Von Lene Glinsky

„AKE DIKHEA? Siehst du?“ im Berliner Kino Moviemento versammelt als erstes deutsches Rom*nija-Filmfestival Filmemacher*innen, Künstler*innen und Expert*innen rund um die Themen Rom*nija-Kultur und Antiromaismus. Vom 19. bis zum 22. Oktober finden neben einem Filmprogramm mit Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilmen mehrere Workshops und Diskussionsveranstaltungen statt. Lene Glinsky sprach mit der jungen Rom*nija-Filmemacherin Galya Stoyanova über die Wichtigkeit medialer Repräsentation, Tradition und Empowerment.

© Galya Stoyanova

In deiner Kurzdokumentation „Pages Of My Book“ experimentierst du mit dem öffentlichen Bild der traditionellen Romni und wie die Gesellschaft auf sie reagiert. Was bedeutet es für dich, eine Romni zu sein?
Galya Stoyanova: Meine Mutter ist Romni, mein Vater ist kein Roma. Ich habe also einen gemischten Hintergrund. In meinen jüngeren Jahren habe ich sehr mit meiner Identität gekämpft. Romnija sind, wie jede andere Minderheit, sehr stark von verschiedenen Diskriminierungen betroffen. Es existieren viele Vorurteile gegen sie: dass sie viele Kinder bekommen, sich nicht um sie kümmern, Wahrsagerinnen sind, nicht studieren oder sogar Kinder stehlen. Dabei ist die Rolle der Frau in der Roma-Gemeinschaft eine sehr starke und wichtige: Sie erziehen die Kinder und sind diejenigen, die unsere Geschichte und unsere Kultur an die nächste Generation weitergeben.

Das heißt, Romnija sind die Bewahrerinnen kulturellen Wissens?
Unsere Geschichte ist größtenteils mündlich übermittelt. Es gibt seit dem 20. Jahrhundert zwar auch viel schriftliche Historie, aber vieles stammt aus der Zeit, als Rom*nija als Nomad*innen galten. Daher wird viel unserer Kultur, Werte und Geschichte über Märchen, Gedichte, Lieder oder unsere Kleiderkultur bewahrt. Kleidung ist im Allgemeinen sehr wichtig. In meiner Dokumentation trage ich ein traditionelles Brautgewand von einer Roma-Gruppe aus Rumänien, die sehr viel Wert auf ihre Kleidung legt. Das bedeutet aber auch, dass z. B. die Kinder dadurch in der Schule von Diskriminierung betroffen sind, weil sie sich nicht „modern“ kleiden. Sie wollen ihre Kultur bewahren und ihre Identität ausdrücken, aber bekommen gleichzeitig von der Gesellschaft signalisiert, dass sie nicht sie selbst sein dürfen. Ich finde das sehr problematisch … ich wünsche mir, dass insbesondere Rom*nija-Frauen und -Mädchen eines Tages gleichberechtigt sind; unabhängig davon, wie sie sich kleiden, wie sie arbeiten oder ob sie studieren oder nicht.

Gibt es bestimmte geschlechtsspezifische Erwartungen an Rom*nija-Frauen und -Männer?
Nein, es sind eigentlich dieselben Genderstereotype wie in der Mehrheitsgesellschaft. Natürlich sind Romnija stärker von intersektionaler Diskriminierung durch Rassismus und Sexismus betroffen, vor allem, wenn sie in isolierten Gemeinschaften leben. Viele Minderheiten sind patriarchal organisiert: Der Mann ist der Versorger, die Frau eng verbunden mit dem Haushalt. Ich denke, das muss sich in einigen Communitys noch ändern. Das bedeutet aber nicht, dass wir die kulturellen Werte und Traditionen loslassen. Gleichberechtigung sollte nicht im Konflikt mit Tradition stehen.

Welche Rolle spielt dabei die Familiengemeinschaft?
Familie ist einer der fundamentalen Werte in der Roma-Kultur. Viele junge Rom*nija migrieren nach Europa, und entgegen der Stereotype sind sie nicht größtenteils Bettler*innen oder kriminell, sondern haben angesehene Berufe wie Ärzt*in oder Lehrer*in. In der Rom*njia-Gemeinschaft besteht zudem eine sehr tiefe Verbindung zwischen den Familienmitgliedern: Man lebt zusammen in einem Haus, mit Eltern und Großeltern. Wenn diese Verbindung dann durch die physische Trennung gebrochen wird, weil die Kinder nach Europa migrieren, ist das für alle Familienmitglieder sehr schmerzhaft.

Du arbeitest auch an einer anderen Dokumentation über die LGBTIQ-Gemeinschaft in Bulgarien. Wie sichtbar sind LGBTIQ innerhalb der Rom*nija-Community?
Sie sind sehr versteckt. In Bulgarien wurde das Thema LGBTIQ bisher kaum behandelt. Manche glauben sogar, es gäbe keine LGBTIQ innerhalb der Community. Dabei ist die Auseinandersetzung damit sehr wichtig und hat auch viel Potenzial. Es gibt zwar bereits einige Filme über schwule Roma, aber lesbische oder bisexuelle Romnija sind bisher sehr unterrepräsentiert. Allgemein ist das schon lange ein zentrales Thema für mich: dass vor allem junge Mädchen und Jungen die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, wen sie lieben und wie und ob sie ihre Träume verwirklichen.

Welche Probleme siehst du in der aktuellen medialen Repräsentation von Rom*nija?
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Filmen von Nicht-Roma-Regisseur*innen und Filmen von Roma-Regisseur*innen. Häufig kratzen die Filme der Nicht-Rom*nija nur an der Oberfläche oder die Regisseur*innen reproduzieren – willentlich oder nicht – verletzende Stereotype. Wenn du dich mit einer Gruppe von Menschen auseinandersetzt, die ohnehin schon von Diskriminierung betroffen sind, hast du durch deine Position schon eine privilegierte Rolle ihnen gegenüber. Klar, es ist ein interessantes und aktuelles Thema – aber häufig wird nur die aktuelle Realität gefilmt und es gibt wenig Einblicke in die Ursprünge der Gemeinschaft, in ihre Kultur und wie sie so geworden sind, wie sie sind. Oft fehlt den Regisseur*innen die Sensibilität dafür, was für negative Auswirkungen die vorurteilsbelastete Darstellung auf unsere Realität hat.

Und wie gehst du damit in deiner eigenen Arbeit um?
Ich bin selber nicht in einer Rom*nija-Gemeinschaft aufgewachsen, verbringe aber nun seit etwa 14 Jahren sehr viel Zeit innerhalb der Community. Bei meiner Arbeit versuche ich größtenteils, einfach zuzuhören und die Werte, Kultur und auch Probleme der Menschen zu verstehen. Zwar ähneln sich die unterschiedlichen Rom*nija-Gruppen, aber ihre Lebensrealitäten und ihre Kultur sind durch politische oder geografische Umstände doch sehr verschieden. Ich habe also vorher nie ein klares Bild in meinem Kopf. Aber das liebe ich auch am Filmen: Ich möchte keine Geschichten erzählen, sondern Menschen finden, die ihre mit mir teilen.

Galya Stoyanova ist Mitglied der International Romani Film Commission. Außerdem arbeitet sie für die NGO Romedia Foundation. Am 21. Oktober um 18.30 Uhr diskutiert sie im Festivalrahmen am Panel „Representation of Roma in Film“.

Was könnte allgemein dafür getan werden, um die Diversität innerhalb der Rom*njia-Gemeinschaft sichtbarer zu machen und gegen Vorurteile zu arbeiten?
Ich glaube, nur positive Beispiele reichen da nicht aus. Wir brauchen mehr Aufklärung und mehr Bildung in der Schule sowie klarere Rahmenbedingungen. Das bedeutet auch, dass das Thema vor allem von medialer Seite achtsamer angegangen wird. Die derzeitige negative Darstellung ist problematisch. Natürlich gibt es auch unter Rom*nija solche, die die Vorurteile erfüllen, aber die gibt es in jeder Bevölkerungsgruppe. Und meistens sind sie nicht freiwillig so, sondern weil sie über Generationen hinweg in diese Lage gebracht wurden und sich nun nicht daraus befreien können. Wir müssen also auch Wege finden, diesen Menschen zu helfen, und gleichzeitig affirmativ arbeiten. Neue Projekte und die Möglichkeit der Vernetzung wie beim jetzigen Festival helfen auch dabei: Einfach zu wissen, dass man nicht alleine ist. Das ist ein sehr schönes Gefühl, zumindest für mich.