen.

Wie ist euer Projekt entstanden?
Selma Gather: Wir drei kannten uns schon aus dem Kontext des Feministischen Juristinnentags. Näher haben wir uns dann im letzten Jahr bei dem studentisch organisierten Kongress „Sexismus in der (juristischen) Ausbildung“ in Münster kennengelernt.

Dana-Sophia Valentiner: Daran anknüpfend ist unser Beitrag in der Zeitschrift des deutschen Juristinnenbundes (djbZ) entstanden, in dem wir einfach mal aufgeschrieben haben, was wir in der juristischen Ausbildung als sexistisch wahrnehmen. Und im Anschluss daran nun der Blog.

Lucy Chebout: Wir haben gemerkt: Das Thema betrifft nicht nur jede von uns individuell, sondern es ist ein strukturelles Problem. Derzeit wird eine umfassende Reform der juristischen Ausbildung vorbereitet. Sexismus, Rassismus, Homofeindlichkeit und so weiter kommen in der Reformdiskussion überhaupt nicht vor. Sollten sie aber. Gerade bei so einem wichtigen Instrument wie dem Recht, wo es um Gerechtigkeitsfragen geht, müssen exkludierende und diskriminierende Ausbildungsbedingungen problematisiert oder überhaupt angesprochen werden.

Worin zeigen sich diese Ausschließungsmechanismen?
DV: Jura wird anhand von Übungsfällen gelehrt und gelernt. Ich habe im Rahmen des Projekts „(Geschlechter)Rollenstereotype in juristischen Ausbildungsfällen“ an der Uni Hamburg empirisch die Geschlechterrollen von Frauen in Jurafällen untersucht. In den insgesamt 87 Examensübungsklausuren, die wir uns angeschaut haben, sind weniger als 20 Prozent der knapp 400 Protagonist*innen weiblich. Geschlechtsidentitäten jenseits der binären Geschlechterordnung finden sich gar nicht. Die wenigen Frauen werden sehr häufig über ihre Beziehung zu Männern definiert, sie treten als Ehefrauen, Töchter, Geliebte auf, ihre Namen werden sehr häufig auf diese Beziehungen reduziert. Wir haben uns auch die Berufe angeschaut: Frauen werden seltener berufstätig dargestellt als Männer. So hat nur knapp ein Drittel der Frauen einen Beruf, aber fast zwei Drittel der Männer. Bei den Berufen werden geschlechtsbezogene Stereotype bedient: Frauen arbeiten als Verkäuferinnen und im Dienstleistungssektor, im handwerklichen und technischen Bereich werden hingegen nur Männer dargestellt, Richter*innen und Anwält*innen sind ganz überwiegend männlich. Und schließlich: Gerade einmal 5 Prozent der Fälle sind in geschlechtergerechter Form verfasst.

SG: Sehr viel hat darüber hinaus mit den juristischen Räumen zu tun, wie sich dort bewegt wird, was dort für ein Ton und Selbstverständnis vorherrscht. Sowie auch damit, dass der Anteil an weiblichem Ausbildungspersonal oder weiblich besetzten Lehrstühlen prozentual sehr gering ist.

Wie hoch ist der Anteil an weiblichem Ausbildungspersonal?
SG: Der Anteil der mit Frauen besetzten Lehrstühle in Deutschland beträgt gerade einmal 16 Prozent. Das heißt, über 80 Prozent der Lehrstühle sind männlich besetzt. Auf jeder Sprosse der universitären Karriereleiter nimmt der Anteil an Frauen ab. Das wirkt sich natürlich auch auf das Lehrpersonal aus. 

Mir ist es in meiner eigenen juristischen Ausbildung häufig so ergangen, dass ich immer, wenn ich mich gegen eine meines Erachtens sexistische Fallgestaltung oder Bemerkung geäußert habe, nicht nur von der männlichen Front, sondern leider ebenso häufig von weiblichen Mitstudierenden belächelt wurde. Wie war das bei euch?
LC: Das ist schon ein großer Schritt, das überhaupt anzusprechen. Ich hab ehrlich gesagt oft gar nicht interveniert.

Weil der Raum dafür einfach nicht vorhanden war?
LC: Ja, auch weil ich Angst hatte vor negativen Konsequenzen. Man sitzt in der Vorlesung und der Prof macht vermeintlich witzige Bemerkungen über Geschlechterrollen oder so und der Saal lacht, und man selbst denkt: Das find ich überhaupt nicht witzig. Mein Grundgefühl im Studium war entsprechend: Ich gehöre hier nicht wirklich dazu, meine Lebenswirklichkeit ist hier null repräsentiert. Das hat meist dazu geführt, dass ich einfach gar nicht mehr in die Veranstaltungen gegangen bin.

SG: Es gibt auch konkrete Erfahrungen von Leuten, die etwas gesagt haben und die dann als Sprachpolizei bezeichnet werden. Aber keine von uns hat die Erfahrung gemacht: Ich habe es angesprochen und wurde dabei unterstützt.

DV: Im Vorgespräch zu meiner mündlichen Prüfung teilte ein Prüfer meinen drei Kommilitoninnen und mir zum Beispiel mit, wir sollten uns keine Sorge machen, da die Prüfungskommission rein männlich besetzt sei und wir uns einfach einen netten Rock anziehen sollten.

SG: Es gab aber auch Lichtblicke, beispielsweise wenn geschlechtergerechte Sprache auf Folien verwendet wurde oder eine Fallkonstellation im Uni Repetitorium Racial Profiling thematisierte, ohne Rassismus zu reproduzieren. Das fand ich total gut, und das sollte es viel mehr geben.

Jetzt, wo ihr von Racial Profiling sprecht, nehme ich an, dass ihr eine Intersektionalität in der Diskriminierung beobachtet.
LC: Absolut. Unser Ausgangspunkt war Sexismus. Aber selbstverständlich ist unser Verständnis von Ungleichheiten umfassender. Es geht genauso um Rassismus, um Heteronormativität, auch um ableistische Perspektiven und vieles mehr. Wenn man beispielsweise Rassismus in den Fokus nimmt, ist das Problem noch deutlicher, gerade was die Repräsentation betrifft: Lehrende oder gar Professorinnen of Color sind an juristischen Fakultäten höchst selten zu finden.

DV: Wenn es hingegen um bestimmte Delikte im Strafrecht geht, sind die Täter ganz häufig Migranten. Auch die scheinbar neutralen Namenskürzel in Jurafällen, zum Beispiel A oder B, werden da schnell mal zu Ö oder Ü.

 

Die Macherinnen des Blogs: 

Lucy Chebout:
Rechtsreferendarin in Potsdam. Studierte Rechtswissenschaften sowie Gender Studies und Islamwissenschaften in Berlin.

Selma Gather:
Rechtsreferendarin in Berlin. Studierte Rechtswissenschaften in Berlin und Genf.

Dana-Sophia Valentiner:
Mitglied der djb-Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht, Gleichstellung; wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof.in Dr.in Margarete Schuler-Harms an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Studierte Rechtswissenschaften und Genderkompetenz in Hamburg.

Und warum, meint ihr, ist diese Art von Sprache und Verhaltensweise in der Juristerei so stark ausgeprägt?
LC: Ich glaube, das liegt erstens daran, dass Jura eine Machtdisziplin ist. Das Recht ist ein Herrschaftsinstrument, was in spezifischer Weise dazu befähigt, an der Gesellschaft teilzuhaben und Entscheidungen zu beeinflussen. Bei anderen – zum Beispiel geisteswissenschaftlichen – Fächern ist das anders.

Zweitens verändert sich durch den Zugang von marginalisierten Personen zum Jurastudium das Ganze zwar. Aber gleichzeitig geht mit der Ausbildung eine gewisse Sozialisation in das Fach einher. Beispielsweise die Orientierung am Staatsexamen, das Konkurrenzdenken, enormer Leistungsdruck und damit verbundene Aussiebungsmechanismen sind etwas sehr Juraspezifisches. Du wirst in der juristischen Ausbildung an keiner Stelle dazu animiert, dich kritisch mit dem auseinanderzusetzen, was du erlernst – zumindest hilft es dir im Examen null.

Wie war die Resonanz auf euren Blog in der Studierendenschaft?
SG: Das mit dem Blog ist ja ein ziemlich spontanes Projekt gewesen. Die Idee gab es schon länger, aber gestartet haben wir ihn in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Wir haben das dann in unsere Netzwerke rausgeschickt und waren ziemlich überwältigt von der Resonanz. Jetzt sind wir sehr gespannt, wie es sich entwickelt, wenn wir den Blog relaunchen und uns ausdrücklich an Lehrpersonal, Fachschaften und Studierende wenden.

DV: Es gibt auf der Homepage verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten. Denn darum geht es uns letztlich: dass wir Beispiele sammeln und damit eine Sichtbarmachung der Problematik erreichen.

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Und was erhofft ihr euch nach dem Prozess der Sichtbarmachung?
SG: Unser primäres Anliegen mit dem Blog ist es, den Leuten, die sagen‚ sie sähen das Problem nicht, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dabei wollen wir nicht einzelne Leute an den Pranger stellen, sondern vielmehr das strukturelle Problem aufzeigen. Die Beispiele im Blog sind deshalb auch alle anonymisiert. Zudem haben wir unter anderem kürzlich einen Arbeitsstab im Deutschen Juristinnenbund gegründet bzw. wiederbelebt, wo wir das Thema strukturierter, konstruktiver angehen und auf die diskriminierungskritische Agenda setzen wollen. Der Blog ist ein Baustein, ein Argumentationsstützpunkt in dem Ganzen.