Von Amelie Haupt

„Psst, Psst, hey Süße!“ Ein braungebrannter Typ mit fettigem Haar lehnt sich aus dem offenen Fenster seines Autos und grinst mich schmierig an. Ich rotze einen großen Klumpen Spucke direkt vor ihm auf den Asphalt. Er verzieht angewidert das Gesicht, dreht sich weg und fährt los. Nun bin ich es, die grinst: „Wieder einen an seinen Platz verwiesen“, denke ich.

Nichts mit Schmusekatze! ©Fotolia/Konstiantyn

Cat Calling nennt man das Verhalten des braungebrannten Typens und ich finde es sehr passend, denn es klingt, als würden die Männer versuchen, eine Katze anzulocken. Nur bin ich keine Katze, sondern ein Mensch und eine Feministin noch obendrein. Daher werde ich ganz bestimmt nicht mit dir reden, wenn du mich so blöd von der Seite anmachst. Was ich mich immer frage: Hat das schonmal bei irgendeiner Frau geklappt? Hat sich schon mal irgendeine Frau für ein Date oder sogar Sex erbarmt, weil sie auf der Straße wie eine Katze angelockt wurde? Vermutlich nicht.

Auf den ersten Blick scheint Cat Calling harmlos zu sein: Ein Typ, der versucht, die Aufmerksamkeit einer Frau zu bekommen – vielleicht sogar Komplimente macht. Doch für als Frauen gelesene Personen wird das Bewegen im öffentlichen Raum dadurch zum Spießrutenlauf. Entweder man wechselt die Straßenseite oder muss die widerlichen Anbiederungen abweisen. Auch Ignorieren ist harte Arbeit. Das Gehirn schaltet in Alarmmodus: „Wie weit noch bis zur nächsten belebten Straße? Was mache ich, wenn der Typ sich mir in den Weg stellt? Vielleicht hätte ich doch mal so einen Selbstverteidigungskurs mitmachen sollen?“ Kein Platz mehr für schöne Gedanken an das Feierabendbier oder das mentale Vorbereiten des morgigen Teammeetings. Cat Calling raubt Betroffenen Energie und Zeit.

Knapp 37.000 Fälle von „Beleidigung auf sexueller Grundlage“, wie im Bericht des BKAs genannt wird, wurden 2016 polizeilich gemeldet (Quelle: PKS, Jahrbuch 2016, Band 1, V. 1.0, Seite 13) . Auch in der umfangreichen Erhebung der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus dem Jahr 2014, haben 55 Prozent der Frauen angegeben, bereits irgendeine Form von sexueller Belästigung erlebt zu haben. Die Zahlen der „hollaback!“ Studie der Cornell University gehen noch höher: 70 Prozent aller Frauen in Deutschland haben bereits sexuelle Belästigung auf der Straße erfahren – noch vor dem 17. Lebensjahr.

Mir hat das Cat Calling auch mein Selbstbewusstsein geraubt. Bereits vier Mal wurde ich von einem Fremden um Sex gebeten – mitten auf der Straße, auch am helllichten Tag. Ich merkte, wie sich durch die wiederholten Belästigungen mein Verhalten veränderte. Ich wurde vorsichtiger, habe Straßenseiten gewechselt und Blickkontakt vermieden. Wenn mich irgendein Mann angesprochen hat, habe ich ihn ignoriert. Doch dadurch fühlte ich mich niedergeschlagen, weil es mir ein schlechtes Gewissen bereitet, kategorisch alle Männer als potentielle Täter zu sehen. Damit könnte ich vielen Männern unrecht tun und verliere obendrein die Chance auf nette, bereichernde Begegnungen.

Ich brauchte also eine neue Strategie, um mit dieser Form von sexueller Belästigung umzugehen. Meine Lösung: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Zischst du mich an, zische ich zurück. Du siehst mich als Tier, das durch die Straßen streift und zum erstbesten Köder läuft? Gut, dann sehe ich dich auch als Tier. Und zwar eines, das nicht in der Lage ist, durch wohlartikulierte Sätze und menschliche Empathie die Aufmerksamkeit eines anderen Menschen zu gewinnen. Ich schnippe mit den Fingern, schnalze die Zunge oder zische verächtlich. Wenn ich es ernst meine, dann rotze dir einfach vor die Füße.

Anfangs hatte ich Angst vor den Reaktionen. „Was ist, wenn er nun wütend wird, mich angreift und gewalttätig wird?“ Doch das ist mir noch kein einziges Mal passiert. Zu meiner großen Überraschung konnte ich das Gegenteil beobachten. Einige Male konnte ich so etwas wie Reue und Scham erkennen. Meine Zurechtweisung hat sie daran erinnert, was sie eigentlich schon längst wissen: „So behandelt Mann keine Menschen.“ Der Typ in der U-Bahn, der sich breitbeinig sitzend über die Geschlechtsteile rieb und mir dabei Kussmünder zuwarf, machte sich plötzlich ganz klein auf seinen Sitz, nachdem ich ihm zurief, er solle sich verpissen. So laut, dass auch die anderen Leute in der Bahn es hörten. Die Beine fest zusammengepresst, eine Hand zwischen die Oberschenkel geklemmt und mit der anderen Hand verbarg er sein Gesicht, das er zum Fenster wegdrehte. Als ich beim Ausstieg noch einen letzten verächtlichen Blick auf ihn warf, konnte ich sehen, wie seine Lippen zitterten, wie bei einem Kind, das gleicht anfängt zu weinen.

Dennoch bleibt das Risiko der Gewalttat bestehen. Vielleicht hatte ich bisher einfach Glück, dass sich niemand durch meinen Widerstand provoziert fühlte? Vielleicht liegt es auch daran, dass ich dank weißer Privilegien und sozialem Status auch in solchen Situationen sicherer bin? Schwarze Menschen, People of Color, trans oder queere Leute sind weit häufiger Gewalttaten ausgesetzt und gehen demnach vielleicht anders mit der Situation um, als ich es würde.

Die Ausreden „Frauen wollen doch erobert werden“ oder „Ich bin halt ein Mann, ich kann nicht anders…“ funktionieren nicht mehr. Selbst in US-amerikanischen Fernsehserien ist oft derjenige böse, der das betrunkene Mädchen vergewaltigt, wie etwa in „Tote Mädchen lügen nicht“. Auch fällt kaum eine*r mehr auf billige Anmachen herein. Männer wissen, dass sie Frauen nicht auf der Straße nachstellen sollen. Sie wissen, dass anzügliche Blicke und unangebrachte Berührungen sexuelle Belästigung sind. Doch erfahren sie kaum Konsequenzen für widriges Verhalten.

Mir ist es wichtig, diese Konsequenzen aufzuzeigen, um mich stärker zu fühlen. Ich will kein Opfer sexueller Gewalt sein, sondern eine Gegnerin. Ich möchte nicht länger hinnehmen, sondern Grenzen aufzeigen. Wenn du das auch so siehst, dann fühle dich ermutigt dich gegen Cat Calling aufzulehnen: Zisch zurück oder rotz gepflegt auf den Boden.