Von Tove Tovesson

Vor zehn Jahren hatte ich einen Bekannten, der gerade anfing, auf YouTube in Verschwörungstheorien zu versinken. Er empfahl mir Videos zu 9/11, die wahrscheinlich so oder so ähnlich viele gesehen haben und für Verschwörungsanhänger*innen meiner Generation den Einstieg in die Thematik „OMG, alles ist eigentlich ganz anders“ boten. Ich sah mir also diese Videos an und bekam es bald mit der Angst zu tun. Wem ist noch zu glauben? Wie unkritisch habe ich mediale Berichterstattung verfolgt? Letztlich habe ich das Thema bald wieder abgeschüttelt, zumal mein Bekannter mittlerweile ziemlich freidrehte und ich nicht in dieser Angst leben wollte – heute ist er, soweit ich weiß, offener Antisemit.

© Tine Fetz

 Weitere Verschwörungen, von denen ich in den letzten Jahren gehört habe, sind: Chemtrails, Impfungen verursachen Autismus, Krebs ist eigentlich ein Pilz und wäre mit Penicillin oder durch Beten heilbar, aber die Pharmaindustrie vertuscht dies, das Leitungswasser wird systematisch vergiftet, Klimawandel ist ein Hoax und irgendwas mit geheime Weltregierung. So absurd all diese Behauptungen klingen, ist mit Argumenten jedoch kaum gegen sie anzukommen, sei es, weil man sich plötzlich in der Situation vorfindet, die Pharmaindustrie zu verteidigen, oder sei es, weil Verschwörung generell immun gegen Kritik ist. Wake up, sheeple!

Common Sense und die Realitätswahrnehmung der Mehrheit gegen „Kritik“ (dafür hält sich Verschwörungstheorie selbst) zu verteidigen, hat immer den schalen Beigeschmack, dass es ja eigentlich gut und wichtig ist, die Dinge zu hinterfragen. Verschwörungsglaube macht sich diese Reflexion jedoch nur scheinbar zur Aufgabe, denn seine Prämisse ist: So, wie es scheint, kann es auf jeden Fall schon mal nicht sein. Hufgetrappel kann also nie von einem Pferd kommen, denn das wäre ja naiv naheliegend. Die da oben wollen, dass wir an Pferde glauben. Dieses Dogma adelt die abwegigste Erklärung paradox zur wahrscheinlichsten, weshalb die Selbstreflexion von Verschwörung immer nur dadurch erfolgt, einen noch verstiegeneren Masterplan zu vermuten. Ein Narr, der an simple Kondensstreifen glaubt!

Das Schwierige ist, dass Verschwörung unter dem Deckmantel der Aufklärung und an gerechtfertigte Kritik anknüpfend operiert. Es ist ein der Welt und unserer Wahrnehmung immanentes Problem (aber auch ein Segen), dass es selten Eindeutigkeit gibt. Unsere Deutungen sind Abwägungen und soziale Übereinkünfte und damit fehleranfällig. 2016 konnten wir uns nicht einigen, ob das Kleid blau oder weiß ist, 2017 können wir uns nicht einigen, ob Neonazis oder die Antifa die wahren Faschisten sind. Wahrheit ist tatsächlich kein Mehrheitsprinzip, Verschwörung leitet daraus jedoch ab, dass die Masse immer falsch liegt und jede erste spontane individuelle Deutung verzerrt durch Suggestionen von „denen da oben“ ist. Viel greifbarere gesellschaftliche Suggestionen wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus ignoriert sie bestenfalls.

Chaotischen Systemen werden konzertierte Bestrebungen unterstellt, dabei sollte doch ein Blick in jedes x-beliebige mittelständische Unternehmen zeigen, dass es so viele Reibungsverluste gibt, dass jede Weltregierung nach drei Wochen entnervt hinschmeißen würde. Die Welt ist zu komplex, um sie zentral und linear steuern zu wollen, deshalb bleibt ja nur, Ambivalenz als Grundbedingung zu verstehen und nicht als Beweis dafür, dass hinter allem ein einziger finsterer Masterplan steckt. Die Uneindeutigkeit der Welt ist keine Verschleierungstaktik. – Das ist meine Prämisse bei ihrer Deutung.

Interessanterweise scheint Verschwörung eher ein Herrenclub zu sein, quasi Astrologie für Männer. Sie ist das Reich der Mansplainer, die „gerne diskutieren“ (würg). Sie entpolitisiert durch ihre Verankerung in generalisiertem Misstrauen, das eigentlich nur im totalen Ausklinken aus Gesellschaft Sicherheit zurückerlangt. Die komplementäre Gehirnwäsche für Frauen bietet Esoterik – dazu mehr beim nächsten Mal.