Wildes Denken als Qualität
Von
Interview: Mareice Kaiser
Bis zum 01. April gibt es noch die Gelegenheit, Vorschläge für den iphiGenia Gender Design Award 2018 einzureichen. Anlass für ein Gespräch mit Uta Brandes, Gender-Design-Expertin und Jurymitglied.
Missy: Frau Brandes, Ihr Vorwort des Buchs „Gender Design – Streifzüge zwischen Theorie und Empirie“ ist ein Plädoyer für das „wilde Denken“ – „ungezähmte Vorstellungen, statt die Bereiche Design und jene der Gender Studies diszipliniert und disziplinär abzuarbeiten“. Was bedeutet das konkret für den Bereich Gender Design?
Uta Brandes: Design hat den Vorteil, dass es alle Bereiche des Alltags umfasst – denn alles, was uns umgibt und mit dem wir uns umgeben, ist ja gestaltet. Insofern ist Design keine „Disziplin“, sondern wandert zwischen allen Bereichen: dem Alltag, den Dingen und den Menschen hin und her. Und deshalb auch „wildes“, statt braves von A nach B folgendes Denken. Querdenken und alles einbeziehen, was das angeblich Normale des Lebens ausmacht; wenn das ernst genommen und ungezähmt betrachtet und analysiert wird, ist das total spannend.
Sie sind Jurymitglied des iphiGenia Gender Design Awards, mit dem gendersensbibles Design auszeichnet wird. Wie sieht gendersensibles Design aus?
Wichtig ist die Betonung gendersensiblen Designs; eben nicht gender“neutrales“. Neutralität kann es nicht geben, weil wir alle, in welcher Art auch immer, vergeschlechtlicht sind. Und damit alle Diversitäten und Variationen der Menschen und ihrer sexuellen und sozialen Vorlieben angemessen und geschlechtergerecht akzeptiert werden, sollten Dinge und Zeichen von den Designprofis so offen gestaltet sein, dass alle Menschen sie sich nach ihrem Nutzen und Gebrauch individuell „zurichten“ oder aneignen können. Das ist allerdings ziemlich leicht gesagt und schwer getan. Aus diesem Grund wollen wir mit dem Award endlich einmal jene Gestaltenden würdigen, die sich darüber viele Gedanken gemacht haben und das auch ganz direkt in ihren Produkten oder Kampagnen angegangen sind. Es fällt nämlich sehr leicht, sexistische Produkte und Werbungen zu identifizieren – aber die klugen und sensibel gestalteten Dinge finden sich viel seltener.
Der Award wird in zwei Kategorien verliehen – einmal an Unternehmen, Agenturen oder Initiativen für ihr Gesamtkonzept und einmal für ein spezielles Produkt. Was könnte das sein?
Produkte, Dinge oder Aktionen, in denen entweder eine bestimmte Gruppe besonders intelligent und subtil oder aber überhaupt angesprochen wird – und das, ohne diese oder eine andere Gruppe zu diskriminieren. 2017 ging der Preis „Revolution“ – also für ein spezielles Produkt oder eine Kampagne – an die Design-Agentur Mindshare Denmark für ihre Kampagne „Image Hack“. Zusammen mit dem Beauty-Unternehmen Dove machte sich Mindshare auf, das stereotype Schönheitsbild in den Medien und der Werbung zu durchbrechen. Gegen die klischeehaften Bilder wurden Fotos von unabhängigen, starken und authentischen Frauen in unterschiedlichen Berufen auf Shutterstock hochgeladen und verschlagwortet, um die Ergebnisse der Suche zu verändern. Die Aktion, einen sehr mächtigen, globalen Anbieter lizensierter Bilder und Videos legal zu infiltrieren, bildet eine kluge Grundlage für die Gestaltung gendersensibler Werbung. Und nicht nur die Fotos selbst, sondern bereits deren Tagging wurde empathisch und scharfsinnig designt.
Wie sieht ein Gesamtkonzept aus, das Gendersensibilität und Design miteinander verbindet?
Das ist ein Design, das nicht nur allgemein klug, scharfsinnig, vielleicht auch „schön“ ist, sondern sich darüber hinaus durch ein intensives Bewusstsein über Gebrauch und Nutzen von Design durch die Menschen auszeichnet und eine ständige kritische Reflexion über Geschlechtergerechtigkeit als selbstverständlichen Bestandteil des Designs einbezieht. Wenn das umgesetzt wird, kommen tolle Sachen dabei heraus!
Sie sind Mitgründerin des international Gender Design Networks (iGDN). Was ist das Ziel des Networks und warum braucht es so ein Netzwerk?
Das iGDN hat es sich zur Aufgabe gemacht, Gestaltende und die Nutzerinnen und Nutzer darauf aufmerksam zu machen, dass Geschlecht eine Rolle spielt; und dass Designerinnen und Designer diese Reflexion und Sensibilität in ihre Arbeit einbeziehen – also so gestalten, dass Klischees und Stereotype vermieden und irgendwann überwunden werden. Wir brauchen endlich eine intensive und vernetzte Diskussion und ein genaues Wissen um die historische und kulturelle Bedeutung von Geschlechterverhältnissen im Design. Wir sollten uns dieser gesellschaftlichen Vergeschlechtlichung auch im Design nicht nur bewusst sein, sondern wir wollen diese kritisch, offen und öffentlich kommentieren. Damit erreichen wollen wir eine Veränderung hin zur Anerkennung und Förderung von Diversity, von gendersensiblem und geschlechtergerechtem Design.
Uta Brandes promovierte in Soziologie und Psychologie und lehrte bis 2015 als weltweit erste Professorin für Gender & Design. Sie ist Mitinitiatorin und Vorsitzende des in New York gegründeten international Gender Design Network (iGDN) sowie Mitinitiatorin der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung (DGTF). Ihr Buch „Gender Design – Streifzüge zwischen Theorie und Empirie“ erschien im Oktober 2017.
Funktioniert der Fokus auf Gender in Design, ohne andere soziale Kategorien zu berücksichtigen wie Ethnizität oder Klasse?
Die sollen natürlich nicht unter den Tisch fallen, aber in der Tat ist uns der Genderfokus besonders wichtig, weil gerade der im Design immer mit dem Verweis auf angeblich objektive Kriterien wie „Funktionalität“, „Ergonomie“ oder „ästhetische Anmutung“ überhaupt nicht thematisiert wurde und wird. Dieser Ideologie muss endlich etwas entgegengesetzt werden – und das ist die nachdrückliche Betonung der Relevanz von Geschlecht im Kontext all der vorher genannten Kategorien. Zusätzlich wollen wir auch auf die Unterrepräsentanz und Nicht-Akzeptanz von Designerinnen in vielen Designbereichen hinweisen. Insbesondere in denen, die männerdominiert als „harte“, technologisch komplexe Bereiche ausgegeben werden und Gestalterinnen den Zugang erschweren oder unmöglich machen.
Wie sieht gutes Design der Zukunft aus?
Ich wünsche mir offenes Design, das Individualisierung zulässt. Möglichkeiten gestalten, statt Nomen vorgeben und diese dogmatisch einhalten. Dazu muss die Designausbildung „wildes“ Denken lehren und Unternehmen müssen dieses als Qualität begreifen.