Von Stefanie Lohaus, Janne Knödler und Vina Yun

Schön, dass ihr da seid. Bitte stellt euch doch kurz vor.
Sharon Adler: Ich wurde 1962 in West-Berlin geboren. Aufgewachsen bin ich in Essen und in Holland, weil meine Mutter eine Affinität zu Holland hatte. Sie war dort als Kind versteckt und hat so den Holocaust überlebt. Außerdem war ich jedes Jahr bei meiner Großmutter in Israel, in Haifa. Seit 1983 lebe ich wieder in Berlin, auch weil meine Urgroßmutter hier gelebt hat. 1999 habe ich das Onlinemagazin „AVIVA-Berlin“ gegründet. Ich arbeite als Fotografin und Moderatorin, bin ehrenamtlich im Vorstand der Stiftung ZURÜCKGEBEN, gebe Workshops zu Antisemitismus und unterrichte Fotografie in inklusiven Gruppen.
Debora Antmann: Ich bin 1989 geboren, schreibe seit fünf Jahren auf meinem Blog „Don’t degrade Debs, Darling“ und bei Missy Magazine Online zu jüdischen und feministischen Themen. Ich arbeite als Frauen*beauftragte an einer Berliner Hochschule. Die ersten neun Jahre meines Lebens habe ich in Baden-Württemberg verbracht, danach bin ich in Berlin aufgewachsen. Seit ein paar Jahren arbeite ich zu jüdisch-lesbischem Feminismus in den 1980er- und 1990er-Jahren, etwa dem Shabbeskreis, zur AG Frauen gegen Antisemitismus und zur Gruppe Le Chaim …
Leah Carola Czollek: Le Chaim war ja eigentlich eine Partygruppe!
Debora: Das kommt darauf an, wen du fragst …

Auf ein paar Kippen mit (v.l.n.r.) Debora Antmann, Leah Czollek, Vina Yun, Stefanie Lohaus, Sharon Adler und Janne Knödler. © Stefanie Kulisch

Leah: Ich war ja dabei! Jüdische Party ohne Ende, so cool! Aber wir haben uns immer mal wieder politisch eingebracht. Etwa so: Vor der Volksbühne hing das deutsche Wappen mit dem Adler – zufällig am Tag des CSD. Das gefiel uns gar nicht. Wir sind zu fünft hin und haben ein Gespräch mit dem Intendanten eingefordert und sofort wurden die Fahnen eingerollt. Doch nun zu mir: Ich bin 1954 in Ost-Berlin geboren, habe mein ganzes Leben in Berlin verbracht. Ich war drei Monate in den Niederlanden, um über mein Leben nachzudenken, weil alles, was es an therapeutischer Unterstützung in Deutschland gab, einfach gruselig war. In den Niederlanden gab es die einzige Klinik in Europa, die ein spezielles Angebot für Kinder von Holocaust-Überlebenden hatte. Ich bin als Dozentin für Soziale Arbeit an Hochschulen tätig, habe Rechtsextremismus-Aufklärung für Lehrende an Schulen gemacht, beschäftige mich seit Jahren mit Antidiskriminierung und Diversity und habe das Institut Social Justice and Diversity mitgegründet.

Wie habt ihr Antisemitismus in eurer Kindheit erlebt?
Debora: In Baden-Württemberg war es sehr anstrengend. Es ging etwa um die Frage: „Bist du katholisch oder evangelisch?“ Ich habe geantwortet: „Ich bin jüdisch“, und bekam die Antwort: „Du lügst, es gibt keine Juden mehr.“ Das war für mich irritierend, immer wieder zu hören, dass es mich eigentlich nicht gibt, dass wir alle tot sind. Zu Hause habe ich das nie thematisiert. Meine Mutter war alleinerziehend, sie hatte Psychiatrieerfahrung und wir wohnten in einer Kleinstadt, da wollte ich keine weiteren Probleme mitbringen. Meine Mutter ist gestorben, als ich neun war. Ich bin dann zu meinem Vater nach Berlin gezogen. Er ist kein Jude, das war ein Problem. Meine Schulklasse in Berlin war sehr viel diverser, das war einerseits besser, weil ich nicht als Einzige „anders“ war, andererseits gab es andere Auseinandersetzungen: Kinder, die mit dem Nahostkonflikt aufgewachsen sind, haben viel auf mich projiziert. Gleichzeitig hatte ich Lehrer*innen, die ihren Fetisch an mir ausleben wollten. Immer musste ich Expertin für die Shoah sein. Wenn die nicht-jüdischen Kinder etwas nicht wussten, war das okay. Bei mir nicht, weil das ja meine Geschichte sei, nicht die der anderen. Also, Schule war der Horror.

Leah: In der DDR war Antisemitismus staatlich legitimiert, „Juden“ waren die Kapitalisten, Spione für den Westen. 1953 gab es eine große antisemitische Aktion, nachts wurden Wohnungen durchsucht, Prozesse vorbereitet, auch gegen meine Eltern. Über Nacht sind fünfhundert Leute aus Berlin geflohen, zum Schluss gab es in der DDR fast keine Jüdinnen und Juden mehr. Ich hatte aber Glück, habe in der DDR in einer Art Kokon gelebt, der aus jüdischen Emigrant*innen aus dem Kulturbereich bestand. Wir waren in der Schule sogar drei jüdische Kinder.
Sharon und Debora: Wow, drei!
Leah: Unsere Eltern kannten sich und waren gesellschaftlich anerkannt. Wenn es verbale Übergriffe gab, war meine Mutter sofort da. In der DDR war Nationalsozialismus auch manchmal Thema in der Schule, in der dritten oder vierten Klasse, da haben sie mich im Unterricht nach vorne geholt, um an mir zu zeigen, wie die Nazis Körper vermessen haben. Man weiß als Kind ja nicht, was los ist!
Sharon: Natürlich nic…