Von Leyla Yenirce

Wie oft wurdet ihr als Frau – unabhängig davon, ob ihr euch selbst als solche identifiziert – schon im öffentlichen Raum angemacht? Wie in meinem Falle wahrscheinlich schon ziemlich oft. Als ich vor zwei Jahren anfing, über einen neuen Hobbysport nachzudenken, fiel meine Wahl relativ schnell auf Kampfsport. Ein Bekannter lud zum Training ein, weil er Mixed Martial Arts (eine Art homoerotisches Kampfkuscheln, bei dem intensiv die Gesäße aneinandergerieben werden) trainierte. Das war mir aber ein bisschen zu kontaktfreudig und ich entschied mich stattdessen für Muay Thai, eine Form des Boxen, bei der Arme, Beine, Knie und Ellbogen eingesetzt werden. Da ich immer noch begeistert dabei bin, folgt nun ein kleiner Ratgeber für Einsteiger*innen, die auch mit dem Gedanken spielen, mit dem Kampfsport anzufangen.

So, ready to rumble? © Tine Fetz

Der erste Schritt: Meine Arme fühlen sich wie Spaghetti, bin ich fürs Boxen geeignet? Wenn du wie ich vorher nicht intensiv Sport gemacht hast, außer auf der Tanzfläche ungekonnt deinen Booty zu shaken, und beim Twerken auf den Boden gefallen bist, weil deine Oberschenkelmuskeln zu unausgebildet sind, solltest du trotzdem keine Angst vor dem ersten Mal Training haben. Wenn es ein guter Verein ist, dann spielt es keine Rolle, mit welcher Erfahrung du das Training beginnst. Viel wichtiger ist, dass du Lust drauf hast. Wenn du merkst, dass dir das Training eigentlich zu anstrengend ist, dann lass es auf jeden Fall sein, weil Kampfsport viel mit persönlicher Einstellung zu tun hat und weniger mit neoliberalen Körpernormen, die es durch das Training zu erfüllen gilt! Wenn du aber merkst, dass du viel Wut im Bauch hast, die am Sandsack einen richtigen Platz findet, dann leg los, auch wenn sich deine Arme wie bei mir – unabhängig von Größe, Fülle oder Breite – anfühlen wie Spaghetti, weil du sie nicht mehr als fünf Sekunden oben halten kannst. Fünf Sekunden reichen manchmal für ein K.o.

Der zweite Schritt: Ich habe mich für ein Probetraining entschieden, aber was ziehe ich an? Vor allem möchte ich mich dabei wohlfühlen und auch noch gut aussehen.
Bei der Kleidung zum Kampfsport Training gibt es nur eine Regel: wohlfühlen. Das tust du am besten, indem du Kleidung trägst, die so bequem wie möglich ist und in der du dich frei bewegen kannst. Es muss auch nicht teure Funktionskleidung sein, sondern Kleidungsstücke, die elastisch sind. Sehr gut eignen sich Leggins mit Shorts drüber und ein labbriges T-Shirt. Richtige Thaibox Shorts hab ich mir noch nicht geleistet, aber sie eignen sich neben dem Training auch hervorragend für ein cooles Sommer-Outfit und bedecken die Löcher im Schritt der Leggins, die gewöhnlicherweise nach zwei Mal tragen drin sind. Wichtig: Wenn du Brüste hast, Sport-BH nicht vergessen. Boxen ohne BH kann ganz schön wehtun. Vor allem, wenn man versucht, sich dann in peinlich improvisierter Bewegung den Vorbau mit seinen Armen zu stützen, weil BH vergessen.

Die erste Trainingseinheit: Die meisten in der Gruppe sind schon länger dabei und so viel besser! Ich schaffe es nur schwer mitzuhalten.
Wahrscheinlich sind die schnelleren Teilnehmer*innen schon länger dabei und deswegen fitter. Aber kommt es darauf an? Nein. Deswegen: Finde dein eigenes Tempo. Das hatte mir jedenfalls mein Trainer gesagt, als ich von zehn Minuten Seilspringen fast kotzen musste. Ich hatte mich mit anderen verglichen, unter Druck gesetzt und wollte mithalten – davor hatte ich einen Dürüm gegessen. Vor allem als als Frau gedeutete Person in einer männlich dominierten Gruppe fühlte ich den Drang, keine Klischees von einer vermeintlich schwächeren Person bestätigen zu wollen. Das war aber nicht sehr clever, weil ich dadurch ziemlich schnell k.o. war.

Nach drei Trainingseinheiten: Ich fühle mich nicht so wohl beim Training, weil so viele Männer mitmachen.
Dein Unbehagen ist berechtigt, aber du kannst dich erst mal langsam im Kampfsportverein umschauen, um dir dann stückweit den Raum anzueignen. Ich hatte verschiedene Gruppen ausprobiert und mich beispielsweise bei einem Trainer nicht wohlgefühlt und bin zu einer anderen Gruppe gewechselt, die ich besser fand. Oft waren die Männer in der Gruppe sehr schüchtern und hatten Berührungsängste, beispielsweise, wenn es bei den Übungen darum ging, anzupacken und von meinem Geschlecht zu abstrahieren. Im Laufe der Zeit habe ich einige Mitglieder durch kurze Gespräche besser kennengelernt, wodurch sich ein familiäres Verhältnis entwickelt hat. Stück für Stück habe ich mir so den Raum angeeignet und bin den meisten Männern im Training durch meine kontinuierliche Teilnahme sogar weit voraus.

Nach vier Trainingseinheiten: Aber dieser Voyeurismus, die gucken immer so.
Manchmal fällt es schwer, zwischen Gaffen und Gucken zu unterscheiden, weil der Körper beim Sport im Fokus steht und sich alle eh die ganze Zeit angucken. Trotzdem denke ich, dass ein ungutes Bauchgefühl oder die Intuition am Ende immer recht hat, wenn es darum geht, zwischen Gaffen und bloßem Gucken zu unterscheiden. Wenn du dich wirklich unwohl fühlst, weil dich cis Männer beim Training anstarren, dann sprich mit dem Trainer oder mache es so wie ich, direkt mit der Person, von der du dich angegafft fühlst. Natürlich kannst du auch einfach in einer Gruppe trainieren, aus der Männer ausgeschlossen werden, aber in meinem Falle mochte ich das Training beim Trainer und wollte nicht wechseln. Ignorieren ist auch eine Strategie oder einfach nach Bedarf zurückstarren. Das schüchtert verunsicherte Starrer ein.

Und dann immer dieses Mansplaining.
Die Aufgabe des Erklärens liegt beim Trainer und nicht bei den Trainierenden. Wenn es ein freundlicher Austausch ist, gibt es untereinander viel zu lernen, aber sich auf die Ratschläge einer Person zu konzentrieren, reicht meistens schon.

Nach zwei Monaten: Ich bin froh, dass ich meine Gruppe nicht gewechselt habe, weil ich als privilegierte*r Akademiker*in durch den Kampfsportverein endlich mal in Kontakt mit Menschen aus einer sozial benachteiligten Schicht komme. Das fühlt sich so real an.
Ja, dieser Gedanke kann schon auftauchen, aber 1. solltest du die soziale Herkunft von Menschen nicht romantisieren, 2. weißt du gar nicht, woher die Menschen kommen, wenn du sie nicht fragst, 3. empfehle ich, eine professionelle Distanz zu wahren und auch erst gar nicht zu fragen, weil es 4. beim Training schließlich um den Sport und nicht deinen persönlichen Hintergrund geht. Das ist im Alltag leider selten der Fall, deswegen genieße den Moment. Beachte: Wenn du nicht auf dein Geschlecht reduziert werden möchtest, reduziere nicht andere auf ihre Herkunft oder sozialen Status.

Nach sechs Monaten: Seit meine Muckis ein bisschen gewachsen sind, habe ich immer wieder Fantasien, wie ich Männer zusammenschlage, die mich beispielsweise nachts auf dem Nachhauseweg anmachen.
Ein Prozess, der total normal ist und auch richtig Spaß machen kann. Ich habe in meinen Gedanken schon oft meine gewonnene Kraft an jemandem ausgelassen, doch als Teilzeit-Pazifistin rate ich dazu, diese Fantasie nur in deinem Kopf spielen zu lassen, aber dort schon mal für den Notfall zu üben. Dieser tritt hoffentlich nicht ein, wenn doch, solltest du ohne Rücksicht auf Verluste alles aus dem Training Gelernte anwenden, so wie beispielsweise Princess Nokia. Diese hat bei einem ihrer Konzerte den sexistischen Zwischenruf eines weißen Besuchers mit einem Schlag in die Fresse beantwortet.

Die Übungen aus dem Training auf den Menschen anzuwenden kostet mich so viel Überwindung.
Das Gefühl kenne ich gut, aber das Sparring – eine Übung, bei der ein Kampf angedeutet wird – erweist sich hierfür als sehr hilfreich. Anfangs fiel es mir noch sehr schwer, die Übungen aus dem Training auf den Menschen zu übertragen, und ich habe versucht, mich vor dem Sparring zu drücken, aber das ist eine rein mentale Sache. Als ich anfing, meinen Kopf auszuschalten, konnte ich mich besser darauf konzentrieren, die Kicks und Schläge an den Pratzen und dem Sandsack in Realisationen einzusetzen. Motiviert hat mich vor allem der Gedanke, dass ich es im Notfall auch können möchte und zu meiner Selbstverteidigung muss.

So, ready to rumble?