TV-Therapie
Von
Von Olja Alvir
Ich werde jetzt der Korrektheit wegen direkt am Anfang etwas sagen, aber ihr müsst versprechen, nicht sofort wegzuklicken, okay? Okay. Also: Die Serie, über die ich heute schreibe – „Crazy Ex-Girlfriend“ … Sie ist ein Musical. Ja. Es ist schwer vorzustellen, ich weiß. Eine über mehrere Staffel gehende Serie als Musical? So richtig mit plötzlich in Choreografie und Singsang ausbrechenden Charakteren? Ja, genau! Aber bleibt dran! Es ist fantastisch, und es ergibt Sinn. Und nein, keine Sorge, es ist gar nicht wie „Glee“, versprochen. Lasst mich mal die Ausgangslage zusammenfassen.
Rebecca Bunch ist nicht sonderlich happy mit ihrem Leben als Topanwältin bei einer New Yorker Firma. Als sie zur Partnerin befördert werden soll, überkommt sie eine Panikattacke: Irgendwie war das mit der steilen Karriereleiter und dem Schlafentzug wohl doch nicht das, was sie sich für ihr Leben vorgestellt hat. Just in diesem Moment trifft sie ihren Teenie-Schwarm Josh auf der Straße und in ihrem Innern gehen nostalgische Glitzerfeuerwerke los. Die Lösung aller ihrer Probleme scheint klar: Kündigen, in die Heimatstadt ihres Schwarms ziehen – eine unbedeutende Kleinstadt in Kalifornien – und dort ein komplett neues Leben beginnen. Mit ihm, natürlich! Hoffentlich …
In der ersten Staffel hadert Rebecca nicht nur ganz im Sinne einer klassischen „Fish out of the water“-Storyline mit ihrem neuen Leben, sondern auch das Ganze mit ihrer Jugendliebe will gar nicht so laufen, wie sie sich das in ihrer Josh-Mania vorgestellt hat. In der Hoffnung, Josh doch irgendwie für sie zu gewinnen, verfängt sie sich in geheimen Plots und Lügenspiralen. Wir sehen langsam eine andere Seite der quirligen Protagonistin: Ihre mitreißende Art zeigt sich immer öfter als manipulatives Verhalten, ihre Hingabe ist vielleicht eher Obsession. Langsam kommt die Vermutung auf, dass hinter Rebeccas farbenfroher Fassade möglicherweise ein dunkles Geheimnis steckt.
Bei der Recherche zu dieser Rezension tippte ich „crazy ex-girlfriend“ in die Suchleiste bei YouTube ein und fand neben diversen Links zu Ausschnitten, Trailern und Songs aus der Serie auch Verstörendes: Videos, die Männer mit ihren Handykameras von ihren (Ex-)Freund*innen während Streits und Konfrontationen drehten. Die wackeligen Clips zeigen Frauen beim wütenden Schimpfen und Schreien und sind meistens von einem gehässig gackernden Typen aufgenommen. Sie sollen uns ZuseherInnen unmissverständlich zeigen: „Bitches be crazy.“ (Die Videos sind wohl kaum mit Konsens der Protagonistin aufgenommen und veröffentlicht worden. Außer sie sind fake, natürlich. Dann stellt sich aber die Frage, warum wir als Gesellschaft solche Szenen zur Unterhaltung konsumieren …)
Damit wären wir auch gleich bei einem der Hauptpunkte der Serie – dem C-Wort. Rachel Bloom entwickelte das Konzept, schreibt die Lieder und spielt auch die Hauptrolle (und hat dafür einen Golden Globe verliehen bekommen). Sie wählte laut Interviews den Titel der Serie bewusst so, um Stereotype rund um „crazy“ Exfreund*innen zu dekonstruieren. In dem Intro wird auch ganz klar gesagt: „That’s a sexist term!“ Doch leider bleibt es dabei, und die Analyse geht nicht sehr viel weiter. Schade, denn gerade von diesem Werk wäre eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Labelling von Frauen als „crazy“ zu erwarten. So bleibt der Titel ein Aufreißer, ein Eyecatcher, vielleicht sogar auch Reproduktion. Dahingehend ist eine gewisse Nähe zum fraglichen „ironischen Sexismus“, wie er generell häufig im amerikanischen Comedy-Mainstream praktiziert wird, nicht abzusprechen. Weiters zeigt kein TV-Format das Leben mit Depressionen und Mental Health Struggles so realistisch und empathisch wie „Crazy Ex-Girlfriend“. Es bleibt die Hoffnung, dass Rebecca Bunch den Sprung schafft – vom stereotypen „crazy“ ex-girlfriend zum ernsthaft mentally ill ex-girlfriend zum healthy ex-girlfriend.
Immerhin macht die Serie viele andere Dinge richtig: Rachel Bloom achtete bei der Besetzung auf eine diverse Cast. Mit Vincent Rodriguez III als Josh ist endlich ein Schauspieler mit asiatischen Wurzeln als „romantic lead“ zu sehen, während diesen sonst meistens Rollen als schüchterne Sidekicks und quirky Nerds zukommen. Es gibt homo- und bisexuelle Charaktere und biracial Couples. Die Songs beschäftigen sich regelmäßig und auf eine unvergleichlich erfrischende Art und Weise mit den Themen Body Image und Menstruation. Und vor allem ist „Crazy-Ex-Girlfriend“ auch eine Serie über Freund*innenschaft. Denn so sehr vielleicht Rebeccas Liebesleben den Plot antreibt: Ohne die Frauen an ihrer Seite wäre ihre Story undenkbar. Aus Rival*innen werden BFFs, aus Bekanntschaften werden unersetzliche Stützen.
Auch wenn die Fantasie der Hauptfigur regelmäßig mit ihr durchgeht und für eine Fülle skurriler Sing- und Tanzeinlagen durch die gesamte Musikgeschichte sorgt: It’s still the most relatable show on television. Denn die größte Stärke von „Crazy Ex-Girlfriend“ ist die Gabe der Macherin, den Finger genau in die Wunde zu legen. „Crazy Ex-Girlfriend“ weiß, wo es wehtut. Aber auch, was heilt – manchmal ist es Sarkasmus, manchmal entwaffnende Ehrlichkeit –, und trägt die Salbe extra dick auf, wie eine gute Freundin es eben tun würde.
Die ersten beiden Staffeln von „Crazy Ex-Girlfriend“ sind auf Netflix verfügbar. Die vierte und letzte Staffel läuft im Herbst auf dem amerikanischen Sender CW an.