Von Lena Grehl

Die popfeministische Veranstaltungsreihe „Ich brauche eine Genie – Popkultur, Feminismus, Spaß & so“ feiert am 29. Juni in der Kantine am Berghain ihren Auftakt und Missy stellt ihre künstlerischen Genies vor.

Sie verbinden Tanz und Musik: Das ist das Künstlerinnenduo Chefboss. © Chefboss

Warum es mehr Genies im Popfeminismus braucht? Weil Mainstream-Festival-Line-ups mit der Unterrepräsentanz von Künstler*innen nerven. Weil es zu viele Gründe gegen strukturellen Sexismus im Musikgeschäft gibt, aber keinen dafür. Weil es überall an reflexionsfähigen, kritischen Künstler*innen mangelt. Und nicht zuletzt: Weil das Künstlerinnenduo Chefboss nicht wie Seeed – mit denen sie oft verglichen werden – nur mit Brüsten klingt, sondern einfach nur cool.

Die Kuratorinnen der Reihe Sandra und Kerstin Grether traten bereits mit ihrer gemeinsamen Band Doctorella auf einigen Bühnen auf und seit jeher mindestens genauso viele Türen des Popfeminismus ein. Die Zwillingsschwestern schlugen zwar nicht immer nur geteilte künstlerische Wege ein, machen in ihrem Engagement gegen Alltagssexismus aber gemeinsame Sache. Sie setzten sich für den Slutwalk in Deutschland ein, gründeten das gemeinsame Indie-Label Bohemian Strawberry Records und geleiten am 29. Juni durch die knallige Auftaktshow ihrer neuen Veranstaltungsreihe in der Kantine am Berghain: „Ich brauche eine Genie. Volume up für Volume 1!“

Musikalische Unterstützung gibt es an diesem Abend häufig in Duoform: Sängerin Alice Martin und Tänzerin Maike Mohr bilden auf der Bühne das kraftvolle Dance-Pop-Gespann Chefboss. Einflüsse aus der queeren New Yorker Vogueing Szene, Dancehall und Reggaeton versprechen ein breit gefächertes Sound- und Bühnenbild, das Choreografien als Energieträger nutzt und goldene Blitze an das Publikum überträgt.

Das Album „Blitze aus Gold“ ist bereits am 17. März 2017 bei Universal Music erschienen.

Dream-Pop, Noiserock, Riot Grrrrls. Irgendwo dazwischen könnte man Jolly Goods Stil verorten. Die Schwestern Tanja Pippi und Angy Lord kooperierten u. a. schon mit Peaches. Vor allem der Ansatz der Riot-Grrrrl-Bewegung, der als Reaktion auf das Skill-Shaming von Frauen und Queers der damaligen Punkrevolution verstanden werden kann, kehrt einen für die Veranstaltungsphilosophie enorm wichtigen Punkt hervor: das Buchen von Künstler*innen, weil sie gut sind, und nicht nur, weil sie als weiblich* gelesen werden.

Noch nicht genug von Lady*-Duos? Wir auch nicht. Marlen Pelny und Chio vereinen zarte und rotzige Töne in sattem Indie-Rock. Auch mal von einer Leiche vor dem Fenster singen und es mühelos wie ein Liebeslied klingen lassen – das kann Zuckerklub.

Die Autorin Margarete Stokowski schrieb bereits u. a. für Missy, zierte vor nicht allzu langer Zeit das Missy-Cover und wird mit einer Lesung aus ihrem queerfeministischen Buch „Untenrum frei“ der Konzertreihe am 29. Juni ihren Showcharakter verleihen.

Auch die hiesige Clubkultur lässt uns noch oft genug mit großen Fragezeichen in den Augen zurück. Wie viele cismännliche DJs kann eine Booking Agentur eigentlich beauftragen? Das wird langsam nicht nur wahnsinnig langweilig, sondern birgt zudem noch gefährliche Ignoranz gegenüber talentierten DJ-Künstler*innen. Weit weg von langweilig und Loveparade-Techno-Bum-Bum der 90er-Jahre verortet sich Nina aka The Ninette als queere DJ in einem musikalischen Raum, der ohne Weiteres Hildegard Knef neben M.I.A. stehen lassen kann.

Die Beispielauflistung der prägendsten Genies bei Wikipedia liest sich beschissener als ein noch so alternatives Festival-Line-up. 27 Künstler, Dichter und Denker und darunter keine einzige Künstler*in, Dichter*in, Denker*in. Ernsthaft? Auch im Indie-Kosmos gibt es tiefgreifende strukturelle Probleme mit Sexismen. Cismännliche Personen werden mal eben mit dem jungen Goethe verglichen und können sich ausprobieren, ohne großartig dafür belächelt oder finanziell geahndet zu werden. Weniger Role-Model-Funktion, sondern einfach mal Headliner sein. Viel zu häufig hört man über weibliche* und queere Künstler*innen, dass es sie eben einfach nicht so oft gäbe. Sie könnten noch gar nicht so gut sein, denn die Geschichte der reinen Existenz von Musiker*innen reiche ja noch nicht so lang zurück. Dilettantisch anmutend, irgendwie niedlich, aber gerade gut genug für eine Quotenbuchung. Dass das auch anders und viel besser geht, zeigt das kommende Event „Ich brauche eine Genie – Popkultur, Feminismus, Spaß & so, Vol 1“.