Von Kirsten Achtelik und Judyta Smykowski

Frauen mit Behinderung und Kinder, aber ohne Mann – alles geht, wenn man es nicht alleine stemmen muss. Die 53-jährige Daniela Schremm wohnt im ersten Stock eines alten Gewerbehofs in St. Georg, zentral, aber idyllisch gelegen, direkt an der Hamburger Außenalster. Im Wohnprojekt „Drachenbau“ lebt sie seit 1989 zusammen mit 75 anderen Personen. Sie ist Rollstuhlfahrerin und hat „Glasknochen“ (Osteogenesis imperfecta) – die vererbbare Beeinträchtigung wird so genannt, weil die Knochen leicht brechen. „Seit ich denken kann, haben meine Eltern mir klargemacht, dass ich keine Kinder bekommen soll“, so Schremm. Für die Eltern sei die Behinderung, die auch ihre Mutter hatte, wie ein „Fluch, der über der Familie liegt“.

Daniela Schremm mit ihrer Tochter Kiné ©Stephanie Harke

Daniela Schremm wollte aber unbedingt schwanger werden, sie vermutet, weil es von der Umwelt so vehement ausgeschlossen wurde. Viele Männer „kamen zwar mit der Behinderung klar, konnten sich aber ein gemeinsames, potenziell behindertes Kind eher nicht vorstellen“. Schließlich war bei einer Vererbungswahrscheinlichkeit von fünfzig Prozent das Risiko, mit einer behinderten Frau ein behindertes Kind zu bekommen, relativ hoch. Und für Daniela Schremm war klar, dass sie keine Pränataldiagnostik in Anspruch nehmen wollte, um dieses Risiko auszuschließen.

Zu Beginn der Schwangerschaft suchte sie sich eine Gynäkologin, die akzeptierte, dass Schremm keine Untersuchungen wollte, die nach einer Behinderung des werdenden Kindes suchen. So konnte sie ihren „Schiss, mich die ganze Zeit rechtfertigen zu müssen“ bekämpfen – und für die Ärztin erwies sich das „gemeinsame Abenteuer“ als spannend. Bei jeder Untersuchung musste sie darüber nachdenken, ob diese sinnvoll für die Gesundheit der Schwangeren und des werdenden Kindes sein könnte oder nur nach Anzeichen für eine Behinderung sucht. Für den werdenden Vater war das kein Problem. Mit dem Asylbewerber aus dem Senegal war Daniela Schremm erst kurz zusammen, als sie schwanger wurde. „Für ihn war es klar, dass man nicht in den Bauch guckt“, erinnert sie sich.

Nach der Geburt von Tochter Kiné freuten sich die Großeltern dann doch und Daniela Schremm baute sich ein Netzwerk aus Freund*innen, Bekannten und bezahlten Helfer*innen auf. Das Sozialamt zahlte sieben Stunden täglich eine Haushaltshilfe, die die Aufgaben übernahm, die die junge Mutter aufgrund ihrer Behinderung nicht oder nur schlecht selbst ausführen konnte – so besorgte sich Schremm die Hilfe, die sie brauchte, noch bevor die Behindertenbewegung das Recht auf persönliche Assistenz erkämpft hatte.

Mittlerweile ist Kiné Schremm 22 Jahre alt – und Elternassistenz ein anerkanntes Konzept für die Hilfe von Eltern mit Beeinträchtigungen. Eltern mit körperlicher oder Sinnesbehinderung, die ihre Erziehungsaufgaben selbst planen und steuern können, erhalten Unterstützung bei der Ausführung, die Assistenz wird zum „verlängerten Arm“ der Eltern. In Deutschland leben etwa 1,8 Millionen behinderte und chronisch kranke Eltern mit ihren minderjährigen Kindern zusammen. Der Anfang 2017 vom Sozialministerium vorgelegte Teilhabebericht über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen zeigt, dass nur sieben Prozent von ihnen in Paarbeziehungen mit Kindern leben. 75 Prozent der 25- bis 59-jährigen Menschen mit Beeinträchtigungen wünschen sich zwar Kinder, können sich diesen Wunsch aber seltener erfüllen als nicht-behinderte Personen.

Ein Jahr lang suchte Kiné eine barrierearme Wohnung, damit ihre Mutter sie besuchen kann ©Stephanie Harke

Der Bundesverband behinderter Eltern e.V. (bbe) hat Anfang 2015 deutschlandweit Eltern mit Behinderungen nach ihren Erfahrungen mit der Eltern­assistenz befragt. Die Umfrage gibt erstmals Einblick, ob diese Unterstützung auch ankommt. Das Ergebnis: Nur jede dritte Familie, die Assistenz benötigt, kann einen Antrag auf finanzielle Unterstützung stellen, da Elternassistenz als Eingliederungshilfeleistung immer noch einkommens- und vermögensabhängig gestaffelt ist. Darum müssen Eltern einen Eigenanteil zahlen oder die Elternassistenz sogar ganz selbst bezahlen, bis ihr „Vermögen“ auf die je nach Familiengröße gültige Grenze verbraucht ist.

„Hier zeigt sich, dass das Fürsorgesystem der Behindertenhilfe ganze Familien in die Armut treibt“, so Kerstin Blochberger von der Beratungsstelle Elternassistenz in Hannover. Auch mit dem höchst umstrittenen, 2016 verabschiedeten Bundesteilhabegesetz würde sich erst mal nur wenig ändern. Zwar hat sich der erlaubte „Vermögens“-Freibetrag erhöht – die relevanten Änderungen (wie etwa der Verzicht auf die Anrechnung des Partner*inneneinkommens auf das „Vermögen“ des Assistenz beanspruchenden Elternteils) treten allerdings erst 2020 in Kraft. Erst dann würde sich für die einzelne Familie zeigen, wie sich die neuen Regelungen auswirken, erklärt Blochberger. Paaren, die zu ihr in die Beratung kommen, rät sie daher, „ihren Kinderwunsch bis dahin aufzuschieben“.

Die Ergebnisse der bbe-Umfrage zeigen, dass die betroffenen Eltern mit den verfügbaren Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten unzufrieden sind und sich von Ämtern nicht gut beraten fühlen. Wie so oft kommt es auch hier auf den Sachverstand und die Empathie der Sachbearbeiter*innen an – da hat Daniela Schremm, wie sie findet, Glück gehabt. Auch die Entscheidung für das Wohnprojekt sei wichtig gewesen: „In unserem Projekt gab es eine Menge Kinder und wir wollten bewusst nicht in Kleinfamilienstrukturen leben. Vieles haben wir dann gemeinsam organisiert, z. B. die Kinderbetreuung am Nachmittag.“ Auch ihrer Tochter Kiné Schremm ist heute wichtig, wie sie lebt. Sie ist im letzten Winter aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, ein Jahr lang suchte sie eine barrierearme Wohnung. „Es gab komische Reaktionen, auch manche Bekannte und Freunde mit Behinderung konnten das nicht verstehen, weil ich ja selber keine Behinderung habe“, erzählt sie. „Mir war aber wichtig, dass Mama mich auch besuchen kann. Das wäre s…