Von Brigitte Theißl

Wie wirken sich Klassenunterschiede auf das feministische Miteinander aus? Mit dieser Frage hat sich Julia Roßhart intensiv auseinandergesetzt. Für ihre Dissertation, die Ende 2016 in Buchform erschienen ist, arbeitete die Soziologin mit Texten der Frauen- und Lesbenbewegung* der 1980er- und 1990er-Jahre in der BRD und führte Gespräche mit Protagonistinnen, um deren anti-klassistischen Protesten und Interventionen innerhalb verschiedener Gruppen nachzuspüren.

Feminismus: Eine Frage der Klasse? © Stephanie S. Scholz

„Es ist absurd, es gibt hochtrabende Diskussionen, aber jede steht mit der Geldbeschaffung alleine da“, kommentierte etwa eine Aktivistin die feministische Praxis, die immer schon von klassenprivilegierten Akteurinnen dominiert wurde. Der in der deutschsprachigen Diskussion relativ neue Begriff des Klassismus beschreibt – analog zu Rassismus oder (Hetero-)Sexismus – eine Diskriminierungs- und Unterdrückungsform aufgrund von Klassenzugehörigkeit. Geprägt wurde er von der US-amerikanischen Lesbengruppe The Furies, in der sich Arbeiter*innentöchter organisierten. Das wertvolle Wissen um Gegenstrategien, das in der deutschen feministischen Bewegungsgeschichte vielfach verdrängt oder vergessen wurde, mächte Roßhart wieder anschlussähig für aktuelle Diskussionen machen.

Du hast in deiner Arbeit nach konkreten Strategien feministischer Aktivistinnen gesucht, Klassenunterschieden bzw. Klassismus in den eigenen Reihen entgegenzuarbeiten. Gab es Interventionen, die dich besonders beeindruckt haben?
Julia Roßhardt: Da fällt mir sofort das Umverteilungskonto einer Berliner Prolllesben- Gruppe ein. Und zwar haben sie ein Konto gegründet, in das anonym eingezahlt und von dem auch anonym abgehoben werden konnte. Die Idee dahinter war, Geld innerhalb der lesbischen Community in Berlin umzuverteilen. Das Konto existierte zwei Jahre lang – und es funktionierte.

Wie du in deinem Buch nacherzählst, fiel es Aktivistinnen aus der Mittelschicht allerdings leichter, Geld anzunehmen. Ähnliche Berichte gibt es von „Pay as you wish“- Veranstaltungen, wo jede*r nach eigenem Ermessen einen Beitrag leisten soll. Wie ist das zu erklären?
Menschen, die in relativem Wohlstand aufgewachsen sind, können Geld leichter annehmen, weil es für sie eine gewisse Selbstverständlichkeit ist – so erklären das verschiedene Autorinnen. Menschen, für die Geld hingegen aufgrund fehlender Ressourcen stets Thema war und die auch immer selbst dafür arbeiten mussten, fällt es schwieriger, einfach zu sagen: Ja klar, dieses Geld nehme ich, oder ich zahle weniger Eintritt, weil mir das zusteht! Es geht also um eine gewisse Leichtigkeit im Umgang mit Geld, die sich manche leisten können und andere nicht.

Haben die Prolllesben versucht, dem entgegenzuwirken?
Ja, sie haben Bewusstseinsarbeit gemacht, Frauen mit Arbeiter*innenherkunft haben sich gegenseitig bestärkt, Geld anzunehmen. Es wurden Erfahrungen ausgetauscht, auch um sich bewusst zu machen, dass das kein individuelles Problem, sondern ein strukturelles Thema, eine Klassenfrage ist.

Warum waren eigentlich gerade Lesbengruppen oft Vorreiterinnen in Sachen antiklassistische Interventionen?
Es ist tatsächlich auffällig, dass es zahlreiche Lesbengruppen waren, zum Beispiel die Prolllesben-Gruppen oder die Redakteurinnen der Lesbenzeitschrift „Ihrsinn“, die viel zum Thema gemacht haben. Hinzu kommen einzelne Autorinnen, die wichtige Texte geschrieben haben, wie Audre Lorde oder Ilona Bubeck. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Auseinandersetzung mit Hierarchien und Unterschieden zwischen Frauen innerhalb der lesbischen Bewegung vergleichsweise intensiv war. Es wurde geschaut, wie Frauen eigentlich miteinander umgehen – auch weil marginalisierte Lesben das einforderten: Prolllesben ebenso wie Schwarze Lesben oder Lesben mit Behinderung. Außerdem: Lesben fehlt die Möglichkeit, finanziell über einen besser verdienenden Ehemann abgesichert zu werden. Natürlich können auch Lesben reiche Eltern oder eine gut situierte Partnerin haben, aber statistisch gesehen verfügen Mä…