Von Leyla Yenirce

Raum ist eine kostbare Ressource, so viel habe ich in meinem Studium der Kultur der Metropole gelernt. Um Raum wird gerne auch mal gestritten, in Kriegen, Großstädten oder Territorialkonflikten. Raum ist komplex. Es gibt nicht nur physische Räume, sondern auch soziale Räume. Also Räume, die Menschen durch soziale Beziehungen untereinander schaffen. Wie groß die Angst um den Verlust von Raum ist, konnte ich vor Kurzem erleben.

Räume sind auch deshalb so exklusiv, weil sie von einer Elite beschützt werden © Tine Fetz

Ich besuchte eine Vernissage von Künstler*innen aus der Hamburger Kunstszene. Wie jeder sozialer Raum operiert auch dieser mit sozialen Codes, also Verhaltensweisen, die einer bestimmten Gruppe typisch und zugehörig sind. In der freien Kunstszene scheinen diese überwiegend von weißen heteronormativen Männern diktiert zu werden.
Glücklicherweise beherrsche ich wie keine andere das Code-Switching – eine Fähigkeit, die mir erlaubt, szenetypische Verhaltensweise zu erkennen und zu reproduzieren, um dazuzugehören.

Codes sind oft auch ziemlich banal: ein Buch oder ein kritischer Gedanke, über den alle reden; ein Album, das alle gehört haben und abfeiern, oder eben ein bestimmter Kleidungsstil, der gerne getragen wird. Letzteres funktioniert ungefähr so: New Balance + North Face Jacke + Anarchie Aufnäher = Autonome oder Adidas Trainingshose + Nike Cappy + gefälschte Gucci Tasche = cooler Streetboy aus dem sozialen Brennpunkt. So einfach ist das, deswegen lassen sie sich auch umso einfacher kopieren.

Problematisch wird es erst dann, wenn sich jemand diese Codes in einem bestimmten Raum aneignet und jemand anderes dann Angst bekommt, dass durch die Imitation bestimmter Verhaltensweisen und Kleidungsstile Raum „weggenommen“ wird.

So wie bei der Vernissage neulich, als ich mit meinem Kunstszene-Outfit den Raum einer Galerie betrat. Die Formel sah ungefähr so aus: Plateauschuhe + rote XXL Flauschjacke + feine Hose + cooles T-Shirt = perfekter Mix aus Streetstyle und Fashionista. Das Erste, was folgte, war der Kommentar eines weißen cis Mannes namens Roman, den ich noch aus früheren Zeiten kannte und der mich prompt herablassend fragte: „Siehst du jetzt immer so aus?“ Danach habe ich nicht mehr mit ihm geredet, aber kam nicht drum rum, ihm fünf Minuten meiner kostbaren Gedanken zu widmen, die er nicht verdient hat, und folglich diesen Text.

Denn seine Reaktion folgte wie so oft bei Menschen aus Angst. Er hat nämlich Angst um einen Raum, von dem er denkt, er stünde eigentlich ihm zu. Wenn dann auf einmal eine Kanakin diesen Raum betritt und ähnlich gekleidet ist wie er, passt es ihm nicht, denn er fürchtet, dass die Marginalisierten zu weit nach vorne dringen könnten. Ich wäre nach seiner Reaktion am liebsten gegangen, weil ich gemerkt habe, dass die Umgebung toxisch ist. Nicht nur wegen der herzlichen Begrüßung, sondern auch, weil die Mehrheit des Raums so divers war wie Roman selbst, also gleich null.

Ich bin aber nicht gegangen. Zu meinem Glück hatte ich einen queeren nicht-weißen Freund dabei, der mein Verbündeter war, mit dem ich direkt darüber reden konnte und der Romans Worte mit einer flapsigen Handbewegung davonstrich, weil er weiß, dass Roman nicht mehr zusteht. Wir sind geblieben, weil es wichtig ist, sich Räume anzueignen, sie zu verteidigen und einzunehmen. Einfach ist das nicht, denn man bleibt immer die Minderheit und möchte am liebsten in einem Raum stehen, der mehrheitlich mit Verbündeten gefüllt ist, als mit solchen, die dein Aussehen geistlos kommentieren, obwohl ihnen das Recht nicht zusteht.

Einfacher wäre es gewesen, wenn wir gegangen wären, um in unsere vermeintlichen Safe Spaces zu fliehen, aber ich weiß, wofür ich da stehe. Ich weiß, wofür ich mir trotzdem belanglose Bilder angucke, die in einer White Cube hängen, während das Publikum nicht mal ansatzweise die Bevölkerung dieser Gesellschaft abbildet. Ich möchte nämlich auch mein Stück vom Kuchen und vom good life, in dem ich mich um nichts anderes kümmere als mein Outfit, den Drink in meiner Hand und meine eigene Selbstverwirklichung. Ich werde dieses schöne Leben mit Sicherheit nicht Roman überlassen, der mir übrigens bei unserer nächsten Begegnung unaufgefordert von seinem Liebeskummer erzählt hat. First World Problems. SORRY NOT SORRY.