Von Natasha A. Kelly

Der Begriff „Intersektionaliät“ wurde ursprünglich von Schwarzen Feministinnen in den USA geprägt: Das erste Mal verwendet hat ihn die US-amerikanische Juristin Kimberlé Williams Crenshaw 1989 in einem wissenschaftlichen Aufsatz. Doch Intersektionalität ist so alt wie die Kämpfe gegen Versklavung und Kolonialismus. Schon 1851 stellte die Frauenrechtlerin Sojourner Truth die Frage: „Ain’t I a Woman?“ Damit kritisierte sie erstens die Tatsache, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts generell kein Stimmrecht besaßen, und zweitens die Präsenz von Rassismus und Klassenunterdrückung in der Frauenbewegung selbst. Sowie drittens die sexistische Diskriminierung, die Schwarze Frauen innerhalb der Schwarzen Community erfahren.

Truth brachte zum Ausdruck, dass Schwarze Frauen spezifische Diskriminierungserfahrungen machen, die sich sowohl von den Erfahrungen Schwarzer Männer als auch von denen weißer Frauen unterscheiden. Diese Erfahrungen – die Überschneidung von Rassismus und Sexismus – stellen eine Mehrfachdiskriminierung dar und kennzeichnen die gesellschaftliche Position von Schwarzen Frauen und Frauen of Color.

Deren kritische Stimmen wurden im ausgehenden 19. Jahrhundert stets dadurch übertönt, dass sie in der Kategorie „Frau“ zusammengefasst wurden. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Hypothese der Mehrfachunterdrückung von Schwarzen Feministinnen erneut aufgegriffen. In ihrem 1977 erschienenen Manifest kritisierte das Combahee River Collective sowohl die Beschränkung des Feminismus auf die Bedürfnisse der weißen Mittelschichtfrauen als auch den Androzentrismus, also die gesellschaftliche Fixierung auf den Mann. Denn ohne die Betrachtung der Diskriminierungserfahrungen von Schwarzen Frauen würden im Kampf gegen Sexismus immer wieder rassistische, im Kampf gegen Rassismus sexistische Strukturen reproduziert werden.

Führend in der frühen Intersektionalitätsdebatte war auch Audre Lorde, die während einer Gastprofessur an der Freien Universität in Berlin Anfang der 1980er-Jahre das Thema Rassismus in die bis dahin homogene weiße deutsche Frauenbewegung einführte. Lorde, die sich selbst als „black lesbian feminist mother poet warrior“ bezeichnete, war der Meinung, dass Frauen einander in ihren Unterschieden anerkennen und diese als Quelle der Kraft und Kreativität nutzen sollten.

Wissenschaftlich betrachtet ist Intersektionalität ein soziologisches Konzept, das erlaubt, Identität als vielschichtiges Konstrukt zu verstehen. Im Gegensatz zur Queer Theory, die Identitätskategorien an sich infrage stellt, funktioniert die Intersektionalitätstheorie wie ein Prisma, durch das die einzelnen Kategorien und ihre Verbundenheit miteinander betrachtet werden können. „Intersektionalität“ dient demnach als „Lupe“, die die unterschiedlichen Bedingungen einer Diskriminierung erkennbar macht.

Grundlegend für dieses Verständnis ist, dass Diskriminierung Differenzen schafft (zum Beispiel Schwarz/weiß, männlich/weiblich) – und nicht umgekehrt. Diese Unterschiede werden als „Differenzlinien“ bezeichnet. Im Prozess der Diskriminierung kann es zu einer Überschneidung dieser Differenzlinien kommen und damit zur Schaffung intersektioneller Identitäten, etwa als Schwarze Frau. Dieser Ansatz hilft, eine vermeintliche Diskriminierungshierarchie und damit die unterschiedliche Gewichtung verschiedener Formen von Diskriminierung kritisch zu analysieren.

Dieser Artikel ist zuerst in Missy 03/2017 erschienen