Zeit, gehört zu werden: Die Künstlerin Bosaina bringt Kairo nach Berlin
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Interview: Tasnim Rödder
Die Sängerin, Produzentin, Schauspielerin und DJ Bosaina aus Kairo ist einer der Hauptacts des diesjährigen Torstraßen Festivals in Berlin. Als Teil des Kollektivs Kairo is Koming wird sie das Musikfestival am Donnerstag eröffnen.
Mit deiner progressiven Elektromusik hast du die ägyptische Musikszene und die Gesellschaft immer wieder an ihre Grenzen gebracht. Du beschließt immer wieder, dich anderen Projekten zu widmen. Welche Art von Diskriminierung musstest du erfahren?
Ich wurde oft ausgebuht, meistens von Machos. Das Publikum in Kairo war feindselig und urteilend wegen der Musikinhalte, also wurde ich absichtlich lauter und widerstandsfähiger. Aber allmählich verlor ich das Interesse an Auftritten in Kairo vor einem Publikum, das mich nicht verstand, weil ich andere Visionen hatte.
Als du aufgrund deines progressiven Musikstils immer seltener gebucht wurdest, hast du entschieden, deine Musik ins Ausland zu tragen – mit Erfolg. Dann bist du allerdings wieder nach Kairo zurückgekehrt, um die lokale Musikszene zu stärken. Seit 2013 bist du an dem kulturellen Veranstaltungsort VENT beteiligt. Bist du zufrieden mit den Entwicklungen in der Szene?
Unser Veranstaltungsort VENT war eine Inspiration, ein Ergebnis kollektiver Arbeit mit anderen Künstler*innen, die für ihre Kunst in Kairo auch keinen Raum fanden. Wir wollten uns gegenseitig durch diese Shows und Live-Events unterstützen. Leider zwangen uns unglückliche Umstände dazu, VENT zu schließen. Das hat uns alle sehr enttäuscht. Die Bösen haben gewonnen. Derzeit jedenfalls noch.
Woran arbeitest du momentan?
Ich bin dann erneut für eine Weile verschwunden, um an meinem aktuellen Projekt „Herein lies“ zu arbeiten und ich freue mich darauf, es hoffentlich nächstes Jahr in Kairo uraufzuführen, wenn die Theaterproduktion finanziert werden kann. Das Stück hat auch politische Hintergründe: Es geht um Wahnsinn als gegendertes Konstrukt.
Wie fühlst du dich als Frau in einer von Männern dominierten Musikszene?
Ich musste immer hart darum kämpfen, als gleichwertig respektiert zu werden. Allerdings war ich nie ein „gutes ägyptisches Mädchen“. Allein das wurde schon als Rebellion wahrgenommen. Ich bemerke den Sexismus in der Szene, wenn Promoter mich nur für ausschließlich weiblich besetzte Line-ups buchen. Ich begegne Sexismus, wenn Männer sich angeblich für meine Kunst interessieren, obwohl sie eigentlich ganz andere Motive haben.
Doch allein aufgrund meiner weiblichen Existenz, ganz unabhängig davon, dass ich Künstlerin bin, begegne ich Sexismus – jeden Tag. Auf den Straßen Kairos werde ich als Frau wie eine zweitklassiger Bürgerin behandelt. Zuletzt habe ich sogar Rückenprobleme bekommen, weil ich mich gegen das Tragen von BHs entschieden hatte. Ich fühlte mich darin wie eine eingesperrte Frau und wollte es Männern beweisen, die Brüste anstarren. Selbst meine relativ liberalen Verwandten haben andere Ideen von mir und für meine Zukunft – das ist nicht gerade bestärkend.
Du wurdest auch für dein Engagement in der LGBTQ*-Szene diskriminiert. Wie hat sich die Szene entwickelt?
Ich war nun eine längere Zeit nicht aktiv. Aber ich sehe keinen wirklichen Fortschritt in Sachen Akzeptanz in der Gesellschaft. Ich bin nicht sehr optimistisch.
Jetzt spielst du mit deinem Kollektiv Kairo is Koming in Deutschland. Was ist eure Botschaft?
Es wird Zeit, uns zuzuhören!
Unter dem Motto „The 7 Year Ich“ reflektiert das Torstraßenfestival vom 08. bis 11. Juni 2017 Positionen und Mittel von Festival und Popmusik in einer krisenhaften Gegenwart. Die verflixte siebte Ausgabe des Festivals präsentiert aktuelle Popmusik als Haltung selbstbestimmten künstlerischen Ausdrucks, als Stimme zur Zeit – gegen Vereinfachungen und für Auseinandersetzung, für Diversität und Community – ein Experiment aus Musik, Stadt und Welt.
Zum Auftakt spielt am Donnerstag, den 08. Juni, das ägyptische Kollektiv Kairo is Koming im Roten Salon. ZULI, Hussein Sherbini, Bosaina, $$$TAG$$$ und Ismael geben Einblicke in einen elektronischen Sound, der sich westlichen Erwartungen an ägyptische Clubmusik entzieht. Um 19.00 Uhr ist Einlass.