Von Amelia Umuhire

Letztens war ich auf dem Geburtstag einer Bekannten in einer Neuköllner Bar eingeladen. Es war eine dieser neueren Bars, in denen das alternative Jagdzimmer-Feeling aus der Weserstraße von Beton und minimalistischem Design abgelöst worden war. Sie war voller junger und hipper Menschen, die bereitwillig 10,90 Euro für einen Longdrink zahlten. Die meisten Gespräche handelten von Umzügen, neuen gestalterischen Projekten und dem „Struggle“ junger, subventionierter Künstler*innen und wurden zum größten Teil auf Englisch geführt, da die Gastgeberin aus dem europäischen Ausland stammt.

Keine Deutschkenntnisse? Für manche kein Problem. © Tine Fetz

Als der Kellner, ein junger, blonder und recht hipper Mann, an unseren Tisch kam und ich meine Bestellung auf Deutsch aufgab, antwortete er mir auf Englisch.

„I don’t speak German, can you repeat?“

Ich war überrascht darüber, wie furchtlos er zugab, kein Deutsch zu sprechen, obwohl er in einer Bar in Deutschland arbeitete. Sein Akzent und die blonden Haare verorteten seinen Migrationshintergrund irgendwo in Skandinavien. Ich bestellte noch mal auf Englisch und scherzte anschließend zu meiner Tischnachbarin in einer ironischen „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Stimme, dass in den 10,90 Euro vermutlich die Kosten für seine Deutschkurse verrechnet worden waren.

Sie verstand meinen Humor nicht beziehungsweise fand mich einfach nicht lustig und lachte etwas angewidert. Vermutlich hielt sie mich für eine dieser Schwarzen CSU-Wählerinnen. Doch ich war ehrlich überrascht und auch ein bisschen empört über die Selbstsicherheit, mit der mich der Neu-Neuköllner Kellner aufgefordert hatte, ihn in der Sprache anzusprechen, die er verstand. Auch weil in der Gastronomie, zumindest im restlichen Deutschland, Menschen ohne Deutschkenntnisse meistens mit Haarnetzen und Handschuhen hinter verschlossenen Türen arbeiten.

Das weiß ich von den zahllosen Orten, in denen ich im Laufe der Jahre gearbeitet habe und mein einziger Kontakt mit anderen Schwarzen Menschen aus dem verlegenen Kopfnicken durch offene Küchentüren bestand. Kurzum, es widersprach allem, was mir dieses Land bis dahin gelehrt hatte.

Mit acht Jahren kam ich ohne jegliche Deutschkenntnisse nach Deutschland. In der Linguistik befand ich mich damit noch circa fünf Jahre unter der Akzentgrenze. Denn laut der modernen Sprachforschung ist der Mensch ab ungefähr dreizehn Jahren nicht mehr in der Lage, eine neu erlernte Sprache akzentfrei zu sprechen.

Damals war uns diese kritische Grenze nicht bekannt, aber in unserem Haushalt war es trotzdem sehr schnell klar, dass meine Schwestern und ich so schnell wie möglich die neue Sprache lernen mussten.

Der akzentfreie Erwerb würde darüber entschieden, welche weiterführende Schule wir besuchten, welche Freund*innen wir haben würden, welche akzentfreien Räume wir später betreten würden, und würde uns in einer Umgebung, in der dieselbe Sprache in unterschiedlichen Mündern offensichtliche und weniger offensichtliche Angriffe bereithielt, die nötige Munition geben.

Es zahlte sich aus.

Immer, wenn ich ein Geschäft betrete und ein deutsches Gesicht hinter der Kasse erblicke, verändert sich meine Stimme. Ich grüße laut und sage schwungvoll „Morgen“ oder „N’Abend“ in einer Weise, die klarmachen soll, dass ich wie die Person vor mir bin. Es ist das sprachliche Äquivalent der Friedenspfeife oder um aus der unendlichen Quelle kolonialrassistisch geprägter Geschichten zu schöpfen, ähnlich dem berühmten „Ich Tarzan, du Jane“, abgewandelt in „Du Jane, ich auch Jane“.

Dieselbe Stimme setze ich bei offiziellen Telefonaten auf und fliege meistens erst auf, sobald ich meinen Nachnamen mehrmals buchstabieren muss.

In Deutschland ist der Akzent beziehungsweise seine Abwesenheit mächtig.

Er macht, dass meine Mutter von Busfahrer*innen, Arzthelfer*innen, Nachbar*innen, Kassierer*innen usw. minderwertig behandelt wird und führt dazu, dass ich mich als Teenie für sie schäme. Er führt dazu, dass einer Freundin bei der Ausländerbehörde die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels unrechtmäßig verweigert wird, da die zuständige Sachbearbeiterin vortäuscht, sie aufgrund ihres Akzentes leider nicht verstehen und ihr daher auch nicht weiterhelfen zu können.

Er macht den Komiker und Moderator Kaya Yanar berühmt und führt dazu, dass viele aus Angst vor der Karikatur, die ihr Mund von ihnen zeichnet, lieber schweigen.

Seine Ab- und Anwesenheit macht manche mündig und viele stumm.

Deswegen überraschte es mich, dass der Berliner Skarsgård so offen zugab, kein Deutsch zu sprechen. Es widersprach fast allem, was mir dieses Land bisher gelehrt hatte, außer vielleicht einer Sache: Hier sind manche Tarzan und andere Jane.