Als Berlin mal Kippa trug
Kolumnist*in: Debora Antmann
Von Debora Antmann
Zum 25.04.2018 rief die Jüdische Gemeinde unterstützt von diversen Politiker*innen, Parteien und Organisationen zur Aktion „Berlin trägt Kippa“ auf, nachdem in der Woche zuvor zwei Kippa tragende Männer in Berlin angegriffen worden waren. Laut Angaben der Presse folgten rund 2000 Menschen dem Aufruf der jüdischen Gemeinde. „Berlin trägt Kippa“ wurde als Zeichen der Solidarität verhandelt und erlebte bundesweit viel Zuspruch. Die vielen kritischen Stimmen zu der Aktion fanden jedoch kein Gehör. Würde ich eine Kippa tragen, wäre sie mir vor lauter Kopfschütteln an diesem Tag wohl von meinem hübschen Haupt gerutscht.
Denn Kippatragen ist kein aktives Vorgehen gegen Antisemitismus, das bleibt weiterhin aus. Es ist eine Wohlfühl-Kuschelaktion für wc-Deutsche. Eine Aktion für die eigene Befriedung und das Gefühl, was getan zu haben. Es ist nicht kritisch gegenüber Dominanzkultur und deutschem Alltagsantisemitismus und somit im Grunde auch nicht solidarisch. Es ist nicht der Schrei nach einer Strukturveränderung. Es ist keine Auseinandersetzung mit der Realität von Jüdinnen_Juden in Deutschland. Und dabei ist es unendlich weit weg von der Realität und den Bedürfnissen von Jüdinnen_Juden in dieser Gesellschaft. Es ist ein Aktionismus, der weder mir noch anderen im Alltag Unterstützung bringt, weil es im Zweifelsfall die gleichen wc-deutschen Leute sind, die mir und anderen an den restlichen 364 Tagen trotzdem mit Exotisierungen, Stereotypen und Mikroaggressionen begegnen, ohne es überhaupt zu merken. Als Antisemitismus gilt ja nur, wenn Leute eines auf die Fresse kriegen oder Synagogen angezündet werden. Kippatragen ist herrlich bequem: Warum sich mit deutschem Antisemitismus in seinen subtilen Formen, seiner Allgegenwärtigkeit auseinandersetzen, warum sich selbst kritisch hinterfragen, wenn man zu den Guten gehört: „Ich bin nicht antisemitisch, ich hab damals im April 2018 doch eine Kippa getragen!“
Ganz abgesehen davon, ist es völlig absurd, sich im sicheren Rahmen einer geplanten Großveranstaltung, eine Kippa aufzusetzen und sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. Das ist so weit von der Realität entfernt, dass es wehtut. Wenn Jüdinnen_Juden im Alltag Kippa tragen, sind da keine 1999 anderen Leute, keine Politiker*innen, kein Beifall (Und nein, das heißt nicht, dass in Zukunft irgendwer anfangen sollte zu klatschen, wenn eine Person mit Kippa vorbeiläuft!). Für Jüdinnen_Juden bleibt es an all den anderen Tagen eine Gefahrensituation, es bleibt das Othering, die schrägen Blicke, die Potenzierung dessen, was wir ohnehin, auch ohne Kippa, erleben. Das Tragen einer Kippa funktioniert nicht wie ein Softwareupdate. Man kann das Ding nicht aufsetzen und plötzlich hat man den Erfahrungsschatz, den Jüdinnen_Juden in Deutschland durch Diskriminierung, Gewalt, wc-deutsche Unbeholfenheit, Mikroaggressionen, dumme Fragen, Stereotype, Negierung, schlechte Scherze, Angetatsche, Erwartungshaltungen, Bilder, Politik und … ich könnte ewig weitermachen … tragischerweise automatisch sammeln. Weder schützt es Jüdinnen_Juden, wenn sich 2000 Leute probeweise eine Kippa aufsetzen, noch gewinnt irgendein Goy dadurch auch nur den Ansatz einer Idee, wie es ist, als Jüdin_Jude in Deutschland zu leben. Es schmerzt mich, mit anzusehen, wie Menschen glauben, es sei mehr als ein medienfreundliches Symbol, ein schlechter Witz und kulturelle Aneignung. Ich und andere Kritiker*innen erkennen dabei durchaus an, dass es „gut gemeint“ ist, aber bis auf ein paar coole Bilder für wc-Deutsche bleibt es eben nur heiße wc-deutsche Luft.
Debora Antmann
Die Kippa und der jüdische Mann
Es ist auch kein Zufall, dass ausgerechnet die Kippa als Zeichen der jüdischen Solidarität gewählt wurde. Die Kappa ist eine Kopfbedeckung, die jüdische Männer tragen. Nicht die Frauen. Tragen jüdische Frauen religiöse Kleidung ist das meistens ein Tichel. Aber 2000 Männer und Frauen mit einem Kopftuch?! Das geht doch nicht! Wo kämen wir denn da hin?! Kopftuch? Jüdisch? Versteht ja auch keiner! Das Einzige, was wc-Deutsche kennen, ist die Kippa. Stereotype und Sexismus geben sich hier die Hand.
Wer waren die Männer, die angegriffen wurden?
Das führt uns zum nächsten Witz an der Geschichte: Wer waren die Männer, die angegriffen wurden, eigentlich? Irgendwie haben die meisten Medienberichterstatter*innen vergessen, zu erwähnen, dass die beiden keine Juden waren. Sie wollten einem Freund beweisen, dass es sicher ist, mit Kippa durch Berlin zu laufen. Well … Schlagt das Internet auf und ihr hättet gewusst, dass dem nicht so ist! Es gibt ausreichend Berichte darüber – und zwar von Betroffenen. Oder noch einfacher: Ihr hättet eurem Freund auch einfach glauben können. Aber die zwei Goys wissen es besser und müssen sich erst mal eine Kippa aufsetzten, um den Beweis zu haben. Das erinnert an Fernsehformate, bei denen Männer sich mit viel Aufwand als Frauen verkleiden, um zu sehen, wie Sexismus so ist. Dass die Berichte von Frauen über Sexismus nicht reichen, ist übrigens sexistisch. Oder Weiße, die mittels Blackfacing, den Versuch starten, herauszufinden, wie das so ist mit diesem Rassismus.
Die Erfahrungen von People of Color reichen nicht: Rassismus in Reinform. Oder eben Goys, die sich eine runde Stoffscheibe auf den Kopf setzen, um die ultimative Antisemitismus-Erfahrung zu machen. Das Wissen von Jüdinnen_Juden hört man da nicht – Antisemitismus at its best. Betroffene nicht hören wollen und gleichzeitig glauben, dass eine 2-Stunden-, 3-Wochen- oder 1-Jahres-Erfahrung in Verkleidung irgendwie vergleichbar sei mit den tatsächlichen Erfahrungen, die Frauen, trans Personen, Personen of Color, Jüdinnen_Juden, behinderte, fette oder arme Menschen machen, ist ein Schlag ins Gesicht genau jener Personen, die die Erfahrungen täglich machen. Vor allem, weil Verkleidung nicht kann, was lebenslanges Aushalten kann: die Wunden spüren und den Subtext verstehen.
Aneignung jüdischer Symbole ist ohnehin schon ein Problem
Das, was die Typen da gemacht haben – und es tut mir durchaus leid, dass sie dafür auf die Fresse bekommen haben – oder besser: was Leute generell machen, die solche Aktionen bringen, nennt sich kulturelle Aneignung, und die ist ein Problem. Ich erlebe oft, dass Menschen, etwa Antideutsche, mit Davidstern durch die Gegend rennen und das Solidarität nennen. Das ist aus vielerlei Gründen problematisch. Zum einen, weil es im Alltag nicht so viele Möglichkeiten gibt, wie Jüdinnen_Juden sich zu erkennen geben können, um solidarisch miteinander zu sein. Wenn dann die Energie, die wir im Alltag aufbringen können, an Leute geht, die gar nicht jüdisch sind, ist das nicht solidarisch, sondern es schädigt unsere Community. Zum anderen gibt es einen Grund, warum so viele Jüdinnen_Juden sich nicht trauen, Symbole offen zu tragen und erkennbar zu sein. Für uns hat das andere Konsequenzen als für die wc-deutsche Ursula. Wenn irgendwelche wc-Deutschen sich Symbole aneignen und diese zur Schau stellen, weil sie es können, weil sie bestimmte strukturelle, historische, emotionale Erfahrungen in ihrem Heranwachsen und Alltag nicht erlebt haben, dann ist das nicht Solidarität, dann ist das Kackscheiße. Dann ist das privilegiertes hegemoniales, klassisches weißes Gebaren und keine Unterstützung im Widerstand gegen wc-deutsche Dominanzkultur, es IST wc-deutsche Dominanz.
Der jüdische Mitbürger
Im Übrigen hat diese ganze Aktion „Berlin trägt Kippa“ mit wohlmeinenden Vokabeln gezeigt, wie sehr Jüdinnen_Juden in Deutschland ausgegrenzt werden. Der Begriff der „jüdischen Mitbürger“ ist schon lange Teil jüdischer Kritik und wurde in diesen Tagen nahezu inflationär verwendet. Wir sind keine „MITBürger*innen“. Wir sind, wenn überhaupt, Bürger*innen und schon dieser Begriff trieft vor nationalem Gebaren. Die Vorsilbe „Mit-“ wird jedoch vor allem dann verwendet, wenn – vermeintlich subtil – „das Andere“ gekennzeichnet werden soll. „Unsere ausländischen Mitbürger“ oder spezifischer „unsere türkischen Mitbürger“ oder eben „unsere jüdischen Mitbürger“. Wir sind nicht einfach Bürger*innen, wir sind MITdabei, zusätzlich zu den normalen, richtigen Einfach-nur-Bürger*innen. Wir sind keine Normalität.
Antimuslimischer Rassismus
Wie schon erwähnt, haben es sich auch rechte Akteur*innen nicht nehmen lassen, sich zu diesem Anlass eine Kippa aufzusetzen. Das liegt vor allem daran, dass die Aktion eine Reaktion auf einen Angriff ist, der von „arabischsprechenden Männern“ ausging. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet dieser Vorfall medial so präsent ist und nicht einer der 1000 anderen, bei denen weiße deutsche Nazis Jüdinnen_Juden beleidigt und angegriffen haben. Es ist kein Zufall, dass Tausende sich bei diesem Vorfall solidarisieren, es ist kein Zufall, dass die AfD sich bei diesem Vorfall mal wieder als Unterstützerin der „jüdischen Mitbürger“ zeigt. Die Mehrheit in diesem Land ist sich nicht zu schade, die Gewalterfahrungen von Jüdinnen_Juden zu instrumentalisieren, um antimuslimischem Rassismus Vorschub zu leisten. Dabei gibt es jene, die sich dabei einfach in ihren rassischen Bildern bestätigt sehen und glauben, „uns“ vor „denen“ beschützen zu müssen, und jene, die bewusst einen angeblichen Kampf gegen Antisemitismus vorschieben, um aktiv antimuslimisch rassistische Aktionen, Haltungen, Ansichten, Taten, Aussagen und Propaganda zu verschleiern oder zu legitimieren. Egal, ob das eine oder das andere, beides ist (antimuslimischer) Rassismus und der Move, Jüdinnen_Juden dafür zu instrumentalisieren, ist auch antisemitisch. Beides ist weit entfernt von „links“ und beides bringt Menschen aktiv in Gefahr. Auch jene, die es vermeintlich unterstützen soll.