Von The Bureau of New Futures and Friends, Creamcake und Yeşim

Der Kogründer des Technolabels Giegling, Konstantin, ließ jüngst gegenüber der „Groove“ verlauten, dass Frauen naturgegeben schlechter hinter den Turntables sind als Männer. Weil diese Form von Sexismus in der Musikszene immer noch aktuell ist, haben wir eine Gruppe diverser Personen aus der Londoner und Berliner Technoszene zu Wort kommen lassen.

© Shutterstock/Daxiao Productions

Übersetzung: Valerie-Siba Rousparast, Nine Yamamoto-Masson

Wir, eine Gruppe von Freund*innen, die seit vielen Jahren eng mit den Technoszenen in Berlin und London verwachsen ist, wurden darum gebeten, unsere Gedanken über das nicht ganz so geheime Vorurteil zu teilen, das viele cis männliche Musikprofis haben: dass Personen, die keine Männer sind, de facto (von Natur aus, wenn es nach Konstantin geht) schlechter im DJing sind, da DJing eine inhärent männliche Beschäftigung sei (und Spaghetti wachsen natürlich auf Bäumen). Nachdem wir seine absurden Ideen gelesen haben, spielte unsere Gruppe mit dem Gedanken, einen offenen Brief zu schreiben:


„Liebe deutsche Technoszene“, so hätte er begonnen. „Checkt mal euer Ego. Techno ist nicht weiß. Techno ist nicht ‚männlich‘. Techno ist nicht Mittelschicht. Techno ist nicht cis und Techno ist nicht straight. Wir verstehen, dass ihr versucht, es dazu zu machen, aber ihr könnt die Geschichte nicht umschreiben. Ihr könnt uns nicht auslöschen und überschreiben. Giegling Records, Konstantin: Mit eurem Label versucht ihr, eure Utopie (wie der Titel des „Groove Magazine“-Artikels Gelebte Utopie“ erklärt) zu leben und ein Gesamtkunstwerk zu kreieren – ein expliziter Verweis auf Richard Wagners Theorien der Ästhetik. Vielleicht seid ihr euch der Tatsache nicht bewusst, dass Wagner ein fanatischer Antisemit war, dessen Gesamtkunstwerk-Konzept, Theorien und Musik von Hitler und seinen Nazis hoch gepriesen wurden. Es ist kristallklar, wie eure Utopie aussieht, bedenkt man, dass euer Label fast ausschließlich aus weißen cis Männern besteht.“

Aber dann verwarfen wir diese Idee. Einen offenen Brief – an wen? Für unsere*n Freund*in Scz, ein*e femme/nicht-binäre DJ of Color, waren Konstantins Kommentare nicht nur wenig überraschend, sondern einfach „totaler Müll“. Scz erklärte uns: „Ich kenne keine einzige femme/queer oder als femme wahrgenommene DJ oder Musikproduzent*in, die kein Riesenarchiv solcher Anekdoten hat über ständiges Mansplaining über Tontechnik, über Männer, die während du arbeitest, Equipment anfassen, oder die Erwartung von Promotern, dass du zusätzlich zur abgelieferten Musik, dem Vibe und der Kuration ihrer Räume auch noch als das erscheinst, was traditionell von der weißen cis heteronormativen kapitalistischen Gesellschaft als attraktiv wahrgenommen wird. Verglichen mit meinem derzeitigen Partner (der männlich ist) muss ich genauso hart und sogar noch härter arbeiten, um Gigs zu booken. Dazu kommt,  dass männliche Promoter, Clubbesitzer oder Künstler häufig zusätzlich zu meinen DJ-Skills auch noch emotionale Arbeit von mir einfordern. Und ich lasse hier sexuelle Belästigung und Missbrauch außen vor, die sehr oft dazugehören, wenn man auch nur versucht, eine femme DJ zu sein.“

Wir haben kein Interesse daran, einen historisch zurückgebliebenen langweiligen Trottel wie Konstantin, dessen Vorstellungen von Genderrollen irgendwo im 19. Jahrhundert festhängen, zu belehren, während jede*r von uns diese ermüdende Diskussion schon Hunderte Male geführt hat.

Dies ist eine alte Diskussion über ein tiefgreifendes und noch immer höchstaktuelles Problem: Einige dieser Männer sind stumpf und fahrlässig genug, um ihre Meinung öffentlich zu teilen, während andere sie im Privaten verbreiten oder halt wenn sie high sind, während sie in der Öffentlichkeit als „gute Jungs“ posen und bei tobendem Beifall sämtliche feministischen Cookies absahnen. Es gibt ein größeres Problem, über das wir heute sprechen möchten: Konstantins Kommentare sind nur die sichtbare Kruste der vielschichtigen, pathetischen, komplexen Lasagne von White Man Techno Bullshit, wie Discwoman es so treffend benannten. Darunter wird klar, dass die globale Techno-Industrie, insbesondere in Europa, eine Welt erhält, in der weiße männliche Technomusiker riesigen Einfluss haben und Riesenmengen Geld scheffeln. Wer profitiert in dieser Szene am meisten, erhält die meiste PR und das meiste Geld? Ihr habt es erraten: weiße cis Männer.

In Folge der jüngsten Konstantin-Episode öffnet das Ally-Theater wieder seine Vorhänge. „Das Tollste finde ich immer, wie all die Männer sich in den Kommentaren tummeln, um zu zeigen, wie schlimm sie das finden, wo doch alle wissen, dass sie genauso fürchterlich sind“, sagte unser*e Freund*in R. „Es ist so einfach, Punkte zu sammeln, indem du etwas verteufelst, wenn du und deine eigenen Kumpels eigentlich noch schlimmere Dinge sagt, aber schlau genug seid, es nur im Privaten zu äußern.“

Viele von uns haben diese „guten Jungs“ so oft hinter verschlossenen Türen dabei gesehen, wie sie, wenn ihre Freunde sexistische, queerfeindliche, rassistische, ableistische und klassistische Dinge sagen, keinen Pieps von sich geben oder gar mitlachen. Und das, während sie ihren Lebensunterhalt damit verdienen, sich musikalische Kulturen anzueignen und zu fetischisieren, die von und für Schwarze und Braune – häufig queere – Personen aus der Arbeiter*innenklasse kreiert wurden. Die überwältigende Überzahl dieser nicht-Schwarzen Männer verliert kein Wort über #BlackLivesMatter oder #SayHerName, kein Wort über Ghostship. Sie bleiben verbündet und profitieren finanziell vom Whitewashing, Straightwashing und der Kommerzialisierung von Techno. Sie beschweren sich im Privaten sogar darüber, sich „von Frauen, Schwulen und ethnischen Minderheiten unterdrückt“ zu fühlen. Darüber, dass es ihnen nicht erlaubt ist, „zu sprechen, weil ich ein straighter weißer Mann bin“. (Diese zwei Aussagen wurden im Privaten von einem Berghain-Resident-DJ ausgesprochen).

Und sie kollaborieren mit anderen berühmten Männern, nachdem sie festgestellt haben, dass diese antimuslimisch rassistisch sind, weil die Zusammenarbeit karrieremäßig und finanziell profitabel ist. Sie schweigen, wenn sie von sexuellen Übergriffen und Missbrauch hören, dem  Personen, die keine cis Männer sind, in ihrer Szene konstant ausgesetzt sind – und sie weigern sich, den Opfern zu glauben. Diese „guten Jungs“ fragen in aller Ernsthaftigkeit „Aber wo ist der Beweis?“, wenn jemand in ihrem Umfeld ein Sexualstraftäter ist oder häusliche Gewalt verübt. Sie machen auf Facebook ein großes Theater, was für großartige Verbündete sie sind, ganz anders als die anderen Männer, anders als diese anderen weißen Menschen. Während sie ihre Vergewaltigerfreunde verteidigen. Sie machen das sogar, während sie sich auf ihrer firmenfinanzierten angeblichen „Underground“-Party beschweren, dass sie eine Frau buchen mussten – vor den Augen dieser Frau, Sekunden nach ihrem großartigen Set. Aber in Interviews und auf Social Media sind sie Engel. So mutig! Lasst uns diese großzügigen männlichen Feministen buchen, deren Botschaft so viel zugänglicher ist, als wenn Frauen, nicht-binäre, queere, Schwarze und of Color Personen sie aussprechen. Diese sind zu wütend, sie sind zu kontrovers, zu undankbar.

Die „guten Jungs“ lieben es, sich damit hervorzuheben, welche zwei weibliche DJs sie mögen, oder damit, dass sie NUR zu 95 Prozent Musik von Männern in ihren Sets spielen. Während sie die Rhetorik Safer Spaces für sich instrumentalisieren, sind sie aber nicht bereit, Ehre zu geben, wem Ehre gebührt. Sie verteidigen sogar, wenn über die Regeln von Safer Spaces gelacht wird, denn scheinbar „ruiniert politische Correctness die Meinungsfreiheit“. Es ist auffällig, wie schnell sie Unterdrückung wahrnehmen, wenn sie die angeblichen Opfer sind.

Es ist interessant festzustellen, wer angesichts von Ungerechtigkeit kein Wort von sich gibt, und wer von den Leuten, die auf den Bullshit hinweisen, hochgelobt und wer zurechtgewiesen und getadelt wird. Wer profitiert vom oberflächlichen Fingerzeigen und Ally-Theater, ohne die eigenen Privilegien anzuerkennen, ohne beiseitezutreten und Platz zu machen. Wenn wir über Ally-Theater sprechen, müssen wir auch über Tokenismus, Aneignung, Kommodifizierung und Mittäterschaft sprechen. Nur weil wir links sind, bedeutet das nicht, dass du unser geistiges Eigentum, unsere Arbeits- und Lebenserfahrungen untergraben und löschen kannst, Alter. Nein, es ist nicht genug, dass eine Handvoll megaprivilegierter, dünner, weißer Frauen Positionen relativer Macht erreichen und mit dem Boys’ Club abhängen dürfen – und dann die Tür hinter sich schließen. Lass die Tür offen. Steck deinen Fuß rein.

Diese Dynamiken sind  symptomatisch für das angebliche Streben der Musikindustrie, eine Plattform der Gleichberechtigung zu sein – aber nur, solange es reibungslos läuft und nicht anstrengend ist. Und gut aussieht, sexy und „exotisch“  ist und den Ticketverkauf ankurbelt. So kommt es zu solchen Situationen wie als das Publikum im Londoner Café Oto dachte, es sei in Ordnung, nach Moor Mothers herzzerreißender, starker und zweifellos emotional zehrender Performance mit Songs über den Sklavenhandel „ONE MORE TUNE“ zu brüllen und von ihr mehr Entertainment zu verlangen. Unsere Freundin N. (eine queere Woman of Color) schrieb uns: „Ich habe den Eindruck, dass wir in dieser weißer-cis-Mann-Techno-Welt nur als Dekoration geduldet werden. Sie wollen unsere Körper auf dem Dancefloor – was dann mit viel Tokenismus und Körperfaschismus einhergeht – und wollen unser Geld, aber als aktive Teilnehmer*innen wollen sie uns nicht. Sie wollen uns als Vorzeigefrau/-freundin oder als Groupies, die die Männer hinter den Decks anbeten, die stets sexy aussehen, die Geld an der Tür und an der Bar ausgeben, die dem Dancefloor exotische Sexualität verleihen, die die Hohepriester-DJs in ihrer gefühlten Großartigkeit bestätigen – aber als reale Menschen mit Meinungen oder Talent wollen sie uns nicht. Sie wollen uns und unsere Geschwister nur als Publikum, Dekoration und Sexobjekte, aber nicht als aktive Kollegen.“

Eine andere Freundin schrieb: „[Konstantins Worte] bestätigen meine Erfahrungen – ich bin seit vielen Jahren in der Clubkultur aktiv und habe so viele dieser Techno-Bros in Berlin kennengelernt. Es gibt jede Menge Pseudofeminismus und, wenn es hart auf hart kommt, fadenscheinige Tokenismus-Spektakel. Meistens tun sie es, um ‚Good Guy‘-Punkte zu sammeln, um gut auszusehen; dann posten sie es kreuz und quer über alle soziale Medien, wenn sie mit Frauen zusammenarbeiten oder sie manchmal als ebenbürtig betrachten. Haben sie jemals tatsächlich Platz für andere geschaffen oder die Zügel an jemand anderen als andere Bros übergeben? Nein, ansonsten gäbe es inzwischen mehr Diversität, wenn diese Typen dazu bereit wären und es wirklich willkommen heißen würden. Und ich will gar nicht davon anfangen, wie sie auf ihren Partys Frauen und alle, die keine Männer sind, nur als Fleisch bzw. auf der Tanzfläche tanzende Körper wahrnehmen, die ihre kleinen Egos validieren, die dazu dienen, ihre Gage zu finanzieren, oder ihnen als Sexobjekte verfügbar sind.“

Die Sache ist: Performative Bünde sind bei Weitem nicht ausreichend. Ja, Leute wie Konstantin oder Ten Walls sind schrecklich. Aber schnell noch euren Senf zu den bereits laufenden Gruppen-Call-outs der offensichtlichsten Arschlöcher dazu zu geben, um euch eure Verbündeten-Medaille zu sichern, ist keine Heldentat.

Was diese Typen tun sollten, ist Platz machen für andere – aber fast keiner von ihnen ist bereit, den damit einhergehenden finanziellen Schlag zu schlucken oder zu riskieren, „uncool“ zu erscheinen oder als „Verräter“ des Boys’ Club verschrien zu werden. Nur weil du mal auf everydayfeminism.com einen Artikel über kulturelle Aneignung gelesen hast, deine coole Freundin dir gratis eine maßgeschneiderte Privaterziehung über Sachen gegeben hat, die eigentlich zum Grundwissen gehören, und du einmal eine Schwarze DJ für deine Party gebucht hast, bedeutet das noch lange nicht, dass du aus dem Schneider bist. Solange unsere Infrastruktur von diesem White Man Techno Club Bullshit dominiert wird, muss noch viel mehr Arbeit geleistet werden, um auch nur einen kleinen Schritt in Richtung Parität zu gewährleisten. Möglicherweise dreht sich die Party nicht um dich.

Leider ist es für viele Frauen, nicht-binäre Menschen und People of Color, die in allen möglichen Rollen aktiv im Musikbusiness sind, „normal“, dass unser geistiges Eigentum untergraben wird und unsere Arbeit und Lebenserfahrungen gelöscht und überschrieben werden. Es ist nicht genug, die offensichtlichsten Formen des Sexismus zu verurteilen, dafür den begeisterten Beifall deiner Kollegen zu ernten und dich moralisch überlegen zu fühlen. Es wird viel mehr erfordern als nur das, um dem White Man Techno Club Bullshit entgegenzuwirken, der für viele von uns zu unserer alltäglichen Lebensrealität gehört. Wir brauchen mehr als oberflächliches Ally-Theater. Diese ganze „Good Guy“-Mittäterschaft wird nicht unbemerkt an uns vorbeigehen – WIR SEHEN EUCH!
The Bureau of New Futures and Friends


Vielleicht brauchte es, bevor wir männlich-weißen Techno-DJs wie Konstantin überhaupt wieder Aufmerksamkeit schenken, ein belastendes sexistisches Interview in der „Groove“. Nach einer kurzen Recherche auf der Facebook-Seite des Labels fällt uns sofort eine altmodische und verkrustete Realität in der elektronischen Musikszene auf, die es zu verändern gilt: Kaum eine einzige Frau veröffentlicht Musik dort, was auf wenig künstlerische Vielfalt und Interesse an den vorhandenen Frauennetzwerken und begabten Produzentinnen und Musikerinnen schließen lässt. Hindert Konstantin vielleicht das gesellschaftlich auferlegte Bild des Mannes auf seinem Karriereweg oder wieso reagiert er so arrogant im Interview? Ein weiterer Beweis dafür, wie anhaltend Männer Stereotype und Vorurteile gegenüber ihren weiblichen Kolleginnen reproduzieren; selbst während eines Interviews mit einem der größten deutschen Magazine für elektronische Musik. Und warum druckt die „Groove“ solche sexistischen Aussagen, ohne sie im Interview zu thematisieren?
Creamcake

Vor ein paar Wochen dachte ich noch daran, wie gut ich einige Tracks von dem Label Giegling finde. Und dann lese ich heute Morgen fassungslos, wie der Ko-Label-Inhaber Konstantin so was Sexistisches raushaut: Frauen seien schlechtere DJs als Männer und überhaupt, dieser ganze Hype um Frauen in der Musikindustrie sei übertrieben und unfair. Ich habe mich in dem Moment eigentlich nur gefragt, wie ungebildet, arrogant und sexistisch man sein kann? Dieser vollbärtige weiße cis Mann haut einfach so was raus.  Männliche DJ-Kollegen wie er sind der wunde Punkt in der Musikindustrie. Und eigentlich sind es doch diese weißen cis Männer, die sich in eine Kultur reingesneakt haben, die in der LGBT-Community ihren Ursprung hat. Darum ist es umso wichtiger, dass sich Frauen und nicht-binäre Personen vernetzen, voneinander lernen und noch sichtbarer werden.
Susanne Kirchmayr gründete female:pressure als Antwort darauf, dass es anscheinend so wenig Frauen in der Musikkultur gibt. Doch es gibt so viele. Und auch viele Netzwerke mittlerweile. Und generell geht es in der Clubkultur doch um Diversität und das macht den Dancefloor aus. Und gerade die Minorities müssen doppelt so gut sein, um sich in der elektronischen Musikindustrie zu beweisen. Die Clubszene ist auch nicht groß und man kennt sich untereinander, auch in meinem Bekanntenkreis kennen viele diesen DJ Konstantin von dem Label persönlich. Und das ist eigentlich noch viel verstörender. Viele Bekannte kennen den und haben noch nie diese chauvinistischen Äußerungen mitbekommen? Leider gibt es irre viele Leute, die denken, dass Frauen grundsätzlich für viele wichtige Sachen schlechter geeignet sind. Das ist Misogynie und jetzt mehr denn je Thema. Die „Groove“ hat es in ihrer neuen Ausgabe gedruckt und ich hoffe, dass von deren Seite auch noch ein Statement dazu kommt und sie sich auch klar zu dem Thema positioniert. Auch die Entschuldigung kann diesen riesigen Shitstorm nicht wieder wettmachen und wirkt unglaubwürdig. Der weiße cis Mann versucht nun, seinen Arsch zu retten. Schade um diese bad vibes. Was ist los mit dem?
Yeşim (Pudel, Bubble)