Von Sabine Rohlf

Dass Frauen und Pferde viel miteinander anfangen können, ist spätestens seit den Amazonen klar. Darüber hinaus erlaubt das Thema wie kaum ein anderes, Begehren, Eigensinn und Energie Heranwachsender einzufangen und auszubremsen – Bibi und Tina lassen grüßen. Wenn nun eine weiße Autorin eine Pferdegeschichte über ein nicht-weißes Mädchen schreibt, ist in diverser Hinsicht Vorsicht geboten, vor allem wenn sie, zumindest auf den ersten Blick, alle Kitschregister zieht. Mary Gaitskill hat das in ihrem Roman „Die Stute“ getan.

Mary Gaitskill © Tabitha Soren

Die Geschichte geht so: Die zu Beginn elfjährige Velvet lebt in einem armen Viertel in Brooklyn, sie stammt aus der Dominikanischen Republik. Eine soziale Einrichtung vermittelt dem Mädchen einen Ferienaufenthalt bei einem weißen Mittelschichtpaar auf dem Land. Nach dem ersten Ausflug fährt sie die nächsten Jahre immer wieder zu den Gasteltern, lernt bei ihnen reiten und baut eine enge Beziehung zu einer misshandelten Stute auf. Das Leben ist aber kein Ponyhof, vor allem dann nicht, wenn ein Mädchen dort lebt, wo Freund*innen auf der Straße erschossen werden und Schulen Sicherheitsschleusen haben. Auch im Grünen ist nicht alles so heil, wie es scheint: Die Gasteltern Paul und Ginger lernten sich einst bei den Anonymen Alkoholikern kennen. Die kinderlose Ginger fühlt sich defizitär, kümmert sich deswegen um Velvet und liebt sie augenblicklich. Deren Mutter fühlt sich hingegen, als würde ihr von einer dummen reichen Weißen die Tochter geklaut werden.

Mary Gaitskill wurde mit komplexen Erzählungen über Sexualität und Gewalt bekannt. Ihre bekannteste, die mit Maggie Gyllenhaal verfilmte Kurzgeschichte „Secretary“ wird meist in die BDSM-Schublade sortiert. Gaitskill ist eine Spezialistin für gemischte Gefühle, für die Verquickung von Liebes- und Machtbeziehungen, Intensität und Gefahr, leuchtenden und unguten Empfindungen. Das passt gut zu einer Geschichte, in denen sich die Untiefen des Familienlebens, der sozialen Unterschiede und einer rassistischen Gesellschaft vermischen.

Ihr Roman zeigt uns Schönes und Schlimmes: Velvet, die auf dem Land ihr Reittalent entfalten darf, wird zu Hause geschlagen. Ihre politisch korrekte Pflegemutter fördert sie aufrichtig und vereinnahmt sie dennoch. Das Mädchen belügt alle (außer das Pferd), ist abwechselnd strategisch und verletzlich. Die Mutter ist überarbeitet, gewalttätig und hat Angst um ihre Tochter. Alle nutzen sich gegenseitig aus und doch entstehen ernst zu nehmende Beziehungen. Gaitskill traut sich nicht nur, Zorn, Überforderung, Angst, Ignoranz oder Egoismus zu sezieren, sondern sie wagt es ebenso, auf Liebe, Intensität, Verbundenheit, ja Hoffnung zu bestehen.

Der Name ihrer Hauptfigur weist auf den englischen Kinderbuchklassiker „National Velvet“ (ja, eine Mädchen-trifft-Pferd-Story). Ihr Roman spielt mit den Elementen dieser und vieler anderer Pferdegeschichten: Natürlich ist Velvet besonders mutig, natürlich ist sie die Einzige, die einen Draht zur bockigen Stute hat, natürlich spitzt sich das Ganze dramatisch zu. Gleichzeitig wird mit ihr als Heldin klar, wie weiß diese Geschichten üblicherweise sind. Gaitskill klopft die ländliche Idylle und den Reitsport gründlich auf Macht- und Gewaltbeziehungen – übrigens auch gegenüber den Tieren – ab. Und sie zeigt, wie sich zwischen drei sehr unterschiedlichen weiblichen Figuren – Velvet, ihrer Mutter und Pflegemutter – tiefe Abgründe, krasse Differenzen und zaghafte Verbindungen auftun.

Schon in ihrer Erzählung „Der verschwundene Kater“ (2014) verknüpfte sich eine oft erzählte Tiergeschichte (in diesem Fall über Katzen) mit klarsichtigen Reflektionen über Gefühle. Nur weil uns etwas an allzu bekannte populäre Muster erinnert, so scheint Gaitskill zu sagen, ist es noch lange nicht banal oder einfach. Sondern womöglich genau das Gegenteil. Oder etwas ganz anderes. Es kommt nur darauf an, wie eine davon erzählt.

Mary Gaitskill „Die Stute“ Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Barbara Heller und Rudolf Sorge, Klett-Cotta, 540 S., 25 Euro

In „Die Stute“ kommen Ginger und Velvet abwechselnd zu Wort, manche Rezensionen meinten, das Gaitskill die Teenagersprache Letzterer nicht überzeugend treffe. Andere Leser*innen werden vielleicht weitere Einwände haben, je nachdem, aus welcher Perspektive sie auf das Buch, auf Rassismus, auf Mütter und Töchter, junge und ältere Frauen schauen. Aber Velvet ist eine Kunstfigur, ein Stück Literatur – und deren Aufgabe ist es immer auch, Diskussionen auszulösen. Und so gut, wie der Roman geschrieben ist, sind die sicher hochinteressant.