Von Janne Knödler

„Every Day is RomaDay!“ heißt die Bündniskonferenz zur Teilhabe von Rom*nija und Sinti*za, die am 22. November in Berlin stattfindet. Schön wär’s! Wir haben uns mit der Aktivistin Drita Jakupi und DJ Dreea Pavel getroffen und darüber gesprochen, was sich jetzt ändern muss.

Im Vorfeld der Konferenz hast du, Drita, einen Workshop zum Thema Intersektionalität im Antiromaismus geleitet. Worum ging es da für dich?
Drita: Erst mal gut, dass du Antiromaismus sagst, nicht Antiziganismus. Der Begriff geht für mich gar nicht. Wir wollten auf dem Workshop darüber reden, dass es Minderheiten in der Minderheit gibt. Dass es verschiedene Ebenen von Diskriminierung gibt. Wir hatten beispielsweise Aktivist*innen von Queer Roma dabei, die ihre Perspektiven geteilt haben, die dürfen bei der Konferenz nächste Woche nicht untergehen.

Drita, du arbeitest mit Institutionen zusammen und gibst Workshops, und du, Dreea, bist vor allem durch deine musikalischen Auftritte sichtbar. Was ist eure Schnittstelle?
Dreea: Na, wir sind beide Romnija! Wenn man erzählt, dass man Romni ist, ist das schon immer gleich ein Outing. Drita und ich teilen Erfahrungen, die wir miteinander austauschen und in Beziehung zueinander setzen können.

Drita: In der Mehrheitsgesellschaft gibt es zwei Vorstellungen, wie Rom*nija sein können: exotische, geheimnisvolle Musiker*innen oder Bettler*innen. Dieses Schwarz-Weiß-Denken wollen wir aufbrechen. Solche vorgefestigten Kategorien sind Quatsch. Dreea und ich sind wir selbst, allein dadurch zeigen wir die Grauzonen auf. Insofern machen wir eigentlich die gleiche Arbeit!

Dreea, hast du als Künstlerin in deinem Berufsfeld noch mal ein anderes Erleben von Diskriminierung?
Dreea: In der kreativen Szene erfahre ich viel weniger Diskriminierung! In meinem früheren Umfeld, als ich einen stinknormalen Job hatte, hatte ich mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Natürlich passe ich für viele Leute auch in der Musikszene wieder nicht ganz rein, auch hier gibt es Vorstellungen, wer welche Musik macht. Aber wenn ich das mit meinen Auftritten infrage stelle, stört es auch niemanden so richtig. Ich bin auch nicht queer, lege aber gerne in der Queer Community auf. Da hat sich einfach eine Allianz gebildet.

Welche Arbeit leistest du denn konkret als Künstlerin?
Dreea: Meine Beteiligung bin ich selber! Ich will Vorurteile abbauen, und das geht nur durch Präsenz. Und deswegen mache ich mich so präsent, wie es nur geht! Bei akademischen Arbeiten geht für mich oft die Berührung mit dem echten Leben verloren, die Nuancen der unterschiedlichen Erfahrungen werden vernachlässigt. Als Künstlerin kann ich mich selber so ausdrücken, wie ich das möchte. Ich kann mich selbst repräsentieren.

Sich selbst repräsentieren – ist das nicht schwierig in einer Gesellschaft, die versucht, dich unsichtbar zu machen?
Dreea: Natürlich. Diskriminierung schafft eine unsichtbare psychologische Grenze. Das fängt in der Schule an und hört nie auf. Sogar meine Eltern meinten immer, dass ich niemandem sagen darf, dass ich Romni bin. Das wird ganz fix internalisiert. Im Alltag steht niemand vor dir und verbietet dir etwas, aber du merkst irgendwann, dass du nicht mehr weiterkommst. Dass Leute dir etwas nicht zutrauen, oder du dir selber nicht. Und wenn mal was nicht klappt, dann sagen andere: Kein Wunder, dass die Romni das nicht schafft. Das macht die Versagensangst noch größer.

Welche Strategien hast du entwickelt, um damit umzugehen?
Dreea: Drauf zu scheißen! Ich habe jetzt eigentlich gerade erst den ersten Schritt geschafft: Mich nicht mehr dafür zu schämen, Romni zu sein. Ich kann dir nicht sagen, was die nächsten Schritte sind, aber allein das ist für mich schon eine persönliche Revolution.

Drita: Das ist schon ein enormer Kampf, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, in der du deine Identität unterdrücken musst. Und zu Hause ist es auch nicht immer leicht: Du bist ja auch nicht ganz wie deine Eltern!

Dreea: Genau, da gibt es krasse Generationenkonflikte. Wie viel der alten Traditionen möchte man ausleben? Und wie weit möchte man sich anpassen? Viele Rom*nija haben noch dazu die traumatische Erfahrung gemacht, ihre eigene Kultur ablegen zu müssen, um in ihren Herkunftsländern zu überleben. Das ist sowieso noch so ein Thema: Für uns gibt es keine sicheren Herkunftsländer.

Warum wird denn über Antiromaismus so wenig geredet?
Dreea: In Deutschand wird Rassismus dann sichtbar, wenn er mit den Opfern des Zweiten Weltkriegs in Verbindung gebracht werden kann. Rom*nija wurden aber jahrzehntelang nicht als Opfer des Holocaust anerkannt: Auf dem Papier gab es keine rassistische Verfolgung der Rom*nija und Sinti*za. Es gab keine formalisierte Rechtsprechung dazu, auf politischer Seite wurde die real existierende Verfolgung nicht als solche benannt. Es muss heute ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es Antiromaismus schon sehr lange in Westeuropa gibt. Was sich ändert, sind die Strategien, die Begriffe, mit denen wir beschrieben werden. Außerdem bleiben wir rein äußerlich unsichtbar: In der Hälfte der Welt verschwinden wir. Man erkennt uns nicht, wir erkennen uns auch nicht gegenseitig. Da ist es sehr schwer zusammenzufinden.

Wird es dadurch schwieriger, eine Lobby aufzubauen?
Dreea: Absolut. Ich möchte aber betonen, dass wir keine homogene Gruppe sind. Das geht leider oft unter. Wir sprechen verschiedene Sprachen, sind unterschiedlich sozialisiert, haben unterschiedliche Religionen.

Drita: Rom*nija ist ein Sammelbegriff. Sinti*za sind auch Rom*nija. Wir können gar keine Gruppe sein, dafür haben wir viel zu viele Facetten. Aber das erschwert es natürlich auch, sich zusammen für ein politisches Projekt einzusetzen.

Bei einem Bündnis geht es ja um Vernetzungsarbeit. Wie bringt ihr Akteur*innen zusammen, ohne politische Kompromisse einzugehen?
Drita: In so einer Welt muss man Kompromisse eingehen, gerade wenn so viele unterschiedliche Parteien beteiligt sind. Wir kriegen aber auch viel Unterstützung: Dazu gehört der Zentralrat der Juden, der sich für uns einsetzt.  Von denen können wir auch viel lernen: Die haben es geschafft, eine Lobby aufzubauen. Sie haben Ressourcen, um gegen systematische und institutionelle Diskriminierung zu kämpfen. Das wollen wir jetzt auch schaffen! Das ist auch eine der Zielsetzungen der Bündniskonferenz. Wir wollen einen Raum für Dialog schaffen, um zusammen mit Politik und Bildungseinrichtungen Handlungsoptionen ausdiskutieren zu können.

Uns ist es wichtig, dass diese Bündnisse alle Generationen einschließen. Das ist auch der Hintergrund der Theaterperformance, die von Jugendlichen aus ganz Deutschland aufgeführt wird. Ich kämpfe ja nicht nur für meine Generation. Ich will auch, dass die nach uns nicht in einem Land leben müssen, in dem Rassismus normal ist.

Wie können sich denn andere mit Sinti*za und Rom*nija in Deutschland solidarisieren?
Dreea: Also Leute, die hier leben, sollen sich erst mal bewusst sein, dass sie immer Zugang zu Informationen haben. Es ist ja nicht meine persönliche Aufgabe, andere zu belehren oder zu bilden. Aber für Menschen, die interessiert sind, gibt es überall Zugänge zu Materialien und so viele Vereine, bei denen man sich engagieren kann!

Drita: Man muss nicht selbst in der Minderheit vertreten sein, um sich zu solidarisieren – man muss einfach nur menschlich sein! Das sollte jede*r verstehen. Wer das nicht einsieht, braucht Hilfe, aber nicht von uns [lacht]. Aber die Konferenz am 22. November soll auch eine Möglichkeit sein, uns kennenzulernen und sich mit unseren Forderungen auseinanderzusetzen.

Und mit welchen Emanzipationskämpfen solidarisiert ihr euch?
Dreea: Solidarität empfinde ich jeder Gruppe gegenüber. Allen, die nicht den Normen entsprechen, die diese weiße westliche Ordnung geschaffen hat.

Drita: Wir haben das Privileg, darüber sprechen zu können. Ich kann rassistische Kategorien analysieren und dekonstruieren. Damit ich nicht mehr daran glauben muss. Und ich kann zu einer Konferenz gehen und darüber sprechen, und mir wird zugehört. Und die Chance möchte ich nutzen.

Die Anmeldung zur Konferenz läuft noch bis zum 17. November, Anmeldung und Programm findet ihr hier.