Von Olja Alvir

Bei mir musste es ja ganz klischeehaft ein nie da gewesener Tiefstpunkt sein, „rock bottom“ sozusagen, bis ich ernsthaft darüber nachdachte, mein Leben von Grund auf umzukrempeln. Dass ich krank bin, war mir schon länger klar, auch hatte ich mehr oder weniger erfolgreiche Versuche angestellt, mich behandeln zu lassen – doch langfristig hatte nichts geholfen.

„Was tut mir eigentlich gut?“ © Tine Fetz

Vor einiger Zeit „outete“ ich mich in dieser Kolumne als Person mit einer psychischen Erkrankung. Ich bekam sehr viele schöne Nachrichten von Menschen, denen es ähnlich ging, und viele freundliche Worte von Unterstützer*innen. Es war ein Befreiungsschlag.

Heute möchte ich in meiner letzten Missy-Kolumne ein paar Einsichten teilen, die ich in letzter Zeit zum Thema „mental health“ hatte – in der Hoffnung, dass sie anderen vielleicht hier und da helfen oder in die richtige Richtung stupsen. Schließlich geht es mir nun besser, und das zu einem nicht unbeachtlichen Teil wegen Texten, die andere, die mit mental health kämpfen, ins Internet getippt, geschwitzt und gefiebert haben. Mir ist bewusst, dass diese Liste nicht für alle Menschen sinnvolle und angemessene Vorschläge beinhaltet. Es ist eine subjektive Sammlung an Dingen, die mir geholfen haben – vielleicht ist etwas für dich dabei, vielleicht nicht.

Als Erstes muss ich konsequenterweise gleich mal dazu aufrufen, dieses Fenster zu schließen und den Computer abzudrehen. Wenn du so wie ich bist oder wie viele andere Menschen mit psychischen Schmerzen, dann ist es jetzt schätzungsweise zwei Uhr vierundneunzig in der Früh und du solltest schon lange im Bett sein. Ohne Scheiß: Schlaf ist das Allerallerallerallerwichtigste. Jedes Mal, wenn es mir psychisch schlecht ging, war (auch von professioneller Seite her) der erste Schritt zur Genesung, wieder in einen erholsamen, lang genugen und vor allem auch in der Nacht situierten (!) Schlaf zu finden.

Ich kann das gar nicht so oft unterstreichen, wie es wichtig ist: Alle Menschen – und ganz besonders jene mit psychischen Problemen – können nur von einem regelmäßigen Schlafrhythmus profitieren. Gedankenkreise, Obsessionen, Angstzustände – sie alle ermüden das Gehirn, und das müde Gehirn kann sich dann erst wieder schwerer gegen diese Form von Mustern wehren. Es passiert wirklich sehr viel Verarbeitung und Regeneration im Schlaf und schon nach ein paar Tagen regelmäßigem erholsamen Schlaf fühlt eins sich besser. Nicht umsonst ist Schlafentzug eine Foltermethode! Sich Schlaf zu verwehren ist – und das ist keine Wertung, sondern ein Ausdruck dessen, wie ernst ich das meine – selbstverletzendes Verhalten.

Als Nächstes – und das war besonders für mich ein revolutionärer Gedanke – sollte eins sich die Frage stellen: „Was tut mir eigentlich gut?“ Das lernt man ja nirgends, verdammt! Was zur Hölle, von all diesen Dingen, die ich täglich, wöchentlich, monatlich mache, tut mir wirklich gut, und ist nicht nur etwas, was ich aus Gewohnheit oder von sozialen Konventionen her mache? Ich jedenfalls habe mir tatsächlich erst mit 26 Jahren zum ersten Mal ernsthaft diese Frage gestellt. Ist ja gesellschaftlich auch nicht gewollt – wir lernen von klein auf, dass wir viel einstecken werden müssen, uns viel anpassen werden müssen. Nie – in der Schule nicht, in der Arbeitswelt sowieso nicht – lernt eins, die eigenen Bedürfnisse zu isolieren und zu identifizieren.

Am besten bringt eins sich nach dieser Inspektion bewusst dazu, mindestens ein Mal pro Woche etwas zu tun – was auch immer es sei! –, von dem eins ganz, ganz, ganz sicher ist, dass es guttut. Sport, Musizieren, Kino, Museum, Spazieren, Malen, mit der einen lang nicht gesehenen Freundin treffen, Hunde aus dem Tierheim spazieren führen … Und genießt diese Dinge zeremoniell. Kleine Häppchen zwischendurch oder nebenbei wie Netflix gelten hier nicht. Es muss etwas sein, das aus dem Alltag heraussticht und ganz bewusst und nicht aus Langeweile gemacht wird, optimalerweise außerhalb von den eigenen vier Wänden.

Bei mir war es Schwimmen und Gesangsunterricht – die Beschäftigung mit dem eigenen Körper anstatt mit den eigenen kreisenden Gedanken stellte sich tatsächlich genauso heilsam heraus, wie blöde semispirituelle Ratgeber*innen immer beteuern. Sorry – ich wollte es auch kaum glauben. Weitere typische Erwachsenenratschläge, die ich für euch getestet habe, neben „Sport tut gut“ und „Schlaf ist wichtig“: Rucksäcke sind wirklich besser als Umhängetaschen und viel Wasser trinken ist insgesamt wichtig. Tja. Ich wollte es auch nicht wahrhaben.

Gutes Essen – im Sinne von, Essen, das dir guttut – zelebrieren, als wäre es Haubenküche. Was ist der beste Döner in deiner Stadt? Fahr extra hin. Oder vielleicht versuchst du ihn zu Hause nachzubauen? Nicht mehr im Gehen oder generell im Transit essen (sofern möglich).

Tiere: Anschauen, angreifen, über sie lernen. Fasziniert sein und ihre Unverfälschtheit genießen. Natur ehrfürchtig beobachten.

Hör auf, (so viel) Nachrichten zu lesen, sofern dein Job es erlaubt. Du verpasst wenig. Es ist immer noch Kapitalismus, Ausbeutung rult, Diskriminierung wird hochgefahren und alle Errungenschaften der letzten  Jahrzehnte werden Stück für Stück zurückgenommen. Befasse dich nicht obsessiv mit Tagespolitik und Parteihickhack – der Kampf, der jetzt ansteht, ist ohnehin global.

Und zu guter Letzt: Du musst bei all diesen Dingen jetzt ein bisschen strenger mit dir sein. Sag öfter Nein und mach weniger Kompromisse, wenn es um deine Bedürfnisse geht. Mache deine geistige wie physische Gesundheit, so gut es geht, zur Priorität Nummer 1. Hol dir (professionelle) Hilfe, wende dich an die Menschen, die dir Gutes tun. Lies Beth McColl und hör laut Sias „Alive“.

Ich war ziemlich wahrscheinlich schon oft ähnlich mut- und hoffnungslos, am Boden zerstört. Aber heute weiß ich: Es kann besser werden. Und, wenn mein Wort irgendetwas zählt: Versprochen.