©Tine Fetz

 

Jess trägt gerne Afro, ich meine dunkle Mähne im Alanis-Morisette-Style. Jess hat keinen Bock, sich für westliche Schönheitsideale das lockige Haare kaputt zu glätten, und mir gefällt der grungy Dorfschönheitslook.
Neulich liefen wir gemeinsam eine Straße entlang, in der sich ein „Afro Shop“ befand. Sie hatte Lust reinzugucken und stellte fest, dass sich überwiegend Glättemittel in den Regalen befanden. Wir verstanden die Produktauswahl als ein Zeichen dafür, dass viele Womxn of Color und Schwarze Frauen sich die Haare kaputt machen, damit sie so aussehen wie die weißer Personen. Natürlich dürfen alle mit ihren Haaren machen, was sie wollen, aber die Sicht auf das Regal hinterließ trotzdem ein ungutes Gefühl. Danach folgte ein langes Gespräch – über unsere Mütter.

Denn Jess‘ Mutter findet es schön, wenn sie sich ihre lockigen Haare glättet, und meine Mutter würde es begrüßen, wenn ich meine Mähne mehr bändigen würde, jedenfalls sagt sie das ziemlich oft. Unsere Mütter als erste Generation, die nach Deutschland ausgewandert sind, streben ein westliches Schönheitsideal an, gegen das wir uns beide wehren in unserer ständigen Auseinandersetzung mit postkolonialen Machtstrukturen und der Dekonstruktion verinnerlichter und normativer Schönheitsideale. Können wir unsere Mütter dafür anklagen, dass sie ein internalisiertes westliches Schönheitsideal auf ihre Kinder projizieren? Ihr Leben bestand und besteht ja nun mal daraus, permanent um Anerkennung im Westen zu kämpfen. Der Wille, weiß auszusehen, ist ein Resultat von der Überpräsenz weißer Schönheitsnormen. Unsere Mütter hatten und haben es immer noch schwer, zwischen Flucht, Kampf um Aufenthaltsstaus und Mindestlohn. Ihre Leistungen tragen dazu bei, dass es ihre Kinder der ersten Einwander*innengeneration einfacher haben, da sie ein bisschen weniger kämpfen müssen.

Haare sind politisch, Haare wurden schon immer politisiert und die Art und Weise, wie wir Haare betrachten, hängt mit den strukturellen -Ismen zusammen, auf denen die Festung Gesellschaft beruht, und das nicht erst seitdem Solange „Don’t Touch My Hair“ veröffentlicht hat. Nach Chimamanda Ngozi Adichie hätte Obama die US-Wahl nicht gewonnen, wenn seine Ehefrau Michelle Obama ihr Haar natürlich, also als Afro, geflochten oder mit Dreadlocks getragen hätte. Aber wie gehen wir als Womxn of Color und Schwarze Frauen zwischen verschiedenen Generationen in der Diaspora mit diesem Konflikt um? Wie meistern wir gemeinsam den Widerspruch, der aus unterschiedlich gelebten und erlebten Realitäten entsteht? Aus welchen Ängsten entsteht dieser Widerspruch?

Wer eine Antwort auf diese Frage sucht, wird feststellen, dass die Ansichten unterschiedlicher Generationen zwar verschieden sind, ihre Ursachen aber nah beieinander liegen, denn in beiden Fällen geht es um die Angst um die eigene Existenz. Der Wunsch, zurück zu den Wurzeln zu kehren, ist nichts anderes als ein Ausdruck der Verlust- und Existenzangst, die Menschen in der Diaspora erleben.

Die Kultur, in der Eltern aufgewachsen sind, gleitet vielen der Nachfolgegeneration aus den Händen, falls sie ihnen jemals wirklich gehörte. Es ist dieselbe Existenzangst, die Menschen dazu bewegt, die Eigenschaften ihrer Kultur aufzugeben. Denn auch wenn sie wertvoll sind, ist das Überleben wichtiger. Und am einfachsten lässt es sich (über-)leben, wenn man sich an Normen anpasst oder durch Diskriminierungserfahrungen angepasst wird. Der kulturelle Verlust ist am Ende trotzdem ein schmerzvoller. Denn auch wenn man überlebt, stirbt ein wichtiger Teil von einem selbst. Die Haare nicht zu glätten, mag zwar ein Schritt sein, dem entgegenzuwirken, aber ändert nichts an der Tatsache, dass der natürliche Zustand des Haares oder Körperbehaarung nicht akzeptiert ist. Sonst hätte Jess nicht erst mit 25 Afro getragen und ich mir nicht schon mit zwölf die Augenbrauen gezupft, um sie dann nach Jahren intensiver Auseinandersetzung mit jenen strukturellen -Ismen wieder wachsen zu lassen. Aber hey, Glück gehabt: Buschige Augenbrauen sind wieder voll im Trend.