Von Eva Tepest

Schwule Genderperformance ist ein Thema für Lesben[1]. So für die lesbischen Eltern aus dem Film „The Kids are alright“, die sich gemeinsam Schwulenpornos anschauen. Oder für die Philosophin und Autorin Carolin Emcke, die sich als schwul identifiziert. Auch für mich und meine Ex-Freundin im Bett so ca. 2009, „Queer as folk“ im Hintergrund, Poppers im Anschlag. Schwule Mädchen – geht das überhaupt?

Aus der Modestrecke ‚Der Eisdealer‘, Designer Alexandra Börner ©Kathrin Tschirner

Der schwule Style ist en vogue unter Dykes. Ein Ring im rechten Ohr, die Strände von Fire Island am südlichen Ufer Long Islands, meine Freundin Arezou, die mir einmal beschrieb, wie ein schwuler Mann sie anzog aufgrund seines gut sitzenden Hemdes und seines Haarsansatzes: „Er hat mein verschüttetes Begehren nach Männern herausgekitzelt. Schlafen würde ich mit ihm aber nie.“ Davon können Legionen von Lesben mit Leonardo Di Caprio-Crushes von den 1990er Jahren bis heute ein Lied singen: Oft sind die androgynen männlichen Stars, für die wir im Teenageralter schwärmen, das Vorbild für die queer Bois, in die wir uns später verlieben. Wenn wir Menschen begehren, bewegen wir uns immer auf einem schmalen Grad zwischen sein und haben wollen. Auch das lesbische Interesse an schwulen Männlichkeiten ist teils sexuelle Anziehung, teils Sehnsucht nach Identifikation, teils Schwule wollen, häufig schwul sein wollen. Was aber zieht Dykes an schwuler Identität und Subkultur an?

Spoiler – es hängt mit der Gesellschaft zusammen und somit auch mit ziemlich viel Bullshit. Lesben sind im Vergleich zu Schwulen in Medien und Popkultur eklatant unterrepräsentiert. Da wo es Darstellungen von Dykes gibt, werden frauen- und lesbenfeindliche Klischees bedient: Lesbian bed death (hier nicht die Punk-Gothik-Band aus Stoke-on-Trent, sondern der Mythos, dass lesbische Paare irgendwann unvermeidlich aufhören, Sex zu haben) und Flanellhemden vis-à-vis aufregende Chem-Sex-Partys und guter schwuler Style.

Auch die schwule Community hat ein Problem mit Lesben und Weiblichkeit. Auf schwulen Dating-Apps ist die Angabe „No femmes“ ebenso häufig wie „No Asians“. Als ich vor ein paar Jahren einen Freund in einen schwulen Sexclub in Brüssel begleiten wollte, um einen Drink an der Bar zu trinken, wurde ich prompt abgewiesen: „Sweetie, dass Problem ist nicht, dass du vielleicht zuschaust, sondern dass die Jungs keinen Spaß haben, wenn sie an Brüste und Pussy erinnert werden.“ Viele meiner schwulen Freunde haben – außer den Körpern ihrer Mütter – nie einen nackten Körper mit Brüsten und Vulva live gesehen und ekeln sich davor. Schwuler Sex ist, in der Theorie, frei vom weiblich kodierten Körper, von Menstruationsblut, Menopause und Cellulite. Und für das, was er in unserer Gesellschaft repräsentiert: Verfügbarkeit, Häuslichkeit, Langeweile. Die Ablehnung von Dykes in der schwulen Community – die Gegenüberstellung von „Weiblichkeit, Reproduktion und Normativität auf der einen Seite sowie Männlichkeit, Sexualität und queerem Widerstand auf der anderen Seite“ (Susan Fraiman) – steht für unsere frauenfeindliche Geschlechterordnung im Ganzen.

Das schwule Begehren von Lesben ist somit bedenklich, aber unausweichlich. Denn wir können unser Begehren nicht nach politischen Idealen ausrichten. „Stell dir ein Leben als feministische Anemone vor, die die Fühler ihres Begehrens bei der geringsten Berührung mit dem Patriarchat zurückziehen würde. Es würde nichts mehr im Fernsehen geben“, schreibt die lesbische trans Autorin Andrea Long Chu in ihrem brillanten Essay „On Liking Women“. Solange wir morgen nicht in einem parallelen Universum aufwachen, in dem Patriarchat und Heterosexismus niemals Einzug gehalten haben, wird es keine Identität im umkämpften Feld Sex/Gender geben, die sich widerspruchsfrei und ohne Dissonanzen als „lesbisch“, „schwul“, „heterosexuell“ oder „queer“ bezeichnen ließe. Solange bleibt es chaotisch und kompliziert. Solange knutschen Lesben Schwule und beide performen als Fags. Uns bleibt nichts anderes übrig als das beständige Spiel mit den Prototypen einer frauen- und männerfeindlichen Geschlechterordnung. Und schwule Genderperformance bietet Dykes eine Blaupause dafür, das Original auf den Kopf zu stellen.

Die Fantasie von schwulem Sex ist für mich und viele meiner Freundinnen die einzige, in der wir uns bewegen können, ohne selbst zum weiblichen Objekt der Begierde zu werden. Viele Frauen und Lesben, die ich kenne, schauen lieber Schwulenpornos als Heteropornos (oder gar Lesbenpornos). Denn weiße Männer wurden, historisch gesehen, nicht gleichermaßen sexuell degradiert wie Frauen, ihr Sex impliziert mehr Macht(-Spiel) als Gewalt. Die Identifizierung als gay oder schwul bietet so eine Spielweise mit Gender und Sex. Sie kann parallel und in Überschneidung mit lesbischer und queerfeministischer Kultur ein alternatives Repertoire an Codes und Ausdruck bieten. Und das, ohne konstant mit den lesbenfeindlichen Projektionen der Mehrheitsgesellschaft umgehen zu müssen oder daran erinnert zu werden, wie gefährlich die offene Auslebung weiblicher Sexualität ist.

Eine lesbische und queerfeministische Auseinandersetzung mit Schwulen – ebenso wie eine schwule Auseinandersetzung mit Lesben – zeigt nicht zuletzt einen Weg auf, um solidarische Allianzen zu bilden. In der Emanzipationsbewegung von LGBTQ+ kämpfen Schwule und Lesben oft separat: Während in der schwulen Community lesben- und frauenfeindliche Klischees grassieren, werden in radikalfeministischen Kreisen Schwule (ebenso wie weibliche Maskulinitäten und trans Weiblichkeiten) oft fast so verteufelt wie heterosexuelle Männer. Am Stärksten sind wir aber oft dann, wenn wir zusammen kämpfen. Wie im ACT-UP-Movement, an dem Lesben in vorderster Front beteiligt waren. Am Stärksten sind wir dann, wenn wir Grenzen einreißen und die queere Utopie aufscheint, im Glimmern eines einzigen goldenen Ohrrings, in einem gut sitzenden Hemd, auch wenn es ein Flanellhemd ist. Schwule Mädchen, Kampfeinsatz!

 

[1] Unter Lesben/Dykes werden hier alle Personen verstanden, die sich (auch) so identifzieren – die Begriffe umfassen somit potenziell auch nicht-binäre Personen, transmaskuline Menschen und bisexuelle Frauen.