Von Josephine Apraku

Ich bin wütend und enttäuscht und vor allem habe ich keinen Bock mehr! Seit Sonntagnacht bin ich sicher, eine Figur aus einem dystopischen Roman zu sein: Durchschnittlich 12,6 Prozent der wählenden Bevölkerung Deutschlands möchte u.a. mir, einer Schwarzen Deutschen – für sie ist schon dieses Begriffspaar ein Widerspruch in sich –, ihre Rechte entziehen. Als emotional angemessene Reaktion geht es mir richtig scheiße, wie übrigens auch im letzten Jahr, als Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt wurde. Mir ist zum Weinen zumute, ich möchte mein Bett nicht verlassen, nicht arbeiten, sondern abschalten, in einem Marathon von Serien versinken oder wahlweise an einem weit entfernten Strand unter Palmen Honigmangos essen. Hier sein und funktionieren müssen, das erschöpft und überfordert mich gerade total.

©Open Clipart/Kollage-Missy Magazine

Überrascht hingegen, schockiert oder über die Maßen ernüchtert bin ich nicht über das Wahlergebnis. Das hätte nämlich vorausgesetzt, dass ich mich der naiven Hoffnung hingegeben hätte, dass alles wie durch ein Wunder anders kommt als erwartet. Den Ausgang der diesjährigen Bundestagswahl hätte ich, so wie viele andere Schwarze und Menschen of Color, die in Deutschland leben, schon vor zwei Jahren auf die Kommastelle genau voraussagen können.

Weshalb ich dann so sauer bin? Das ist gleichermaßen schnell und einfach erklärt: Ich bin sauer auf einen großen Teil der weißen Menschen in meinen Leben, die den Ernst der Lage nicht begreifen wollen. Nach der ersten Fassungslosigkeit am Sonntag können sie direkt am Montag zur Tagesordnung übergehen und in eine neue Woche starten. Klar, hier und da werden auch sie sich sicherlich noch das ein oder andere Mal über den Ausgang der Wahl unterhalten. Sie werden die unterschiedlichen Koalitionen diskutieren und wie sie es in den letzten Jahren gelernt haben, brav festhalten, dass die AfD eine rassistische Partei ist. Das war’s.

Ich sehe natürlich ein, dass es zu diesem Anlass nicht viel Neues, Erhellendes, Kreatives oder besonders Cleveres zu sagen gibt. Das ist auch nicht der Punkt. Der Punkt ist, endlich mal zu kapieren, dass das Ergebnis dieser Wahl auf Schwarze Menschen und Menschen of Color in ihrem alltäglichen Leben ziemlich düstere Auswirkungen haben wird: Am Montag schon, nur einen Tag nach der Wahl, beschrieb eine Freundin aus Berlin, wie ihr auf dem Weg zur Arbeit zweimal der Hitlergruß entgegengebracht wurde. Ein anderer Bekannter von mir, auch aus Berlin, berichtet auf Facebook, wie er beim Einkaufen von zwei weißen Männern lachend mit „Na?! Scheiße, wa?“ angesprochen wurde. Wieder eine andere Freundin schildert, wie sich an der Bushaltestelle zwei ältere Frauen über den „Sieg vom Sonntag“ unterhalten.

Nein, neu ist das alles nicht – Deutschland hat ein tief sitzendes Rassismusproblem und die AfD gibt diesem Problem momentan ein Gesicht. Auch ich habe in den letzten Jahren immer wieder gehört, dass „solche“ wie ich „an die Wand gestellt werden sollten“ oder dass „Hitler eine Lösung für uns gehabt hätte“. Neu ist, dass sich Menschen durch Wahl einer offen rassistischen Partei in einem vermeintlich demokratischen System zunehmend wohler mit ihren rassistischen Ansichten fühlen und diese offen aussprechen und ausleben.

Allerspätestens seit Sonntag also lässt sich das Märchen von einem Deutschland, das sich zur Bewältigung seiner Vergangenheit kritisch und verantwortungsvoll mit ebendieser beschäftigt, nicht mehr aufrechterhalten. Allerspätestens seit Sonntag sollte offensichtlich sein, dass rechts in Deutschland nicht außen, sondern die Mitte der Gesellschaft bildet.

Josephine Apraku ist Afrikawissenschaftlerin und Lehrbeauftragte an der Alice Salomon Hochschule Berlin und am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) der Humboldt-Universität zu Berlin Zusammen mit Jule Bönkost leitet sie das Institut für diskriminierungsfreie Bildung.

Aber nun zurück zum eigentlichen Thema, meiner krassen Wut. Seit den ersten Hochrechnungen am vergangenen Wahlabend warte ich nun vergeblich auf Anrufe von weißen Familienmitgliedern und Freund*innen, in denen sie mir ihr Beileid und ihre Sorge um mich aussprechen, in denen sie mich fragen, wie sie mich unterstützen können. Bisher ist da ziemlich wenig passiert – im Gegenteil: Ich habe SMS-Nachrichten zum Verlauf eines Dates erhalten, Urlaubsgrüße und Bilder von diversen Speisen. Ernsthaft?! Ihr ignoriert die Auswirkungen dieser Situation und erwartet eine Antwort auf Banalitäten? Nö.

Auf Food-Märkten Jollof Rice und Plantain essen, Freund*innen – die die AfD gewählt haben – auf Facebook bitten, sich selbstständig aus der Freund*innenliste zu entfernen, „so bunt ist Deutschland – Hautfarben“-Stifte kaufen, „Moonlight“ im Freiluftkino gucken, aussortierte Klamotten in Unterkünfte für Geflüchtete geben, TED-Talks von Chimamanda Ngozi Adichie zitieren, Conscious Rap hören, „Refugees Welcome“-T-Shirts tragen, Vielfaltsprojekttage an Schulen planen, zu Poetry-Veranstaltungen gehen – es reicht nicht aus! Es ist an der Zeit, dass ihr euren Arsch bewegt und zwar deutlich mehr als bisher!

WHITE PEOPLE, IT’S TIME TO STEP UP YOUR GAME!

Unter Umständen stellst du dir jetzt die Frage, die ich schon gefühlte 989.674-mal beantwortet habe: „Ja, aber was heißt das in der Praxis?“

  1. Beschaff dir Informationen
    Wie oft habe ich von weißen Leuten in meinem Leben gehört, dass sie gar nicht wissen, „ab wann etwas rassistisch ist“ oder wie sie „Gegenargumente“ finden können. Ganz ehrlich, in Zeiten des Internets gibt es für beides keine Entschuldigung! Es gibt viele großartige Blogs, Facebook-Accounts und Artikel von Schwarzen Menschen und Menschen of Color, die sich dieser Aspekte annehmen. Beschäftige dich intensiv mit der Geschichte von Rassismus in Deutschland, um ihn in der Gegenwart verstehen und ihm entgegentreten zu können. Wenn dich beim Lesen eines Artikels ein Gefühl von Scham beschleicht, du dich ertappt fühlst, dann ist das ein gutes Zeichen, Rassismus ist schließlich kein schönes Thema – lies weiter!

 

  1. Position beziehen
    Es ist an der Zeit, dass du dich klar positionierst, und zwar nicht alle sieben Monde zwischen 23:59 und 00:00 Uhr, sondern immer! Egal, ob du mit deiner Familie am Frühstückstisch sitzt, in der U-Bahn unterwegs bist, auf Facebook einen fragwürdigen Post liest oder auf einer Party ein Gespräch über die „ironische Verwendung von Nazisymbolen eines Modelabels“ mitbekommst (kleiner Hinweis, geht gar nicht klar): Misch dich ein! Es geht nicht unbedingt darum, dass du die Perspektive von anderen weißen Menschen veränderst. Es geht darum, Rassismus zu unterbrechen, infrage zu stellen und unbequem zu machen.

 

  1. Zuhören
    Schwarze Menschen und People of Color haben auch in den letzten Jahren immer und immer wieder unermüdlich darauf hingewiesen, dass Rassismus in Deutschland nicht nur ein Problem der Vergangenheit, sondern der Gegenwart ist. Es mag hart für dich klingen, aber wenn du über das Wahlergebnis von Sonntag und den Einzug der AfD in den Bundestag schockiert bist, dann hast du offensichtlich nicht richtig zugehört! Ändere das, nimm dir Zeit und hör zu. Wenn du merkst, dass du das Bedürfnis hast, dich zu rechtfertigen oder dich zu verteidigen, dann atme tief ein und aus und hör weiter zu. Ich möchte hier kurz festhalten, dass Menschen of Color und Schwarze Menschen Individuen sind, die Besseres zu tun haben, als den gesamten Tag über Rassismus in Deutschland zu sprechen, z.B. die perfekte Eurodance-Playlist zusammenzustellen. *hust* Siehe Punkt 1.

 

  1. Sei involviert: Geh auf Demos, Kundgebungen, Informationsveranstaltungen, schreib Mails oder Briefe an Politiker*innen und nimm sie in die Verantwortung. Biete Initiativen deine Unterstützung an, sei es, dass du für die Organisator*innen einer Demo Essen kochst oder vor einer Veranstaltung hilfst, den Raum vorzubereiten und Stühle aufzustellen. Du bist Grafikdesigner*in?! Super, dann könntest du beispielsweise Onlineflyer für Veranstaltungen erstellen! Wichtig ist, dass du verstehst, dass du und deine Perspektive nicht im Zentrum der Arbeit gegen Rassismus stehen. Dein Job ist es, die Stimmen und Arbeit von Schwarzen und Personen of Color zu unterstützen und diesen Raum zu geben, auch dadurch, dass du ihnen Kram abnimmst, um den sie sich dann nicht kümmern müssen.

 

  1. Reflektiere deine eigene Eingebundenheit in Rassismus: So wichtig es ist, dass du dich einmischst und andere weiße Menschen zur Rechenschaft ziehst, so wichtig ist es, dass du dich ernsthaft mit deinem eigenen rassistisch geprägten Selbst- und Weltbild auseinandersetzt. Rassismus ist schließlich nicht bloß die böse Absicht derer, die zur Bundestagswahl offen rassistische Parteien durch ihre Stimme unterstützt haben, sondern ein System, in das du hineinerzogen worden bist. Welche Spuren hat dieses System in dir hinterlassen? Frag dich die ernsten und wichtigen Fragen, die diese Beschäftigung mit sich bringt. Wage ohne mit der Wimper zu zucken den Blick auf dich und die Teile von dir, die du am liebsten ausblenden würdest.

Du hast ja jetzt einiges zu tun: Auf geht’s!

P.S. Hier eine Möglichkeit zum Einstieg: Ogette, Tupoka (2017): exit RACISM. Rassismuskritisch denken lernen. Unrast Verlag