Von Christian Schmacht

Am Samstag, dem zweiten Juni, haben wir den internationalen Hurentag gefeiert. An diesem Tag besetzten im Jahr 1975 über hundert Sexarbeiter*innen die Kirche Saint-Nizier im französischen Lyon. Damit protestierten sie gegen Polizeirepression und für bessere Arbeitsbedingungen. Den Begriff „Sexarbeiter*in“ schuf übrigens drei Jahre später Carol Leigh, eine US-amerikanische Hure, die als Aktivistin, Dichterin und Autorin unter dem Namen Scarlot Harlot für unsere Rechte kämpft. Dieses Jahr feierten Berliner Sexarbeiter*innen bei einer Soliparty, die für die Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!“ Geld einbringen sollte. Einige verkauften sexuelle und erotische Dienstleistungen an das Partypublikum, der Erlös wurde an die Kampagne gespendet. Es ist ein mutiger, radikaler Schritt, die Arbeit auch mal vor den Augen der eigenen Freund*innen und Unterstützer*innen durchzuführen – denn für viele sind die Details unseres Broterwerbs unbewusst mit Scham und Ekel verbunden und Sexarbeit soll am besten außer Sichtweite und hinter verschlossenen Türen stattfinden. Ich bin stolz, dass sich einige von uns getraut haben, mit ihren Körpern die Sexarbeit ein Stück mehr zu normalisieren!

© Tine Fetz

Ebenfalls am zweiten Juni veranstalteten Aktivist*innen in Stockholm die jährliche anarchistische Buchmesse. Ursprünglich war ein Workshop geplant, in dem die Sozialanthropologin Niina Vuolajärvi mit Mitgliedern des schwedischen Sexarbeiter*innenkollektivs Fuckförbundet über Sicherheit, Rechte und die Situation der Prostitution in Schweden sprechen sollte. In Schweden herrscht das sogenannte „Schwedische“ oder „Nordische Modell“, das mit der Freierkriminalisierung die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen abschaffen will. Anders als in Deutschland, wo Sexarbeit von der Öffentlichkeit durchaus vielseitig diskutiert wird, ist die schwedische öffentliche Meinung, vor allem die linke und feministische, radikal gegen Sexarbeit. So gilt Fuckförbundet als Lobbygruppe für Freier und Zuhälter und die darin organisierten Sexarbeiter*innen werden beschimpft, verhöhnt und zum Schweigen gebracht. Schwedische Feminist*innen kritisierten die Buchmesse, dass der Workshop zu einseitig besetzt sei und die Perspektive von Personen fehle, die Erfahrungen in der Sexarbeit gesammelt hatten, aber für ihre Kriminalisierung sind. Zeitgleich mit den Verhandlungen zwischen Fuckfödbundet, Buchmesse und den Sexarbeitsgegner*innen wurde Fuckförbundet in den sozialen Medien vorgeworfen, „bezahlte Vergewaltigung“ und Trafficking zu verherrlichen. Letzten Endes sagte die Buchmesse den ganzen Workshop ab.

Besonders in Schweden erleben Sexarbeiter*innen einen Diskurs, der verbittert und fern der Realität geführt wird. Sexarbeit wird immer wieder mit Trafficking und Vergewaltigung gleichgesetzt, wobei meist eine Unkenntnis herrscht, was dieses vielgenannte Trafficking ist. Erhellung gibt aktuell der Podcast „The Underbelli“, dessen Macher*innen anlässlich des Hurentags ausführlich die rassistischen Ursprünge und Diskurse um (Anti-)Trafficking untersuchen: Das erste Anti-Trafficking-Gesetz, das in den USA erlassen wurde, war eine direkte Reaktion auf chinesische Migrant*innen, die von den Kongressmännern als Opfer von Menschenhandel dargestellt wurden.

Je mehr Chines*innen migrierten, desto mehr antichinesische Gesetze wurden erlassen, die besonders auf Prostitution und deren Überwachung abzielten. Dies gipfelte im Chinese Exclusion Act 1882, der die Migration aller Arbeiter*innen aus China untersagte. Die weitere Abfolge von Gesetzen und Staatspraxis, die im Namen der Bekämpfung von Menschenhandel Sexarbeit und Migration kriminalisierten, richtete sich gegen Native Americans genauso wie gegen Migrant*innen und Schwarze Personen. Trafficking wird hier als Überschreitung nationaler und gesellschaftlicher Grenzen, nicht als gewaltvolle Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft kriminalisiert. Es lohnt sich, die Geschichte nachzuvollziehen, um die Gegenwart und ihre Diskurse zu verstehen, wie Madame Rosa von „Underbelli“ es formuliert.