Von Sonja Eismann

Neulich war ich durch Zufall auf eine Dinner-Party eingeladen, auf der politische Utopien von Personen unterschiedlichster Backgrounds und Überzeugungen diskutiert werden sollten. So saß ich zwischen einer Prinzessin und einem jungen, ebenfalls adligen IT-Unternehmer, der altersmäßig mein Sohn hätte sein können. Einige der Anwesenden waren CDU-Mitglieder oder zumindest CDU-nah, die meisten wirkten wohlhabend oder gar reich. Also ein Szenario, das mit der Bubble, in der ich mich normalerweise bewege, wenig bis überhaupt nichts zu tun hatte, und so kam der politische Dissenz in dieser sehr freundlichen, wohlerzogenen Runde hauptsächlich aus meiner Ecke. Was mich jedoch überraschte, war, dass, obwohl ich mich kaum zu feministischen Themen äußerte, sich alle einig waren, dass es wirklich spitze sei, dass ich Feministin bin. Sogar die jungen männlichen CDU-Fans klopften mir verbal auf die Schulter ob meines vermuteten Engagements für die Sache der Frauen, weil das wirklich ein wichtiges Thema sei.

Kurz vor dem 08. März erreichen uns in der Missy-Redaktion wie immer die um diese Jahreszeit üblichen Einladungen zu Frauenkampftagsaktivitäten und feministischen Kongressen (an dieser Stelle ein großes Danke an die unermüdlichen Organisator*innen!). Aber es tauchen auch immer mehr Pressemitteilungen zu Gründerinnenstorys, Diversity-Management-Strategien großer Unternehmen, zur feministischen schwedischen Außenpolitik sowie zu Launches teurer Lederhandtaschen für Businessfrauen auf – alles aufgehängt am Weltfrauentag. Dass Feminismus zu einer Art Global Brand geworden ist, mit deren positivem Image sich nicht nur Slogan-Shirts und gemütliche Unterhosen, sondern auch eine Menge anderer Produkte, Dienstleistungen und sogar Ideologische Staatsapparate verkaufen lassen, wissen wir nicht erst bzw. spätestens, seit Andi Zeisler in ihrem Buch „Wir waren doch mal Feministinnen“ so erhellend darüber geschrieben hat.

Doch was ich persönlich mich, wie vermutlich Millionen anderer Feminist*innen, beinahe täglich frage, ist, was in Zeiten, in denen Vertreterinnen des Kapitals wie Christine Lagarde oder Ivanka Trump fröhlich verkünden, sie seien natürlich Feministinnen, und Femonationalismus bzw. -rassismus das große neue Ding zu werden scheint, da eigentlich noch drin ist in diesem Wort. Diesem Wort, das noch bis vor Kurzem gerne mal die ganze Negativpalette von Entsetzen über Verachtung bis zu Mitleid im Gegenüber auslösen konnte und das jetzt freudig bis schulterzuckend („Eh klar, was sonst!“) als Notwendigkeit zur Kenntnis genommen wird. Auch wenn das so klingt, als würde ich mich nach antagonistischeren Zeiten sehnen, in denen es mehr Zoff und eine politische Nischenexistenz gab, ist der Grund dafür wohl eher, dass es keine definitorischen Trennschärfen mehr gibt, sobald alles feministisch ist. Auch wer davon ausgeht, dass Feminismus notwendig links, antirassistisch, kapitalismuskritisch etc. sein muss, um diesen Namen zu verdienen, stößt schnell an Grenzen.

Einige Tage vor der Dinner-Party war ich auf eine Tagung von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten in die deutsche Provinz eingeladen, um darüber zu diskutieren, was die Inhalte „junger“ bzw. „aktueller“ Feministinnen seien. Nachdem ich Debatten und Diskurse skizziert hatte und auch Begriffe wie „Trigger“, „SWERF/TERF“ und „Safe Spaces“ erklärt hatte, was interessiert aufgenommen wurde, machte sich eine gewisse Ratlosigkeit breit. In der Pause kam eine junge Frau zu mir, die vor einigen Jahren ein Gender-Studies-Seminar bei mir belegt hatte und jetzt Frauenbeauftragte in einer süddeutschen Kleinstadt war. Die größte Schwierigkeit sei es, neben dem Umgang mit breitschultrigen älteren Provinzpolitikern, die ihr aufgrund ihrer Tätigkeit per se mit Skepsis oder gar Herablassung begegneten, die gelernten akademischen Konzepte in den Alltag zu übersetzen. Wie werden Frauen auf dem Land davon angesprochen? Und wie lassen sich Frauen überhaupt an Orten erreichen, in denen es keine Cafés, keine Bars, keine Clubs zum Austausch gibt – die Kneipen, die es gibt, sind in der Regel männlich besetzte Räume –, sondern höchstens Vereine und Kirchentermine? Andere Frauenbeauftragte schilderten im Plenum ähnliche Erfahrungen und beklagten eine „Versäulung“ nicht nur der Gesamtgesellschaft, sondern auch feministischer Communitys, in der Anliegen immer partikularer und damit disparater würden. Wie könnte es möglich werden, endlich mal wieder eine große konzertierte feministische Aktion zu machen, wenn es gar keine Übereinstimmung zu den großen Themen mehr gäbe?

Ich schämte mich ein wenig, weil ich mit all meinen aktuellen Debatten und Terminologien im kulturfeministischen Gepäck fast gar nichts anzubieten hatte, was im Gleichstellungsalltag auf dem Land, in der Kleinstadt oder der Provinzstadt von Nutzen wäre. Weil meine universitär gebildete Großstadt-Bubble von Feminismus natürlich auch dazu beiträgt, die Terminologie sexy aufzurüschen, ohne die harte Arbeit an der Basis zu machen.

Aber auch wenn ich mir, gerade in den Tagen vor dem 08. März, wie viele dieser Workshopteilnehmerinnen wünsche, dass es massenhaft revolutionäres Potenzial gibt, das Feminist*innen über alle Trennlinien hinweg sich solidarisieren lassen, um endlich das Schweinesystem auszuhebeln, bin ich doch, trotz fortgeschrittenen Alters, „aktuelle“ Feministin genug, um zu wissen, dass es heute nur Feminismen und nicht den einen Feminismus geben kann. Dass es nicht den einen „single issue“ gibt, auf den sich alle einigen können, sondern dass es unterschiedliche Priorisierungen gibt und zu den meisten Belangen auch intern unterschiedliche Haltungen. Das ist unübersichtlich und anstrengend, doch es zeigt auch, dass die Bewegung schon so viel an Grundsätzlichem erreicht hat, dass sie sich ausdifferenzieren kann und muss. Denn wenn sowieso alle für Feminismus sind, müssen wir für seine Bedeutungen kämpfen. Happy 08. März.