Von Nicole Hoffmann

Mit 40 kehrt Hanna zurück nach Kirchberg, einem Dorf im Schwäbischen. Die Stille und Leere des Hauses ihrer verstorbenen Großeltern treiben sie hierher. Es ist das Haus, in dem sie aufgewachsen ist und das sie geerbt hat. Hanna hat einen Gehirntumor und einen Schlaganfall erlitten. Seitdem ist – neben der halbseitigen körperlichen Versehrtheit – ihr Zugriff auf den Wortspeicher zerstört.

© Joachim Gern

Sie, die Englisch und Italienisch studiert hat und deren Handwerk die Sprache war, leidet an Aphasie und befindet sich in einer „sprachlichen Dunkelkammer“. Sie, die an ihrer Habilitation arbeitete, eine Stipendienzusage für Harvard in der Tasche hatte und Träume und Pläne, hat mit einem Mal kein Vorhaben mehr und stromert durch die Gegend.

Episodenweise erfährt der*die Leser*in mehr über Hannas Leben vor der Krankheit, das Leben ihrer Mutter und das ihrer Großeltern. So weicht die Leere des alten Hauses nach und nach der Erinnerung an Menschen: etwa an Patrizio, Hannas Freund aus Kindertagen, der schon immer in sie verliebt war und der ihr im letzten Kapitel ihres Lebens beisteht. Denn allmählich wird klar, dass Hanna zum Sterben nach Kirchberg zurückgekommen ist.

Verena Boos „Kirchberg“
Aufbau Verlag, 366 S., 22 Euro

Verena Boos widmet sich in ihrem neuen Roman der Frage nach „Heimat“, die sie nicht nur aus Sicht ihrer Protagonistin verhandelt. Ein anderes Thema ist „Zeit“: Was macht man mit dem Rest an Leben und der Zeit, die einem*einer bleibt, die aber zu wenig sein wird? Wie schließt man Frieden mit den Geistern der Vergangenheit?

Auf Nebenwegen spricht Boos noch eine Fülle an weiteren Themen an – man merkt, dass sich die Autorin für ihren zweiten Roman viel vorgenommen hat. Vielleicht einen Ticken zu viel, denn manchmal ist weniger doch mehr. Aber gibt es Sätze in diesem Buch, die möchte man in ein Notizheft schreiben, damit man ihre sprachliche Schönheit nicht vergisst.