Von Haziran D. und Carolin Wiedemann

Als Recep Tayyip Erdoğan in Deutschland noch als demokratischer Reformer galt, bereiteten Feminist*innen sich schon auf den Kampf vor: Denn in der ganzen Türkei wussten diese von Beginn seiner Amtszeit an, dass seine Demokratisierung nicht ihre und deshalb gar keine sein würde.

An den Entwicklungen in der Türkei zeigt sich exemplarisch der Schulterschluss von Patriarchat und autoritärem Staat – genau wie der Zusammenhang zwischen feministischen Kämpfen und demokratischem Fortschritt. Und so heißt es in diesen Tagen immer öfter, auf Twitter und in den Teehäusern, nur die Frauen könnten die säkulare Demokratie in der Türkei noch retten.

Vor allem heute, am 25. November 2017, zirkuliert die Aussage in den Social-Media-Kanälen. Es ist Spätnachmittag, die Dämmerung hat schon eingesetzt und auf der Istiklal, der zentralen Fußgängerzone in Istanbuls Stadtteil Beyoğlu, die den Galata-Turm mit dem Taksim-Platz verbindet, leuchten die Lampen der Lichterketten, die den Kaufrausch bis in die Nacht hinein mit ihrem bunten Strahlen untermalen. Aber heute geht hier niemand shoppen, heute ist die Straße voll mit Tausenden Frauen, queeren Frauen, trans Frauen, cis Frauen, die gegen Gewalt an Frauen und Kindern demonstrieren. Sie halten Schilder hoch mit Fotos all der Politikerinnen und Aktivistinnen, die im Gefängnis sitzen, Regenbogenflaggen, Banner, auf denen steht: „Wir dulden keine Gewalt durch den Staat und wir werden unseren Kampf nicht aufgeben.“

Frauen jeden Alters demonstrieren gemeinsam, 60-Jährige mit perfekter Dauerwelle und roten Lippen neben 20-Jährigen mit Undercut oder Kopftuch, Mitglieder der kemalistischen Partei CHP neben Vertre­terinnen der kurdischen HDP und marxistischen Grup­pen. „Die feministische Bewe­gung führt Menschen aus jedem sozialen Segment der Gesellschaft zusammen“, ruft Diren Cevahir Sen und hakt die Frau neben sich unter. Sen ist Anwältin und linke Aktivistin und hat die Demonstration mitorganisiert. Am Rand des Zugs stehen schwer bewaffnete Polizisten. Sie hatten versucht, die Frauen aufzuhalten, der Marsch war kurz zuvor verboten worden. „Doch wir waren nicht aufzuhalten“, sagt Sen. Sie laufen schnell und rufen im Chor, immer wieder: „Wir wollen leben.“ Am Ende liest Sens Kollegin ein Statement auf Kurdisch, Arabisch und Türkisch vor. Es schließt mit den Worten: „Wir werden keine Gesetze dulden, die unsere Leben in die Mutterschaft verbannen, die uns in der Familie einsperren, wir werden keine Männer dulden, die uns sagen, wie wir zu leben haben, und auch nicht den einen Mann, der all diese Männer schützt.“ Jenen Mann, Erdoğan, der den Backlash anordnet.

© Cansu Yildiran

Die feministische Bewegung ist mit der Entwicklung der türkischen Demokratie eng verwoben, sie hat die Säkularisierung unter Mustafa Kemal Atatürk seit ihren Anfängen 1923 mit vorangetrieben. Bereits zwölf Jahre nach der Staatsgründung besetzten Frauen im türkischen Parlament fünf Prozent der Plätze – eine der höchsten Quoten weltweit zu dieser Zeit. Doch mit der Gleichberechtigung aller Staatsbürger*innen war es auch unter Atatürk nicht weit her und unter den folgenden Militärdiktaturen erst recht nicht. Erst Erdoğan verschaffte der Mehrheit der Bevölkerung Zugang zu Bildung, und auch der fortwährenden Unterdrückung der Frau gerade in muslimischen Familien schien er etwa mit dem Verbot von sogenannten Ehrenmorden eine Absage zu erteilen. So dachte man zumindest in Deutschland. Spätestens seit der EU-Beitritt nicht mehr zur Debatte stand, schlug seine Regierung aber offensiv jene Richtung ein, die Feministinnen von Anfang an erkannten: antisäkularen und patriarchalen Despotismus.

Die Repression gegen Regierungskritiker*innen nimmt seit dem Putschversuch im letzten Jahr stetig zu und geht mit Maßnahmen einher, die den homophoben und reaktionären Vorstellungen der islamistisch-konservativen Bewegung entgegenkommen. Erdoğans jüngste Gesetzesänderungen erlauben Vermählungen durch sunnitische Geistliche und ermöglichen damit arrangierte Kindesehen, die im Standesamt verboten sind. Scheidungen sollen zunehmend schwerer werden und Frauen gar nicht mehr zustehen. Abtreibungen genauso wenig. Queere Veranstaltungen hat die AKP zunächst in Ankara verboten, die Repression gegen­über der gesamten Community will Erdoğan immer weiter gesetzlich verankern. Schon das zweite Jahr in Folge wurde der Gay-Pride-March in Istanbul verboten – mit der Begründung, dass er in den Fastenmonat Ramadan falle und Gläubige sich gestört fühlen könnten. Neuerdings lässt Erdoğan Schul­bücher umschreiben, damit Mädchen von klein auf lernen, was ihre Aufgabe ist: dem Mann zu dienen.

„Und wenn sie nicht gehorche…