Von Hengameh Yaghoobifarah

Ob in der Popkultur, im Netz oder auf Partys: Die Auseinandersetzung mit Sternzeichen ist zum regelrechten Trend geworden und das schon lange, bevor Vetements eine Astro-Kollektion launchte. Nun ist nicht alles, was als cool gilt, tatsächlich erstrebenswert oder unproblematisch, denn der Habitus der Mehrheit ist meist einer aus der Hölle. Oder anders gesagt: Radikale Herrschaftskritik kann nie anschlussfähig für den Mainstream sein, denn sie greift ihn an. Obwohl das Interesse an Astrologie sich immer weiter verbreitet, würde ich dennoch nicht sagen, dass es ein Mainstreamthema ist – schon gar nicht, wenn von queerer Astrologie die Rede ist.

© Eva Feuchter/Missy Magazine

Als Feminist*in belastet mich die Erwartung, jegliche Theorien und Praxen, die religiös oder spirituell anmuten mögen, zu verachten. Verstehe mich nicht falsch: Die Kritik an Religion™ als Herrschaftsinstrument und menschenverachtende Ideologie finde ich genauso unverzichtbar wie jene an der Esoterik™ als rechts besetzte, essenzialistische Praxis. Wo Leute Anatomie an Geschlecht und Persönlichkeit koppeln, ist für mich keine Gesprächsgrundlage vorhanden: ob in „Frauen kommen vom Venus, Männer vom Mars“-Gelaber, transfeindlichem Radikalfeminismus oder im Eso-Laden in deiner Nachbar*innenschaft.

In unserer Kolumne Missyverse bloggt die Redaktion des Missy Magazines, immer im Wechsel. Ab sofort, jeden Freitag.

Mit Sicherheit gibt es auch problematische sowie verkürzte Auslegungen und Praxen von Astrologie. Doch wenn ich von queerer Astrologie spreche, dann meine ich weder das immer gleich klingende Horoskop aus der Frauenzeitschrift deiner Wahl noch die genderbinäre Interpretation, die eine*r bei einer oberflächlichen Auseinandersetzung mit Sternzeichen finden mag. Um die Welt zu verstehen, kann eine*r politische Geschehnisse und ihre Kontinuität nicht ausblenden. Das bestätigten mir schon die drei queeren Hexen, die ich vor etwas mehr als zwei Jahren in einer Reportage über das widerständige Potenzial von Spiritualität befragte. Sie waren sich auch darin einig, dass ihre spirituelle Praxis konkrete politische Handlungen nicht ersetzen kann – ein Trugschluss, dem viele Frauen in den 1970ern folgten, als sie sich lieber der Esoterik als der Frauenbewegung anschlossen.

Vielen meiner Freund*innen und mir macht es großen Spaß, über die Sternzeichen unserer Crushes zu diskutieren, uns Astro-Memes zu schicken und die Geburtstabellen von Promis zu ergoogeln – neben Debatten über Politik, dem Formulieren von Konsumkritik, dem gemeinsamen Erarbeiten von Strategien der Selbstfürsorge, Auf-Partys-Tanzen, Fashion-Talks, Demonstrieren und vielem anderen. Einige von ihnen sind außerdem sehr gut darin, Tarot-Karten zu legen und zu interpretieren, manche machen gemeinsam heilsame Rituale am Vollmond, ich lese ab und zu intuitiv Kaffeesätze. Wichtige Entscheidungen treffen wir sehr unterschiedlich, die einen sehr rational, andere eher intuitiv, aber niemand wirklich auf der Grundlage einer Tarot-Lesung. Weil uns all diese Dinge eher ein Potenzial als Schicksalsprognosen eröffnen.

In Zeiten von Fake News und rechter Propaganda ist es wichtiger denn je, Informationen zu belegen und keine trügerischen Wahrheiten zu produzieren. Als Journalist*in überprüfe ich Zahlen und andere Daten für meine Arbeit mehrfach, weil das Verbreiten von falschen Tatsachen verantwortungslos wäre – und derzeit ein beliebtes Werkzeug für Rechte ist, die ihre hetzerischen Meldungen auf Basis von Bauchgefühl und Moralpanik raushauen. Wer aber glaubt, dass Wissensproduktion immer neutral verläuft, berücksichtigt viele Machtverhältnisse in der Wissenschaft nicht. Über diese Dekolonialisierung spricht etwa die Autorin, Künstlerin und Theoretikerin Grada Kilomba.  Über die Anerkennung von Wissen schickte mir vor ein paar Tagen ein Freund einen Radiobeitrag von Thomas Palzer vom Deutschlandfunk. Darin heißt es auch:

„Die Produktion von formalisierbarem Wissen beruht auf Rationalität – auf einer Rationalität freilich, die nur das Zerrbild dessen ist, was ratio im Sinne von Vernunft ursprünglich einmal bedeutet hat.

‚Vernunft kommt von: vernehmen – altgriechisch: nous‘.

Vernehmen, erschnüffeln, erspüren.

Ahnen.“

Genauso, wie ich es für keinen Zufall halte, dass in gewissen Räumen – weiß, christlich/atheistisch und männlich dominierten – verächtliches Schnauben hallt, sobald ich über Spiritualität oder Astrologie spreche, halte ich einen Zusammenhang für unübersehbar: Zeitgleich zum Trend, sich mit Spiritualität_en auseinanderzusetzen, stieg auch die Tendenz, feminin konnotierten Attributen, Hobbys und Dingen – wie Verletzlichkeit, Emotionalität, Rosa in unterschiedlichen Nuancen von Millennial Pink bis Rosequartz als trendstiftende Farbe, Make-up, Glamour – mehr Raum zu geben. All diese Dinge ernten heute weniger Missbilligung in linken, queeren und feministischen Kontexten als vor zehn Jahren. Diese Abwertung ist tief mit Misogynie und Femmefeindlichkeit verwurzelt, denn diese Dinge gelten in einer patriarchalen Gesellschaft wie Femininität wahlweise als künstlich, oberflächlich, schwach, irrational, unpolitisch/nicht radikal genug.

Widerständigkeit misst sich immer nur im Verhältnis zum gesellschaftlichen und politischen Status quo. So auch das subversive Potenzial von Spiritualität. Queere Spiritualität aber, die sich weder an ideologisch-menschenfeindliche Auslegungen von Religion noch in antispirituellen Kontexten anpasst, ist (fast) immer ein radikaler Akt. Ich schreibe fast, weil ich keine Ausnahmen ausschließen möchte.

So wundert es mich kein bisschen, dass die meisten Leute – denen ich begegnet bin –, die diese Rituale und Praxen als heilsam empfinden, Femmes of Color sind. Queere und trans Personen. Viele von ihnen werden von der Gesellschaft beHindert, manche von ihnen sind arm aufgewachsen und/oder leben heute prekär, die meisten von ihnen sind Überlebende. Es handelt sich also nicht um ein Grüppchen privilegierter Bonzen, die in ihrem Elfenbeintürmchen an Mondwasser nippen, mit ihren Kristallen spielen und den Rest der Welt komplett ausblenden, sondern politisch organisierte und Organisierende, die sich selbst heilen und ermächtigen, weil ihnen die Gesellschaft den Zugang zu vielen Dingen erschwert oder verunmöglicht.

Deshalb rollen sich meine Augen automatisch um 360°, wenn irgendein Jürgen sich über queere Astrologie lustig macht und mir jede Glaubwürdigkeit abspricht, weil ich spirituell bin. Es gibt wenige Themen (das Wetter und der Weg z. B.), bei dem mich seine Expertise interessiert, die Bewertung meiner Über_Lebensstrategien gehört leider nicht zu diesem sehr engen Repertoire. Am witzigsten finde ich jene, die spirituelle Praxen für Humbug halten, aber vorschlagen, dass eine*r Energie und Zeit dafür aufwendet, um durch eine Gratis-Session zu „beweisen“, dass die eigenen Interessen Schrott sind beziehungsweise an Tarot oder Astrologie „etwas dran“ ist. Danke für das „Interesse“, aber warum sollte ich meine Zeit auf diese Art verschwenden?

Hengameh Yaghoobifarah ist seit Ende 2014 Redakteur*in bei Missy, Doppel-Skorpion und Critical-Whiteness-Modeblogger*in.

Ich höre manchmal den Einwand, es sei antiemanzipatorisch, Theorien anzuwenden, in denen die Persönlichkeit von Menschen vor ihrer Geburt bestimmt wird. Das Ding ist: In der Astrologie werden keine Persönlichkeiten festgelegt, sondern Potenziale und Tendenzen. Es muss nicht immer zutreffend sein, ich habe selbst jahrelang gar nicht an Horoskope geglaubt, bis ich queerfeministische las, etwa von Chani Nicholas. Astrolog*innen wie Chani Nicholas brechen die essenzialisierenden, gegenderten Zuschreiben in der herkömmlichen Astrologie auf und verknüpfen astrologische Konstellationen mit politischen Ereignissen.

Habe ich schon mal eine Person allein aufgrund ihrer Sternzeichen (ich spreche bewusst von Plural, weil Menschen nicht nur ein Sonnenzeichen – das, was wir meistens Sternzeichen nennen  – haben, sondern auch einen Aszendenten, ein Mondzeichen, Planeten, Häuser und Aspekte) gecancelt? Auf gar keinen Fall. Wenn eine Person ein Arschloch ist, dann ist sie eins und es spielt keine Rolle, ob sie Widder, Zwillinge, Steinbock oder Fische ist.

In Astro-Memes kommen die unterschiedlichen Zeichen selten gut weg – etwa bei Astrologystuff, Astrolosty, Scorpio Rising oder astromemequeen. Über manche Sternzeichen gibt es mehr Vorurteile als über andere. Aber meistens lacht eine*r über sich selbst, wenn die eigenen Sternzeichen in Memes oder von Freund*innen gegrillt werden. Denn Astrologie ist kein Herrschaftsinstrument, das strukturell oder institutionell dafür genutzt wird, Leute fertigzumachen. Niemand bekommt einen Job nicht, weil si*er Waage ist. Niemand wird von der Polizei festgenommen, weil si*er Skorpion ist. Astrologie steckt Menschen nicht in Kategorien, die sie für ihr restliches Leben einschränken. Das heißt auch: Menschen können ihr Arschloch-Verhalten nicht durch ihre Sternzeichen rechtfertigen. Verantwortung übernehmen müssen alle. Egal, ob ihr Aszendent Kröte oder ihr Mond in Mansplainer ist.