Interview von Tasnim Rödder

Das Theater-Festival THE FUTURE IS F*E*M*A*L*E* verwandelt die Sophiensæle vom 14. bis zum 23. September in eine feministisch-utopische Gemeinschaft für alle Gender. Teil davon ist auch die Performerin Simone Dede Ayivi mit ihrem Stück „Queens“. Missy traf sie zum Interview.

© Dorothea Tuch

Mit dem interdisziplinären und intersektionalen Stück „Queens“ hast du gestern das feministische Theater-Festival „THE FUTURE IS F*E*M*A*L*E*“ in den Sophiensælen eröffnet. Hat dir der Abend Spaß gemacht?
Ja, total. Immerhin kann ich in dem Stück das performen, was ich am liebsten tue. Ich habe Freude daran zu tanzen und in einem Buch bestückt mit Schwarzen Revolutionär*innen zu blättern. Und ich durfte sogar eine Krone tragen – ich meine, hallo? Das ist ja wohl supercool. Dazu kommt, das ich mit einem genialen Team zusammenarbeite.

Dein Stück „Queens“ handelt von König*innen und matriarchalem Gedankengut, das durch den Kolonialismus verdrängt und vergessen wurde. Wolltest du als Kind auch immer Prinzessin oder Königin werden?
Eigentlich war ich nie der Prinzessinnentyp. Mit dem Begriff wollte ich einfach einen neuen positiven und starken Begriff für Schwarze Frauen am Theater aufbringen. Die meisten deutschen Theaterhäuser vermitteln ein schwaches, unterworfenes Bild der Schwarzen Frau – sie kommt nie in selbstbestimmten oder starken Rollen vor. So viele Rollenangebote als Putzfrauen und Prostituierte wie PoC bekommen, kann man gar nicht spielen.

Du erinnerst daran, dass die Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit nicht naturgegeben, sondern ein europäisches Konstrukt ist. Dazu gibst du Beispiele von Orten, in dem es vor dem Kolonialismus keine Geschlechtervorstellungen gab. Kannst du mir mehr zu diesen Communitys erzählen?
Ursprünglich wollte ich ja ein Stück über das Matriarchat machen – bis mir dann im Zuge meiner Recherche klar wurde: Das Thema ist einfach zu komplex. Ich habe Bücher gewälzt und mit sehr vielen Menschen gesprochen. Das eine richtige Modell des Matriarchats gibt es einfach nicht. Es könnte theoretisch einfach alles sein, was nicht Patriarchat ist. Grundlage für das Stück wurde dann schließlich das Buch „The Invention on women: Making an African Sense of Western Gender Discourses“ von Oyeronke Oyewumi.

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Was ist dir so schwergefallen bei der Recherche?
Im Stück erzähle ich von den Joruba-Kulturen, in denen schlicht und ergreifend kein Geschlecht existiert. Nun bin ich auch mit der normierten Zweigeschlechtlichkeit aufgewachsen und habe diese stark verinnerlicht. Auch wenn ich oft versuche, außerhalb dieser Normen zu denken und sie aufzubrechen, ist es mir schwergefallen, jenseits von Geschlechtern zu denken. Geschlechtsteile sind in der jorubischen Kultur unabhängig von irgendwelchen gesellschaftlichen Rollen. Sie sind einfach etwas Äußerliches und haben nichts zu bedeuten.

In diesen geschlechterlosen Gemeinschaften spielt das Alter eine große Rolle und konstruiert Hierarchie. Aber – brauchen wir Hierarchien überhaupt?
Klar wäre eine Gemeinschaft ohne Hierarchien erstrebenswert. Doch diese utopische Vorstellung kann in Zeiten weißer Vorherrschaft nicht funktionieren. Wir sollten nun lieber das Konzept von Hierarchien überdenken. Wie hierarchisch sind Hierarchien wirklich? Es muss ja nicht unbedingt mit willkürlicher Machtausübung zusammenhängen. Hierarchie auszuüben, kann ja auch bedeuten, eine große Expertise zu haben und Verantwortung zu übernehmen. Je älter wir werden, desto mehr Wissen hüten wir, desto mehr Verantwortung tragen wir. Das sind uralte Ideen, die dekonstruiert und negativ konnotiert wurden. Ein ähnliches Beispiel ist der Brautpreis. Aus meiner deutschen Perspektive habe ich diesen Brauch immer sehr kritisch gesehen, weil die Frau als „Handelsobjekt“ funktioniert. Aus einer weiteren, neutralen Perspektive kann ich aber auch sagen: Der Brautpreis ist eine gerechte Sache, denn dadurch wird hervorgehoben, dass die Frau ein wertvoller Part in der Ehe ist.

Wie können wir als Feminist*innen matriarchale Strukturen wieder in die Gesellschaft einbinden?
Ganz ehrlich? Ich glaube nicht an strukturelle Veränderungen ohne den großen Umsturz. Aber natürlich gibt es die kleinen Schritte, mit denen wir uns an eine gerechtere Welt annähern können. Wir können uns eigene Nischen und Freiräume schaffen, in denen wir besser miteinander umgehen und unsere Perspektiven sowohl mitdenken als auch überdenken können. Es ist möglich, sich von normierten, rassistischen und sexistischen Denkmustern zu lösen und neu zu lernen.

Aber wenn wir uns solche Räume schaffen – isolieren wir uns dann nicht von der Außenwelt?
Solche Schutzräume sind zum Auftanken, nicht zum Isolieren gedacht. Aussteigen ist eine feige Sache, für mich bedeutet das Aufgeben. Ich muss mir meiner Privilegien bewusst werden und sie nutzen! Es gibt so viele Menschen, denen es schlechter geht. Alles andere wäre verantwortungslos.

Das Stück „Queens“ läuft noch bis zum 23. September auf dem THE FUTURE IS F*E*M*A*L*E*-Festival in Berlin. Es ist eine Produktion von Simone Dede Ayivi und Kompliz*innen in Kooperation mit Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt und SOPHIENSÆLE.

Nun arbeitest du an etablierten Theatern, die in der Regel von einem sehr akademischen und aufgeklärten Publikum besucht werden. Erreichst du nicht eigentlich die falschen Leute mit deiner Arbeit?
Ja, das ist mir bewusst. Meine Strategie ist es allerdings, „nach innen“ zu arbeiten. Ich möchte einen Moment des Auftankens schenken. Mein Ziel ist es, Menschen eine schöne Zeit zu machen, die die gleichen Kämpfe kämpfen wie ich. Das ist mein Wunsch und mein Beitrag, den ich in meinem Beruf leisten kann.

Auch die Sophiensæle wirken sehr gehoben. Ich hatte das Gefühl, mich vor dem Theaterstück schick machen zu müssen, und hatte etwas Angst, zu unwissend für das Theater zu sein.
So sollte es eigentlich nicht sein. Keiner soll sich in den Theaterräumen zu irgendwas gezwungen fühlen. Es ist ein Dilemma, dass das Theater in Deutschland als ein weißer bürgerlicher Ort gilt. Auch für mich sind Theater keine einladenden Orte. Auf der Bühne fühle ich mich super – doch der elitäre Geist im Foyer ist mir fremd. Solche Räume sind nicht für People of Color gemacht. Und das ist einfach superschade. Denn es gibt keinen anderen Ort, wo ich die Voraussetzungen habe, meine Arbeit umzusetzen. Ich wünsche mir, dass es an den Theatern, an denen ich spiele, Momente gibt, in denen sich alle willkommen fühlen. Wir können die Räume wieder zu unseren Räumen machen. Denn alle Menschen haben ein Recht auf Kunst!

© Dorothea Tuch

Auch mit der Kunst wird in der Regel eher in weißen, wohlbetuchten und gebildeten Räumen gehandelt.
Es geht mir darum, Kunst weiterzudenken. Natürlich braucht die Kunst eine Fachrichtung, eine Expertise, wie es auch andere Professionen haben. Die muss allerdings nutzerfreundlich verpackt werden. Was mich nervt, sind die prekären Arbeitsverhältnisse in künstlerischen Berufen. Es herrscht eine generelle Abhängigkeit von Geldgeber*innen, die in der Regel nur in Stücke für das Fachpublikum investieren. Sie haben kein Interesse am Verändern von Strukturen. Deswegen gibt es kaum Spielraum für Künstler*innen wie mich. Heraus kommt ein Einheitsbrei, der sich selbst anbiedert.
Für mich ist Theater etwas Haptisches, ein Ort, wo ein handfestes Handwerk betrieben wird – kein Ort für hohe Schuhe und Schickimicki. Am Theater versammeln sich so viele Menschen mit verschiedenen Professionen: Handwerker*innen, Techniker*innen, Gesellschaftswissenschaftler*innen. Es wäre schön, wenn das Publikum genauso divers wäre.

In dem Stück kritisiert du das typisch weiße koloniale Forschergen und karikarierst den utopischen Forscher „Ernst August Forscher“ als eine Puppe im Vogelkäfig. Was hat der Käfig für eine Bedeutung?
Mir war es in diesem Kontext wichtig zu zeigen, dass die „August“-Welt eine kleine abgeschlossene Welt ist. Ich wollte ihm in dem Stück nicht viel Raum geben. Er ist eine Requisite, die dann wieder verschwinden kann.

Was ist dir mit dem Stück besonders wichtig zu vermitteln?
Enjoy being a black woman!