Von Evan Tepest

Am 13. Juni vor 80 Jahren wurden in der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ viele sogenannte Asoziale verfolgt und verhaftet. Als Opfergruppe sind sie bis heute nicht offiziell anerkannt. Auch Versuche, die vielen Lesben unter ihnen als Opfer des Nationalsozialismus sichtbar zu machen, stießen auf Widerstand: Eine 2015 in Ravensbrück – nahe des Mädchen-Konzentrationslagers Uckermark – niedergelegte Kugel gedachte etwa an „alle lesbischen Frauen und Mädchen“, die „als ‚Verrückte‘, Widerständige, ‚Asoziale‘ und aus anderen Gründen verfolgt und ermordet“ wurden. Im Jahr darauf wurde sie entfernt. Grund: Bis heute darf in Ravensbrück nicht Lesben als Kollektiv (und systematisch Verfolgten) gedacht werden, sondern nur individuellen Frauen, die gewissermaßen zufällig manchmal auch lesbisch waren. Dabei liegt ein Zusammendenken von „Lesbe“ und „Asozial“ – als Begriffe der nationalsozialistischen Täter, als weiterhin wirkende Stigmata – auf der Hand.

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„Wir haben es bei allen im NS-Regime als ‚asozial‘ Verfolgten mit dem Problem der Unsichtbarkeit zu tun. Die Geschichten von Lesben unter den Verfolgten sind weitestgehend unbekannt. Das Problem der fehlenden Geschichte(n) zeigt sich jedoch auch bei anderen Gruppen: Auch trans Personen wurden verfolgt und werden häufig weiter diskriminiert. Was ist bekannt von den Sexarbeiter*innen, die im Nationalsozialismus kriminalisiert und verfolgt wurden? Die Forschung zu den Lagerbordellen hat erst vor einigen Jahren begonnen und ist noch am Anfang. Die Verfolgungsgeschichte der Rom*nja und Sint*ezza wird noch immer nicht in den Schulen unterrichtet“, erklären die Veranstalter*innen Tine Rahel Völcker und Sabrina Saase vom queeren Kollektiv Raumerweiterungshalle. Neben einem Fokus darauf, wie Unsichtbarkeit und Stigmatisierung in die Gegenwart hineinwirken, widmet sich die Reihe widerständigen Praktiken unterschiedlichster Art: „Die Veranstaltungsreihe ist eine Arbeit an und mit der Leerstelle. Den verschiedenen Leerstellen. Wir wollen gemeinsam unterschiedliche Sprachen sammeln, die der Sprachlosigkeit antworten. Wir wollen Widerstände und erfolgreiche Kämpfe thematisieren, wie die der Bürgerrechtsbewegung der Sint*ezza und Rom*nja in den 80er-Jahren in der BRD oder selbstorganisierten lesbischen Gruppen in der DDR“, so Völcker und Saase.

Die Reihe „ASOZIAL GELIEBT“, GELIEBT ASOZIAL? widmet sich vom 28. Mai bis 12. Juni in Berlin mit Podien, Filmen und Aktionen dem Stigma der Asozialität aus queer-lesbischer, intersektionaler Perspektive – vom Nationalsozialismus über die Zeit deutscher Teilung bis zu gegenwärtiger Verfolgung. Sie stößt in erinnerungspolitische Lücken vor.

Das vollständige Programm zur Reihe findet ihr hier.

Mit der Kontinuität von Stigmata, erinnerungspolitischen Lücken und widerständigen Kämpfen beschäftigen sich vom 28. Mai bis 12. Juni Beitragende wie etwa Tucké Royale, der den Zentralrat der Asozialen Deutschland gründete, oder die Filmemacherin Tayo Awosusi-Onutor, deren Dokumentarfilm „Phral mende – Wir über uns“ über Perspektiven von Rom*nja und Sint*ezza in Deutschland zu sehen ist. Parallel zur Reihe ist die Dokumentation der Initiative Autonome feministische FrauenLesben aus Deutschland und Österreich zum Thema der Verfolgung lesbischer Frauen in der NS-Zeit ausgestellt.

„ASOZIAL GELIEBT“, GELIEBT ASOZIAL? wirft die richtigen Fragen auf: Wie können wir Allianzen schmieden, die mehr sind als die Summe ihrer vermeintlich getrennten Teile? Wie dem nachspüren, was war und weiter schmerzt? Wie daraus eine Utopie entwickeln, die Unterschiede nicht kleinmacht, sondern „der Vermassung abgesonnen, ausgerichtet auf Unterschiedenheit“ (Roland Barthes) ist? Hier stehen wir. Wohin gehen?